Lebendig | nikolaushueck blog

Lebendig

Meine Predigt zu 2. Korinther 3,3-6 am 20. Sonntag nach Trinitatis in der Christuskirche Augsburg-Haunstetten

Eintrag vom

Es ist offenbar geworden,
dass ihr ein Brief Christi seid durch unsern Dienst,
geschrieben nicht mit Tinte,
sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes,
nicht auf steinerne Tafeln,
sondern auf fleischerne Tafeln der Herzen.
Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott.
Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber,
uns etwas zuzurechnen als von uns selber;
sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott,
der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes,
nicht des Buchstabens, sondern des Geistes.
Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

Was für ein wunderschöner Satz:
Der Geist macht lebendig.

Es ist ein Satz gegen die Rechthaber und die Paragraphenreiter.
Es ist ein Satz gegen die, die nie irgendetwas verändern wollen.
Die sich eingegraben haben in ihr Leben und sich nichts mehr erwarten.
Es ist ein Satz für Neugier und Hoffnung.
Und es ist ein Satz für das Leben, das uns immer wieder überrascht.
Sie merken, ich bin ganz begeistert davon.
Aber vielleicht müssen wir doch noch einen Blick auf den Text davor werfen,
bevor ich Ihnen mehr von meiner Begeisterung erzähle.

Drei Gedanken sind es, die mir an und für diesen Text wichtig sind.

Mein erster Gedanke:
Paulus schreibt an die Christen in Korinth.
Die Situation ist ernst.
Nachdem er selbst der Gemeinde das Evangelium gebracht hat,
sind viele andere Gestalten aufgetaucht.
Sie haben glänzende Reden gehalten,
aber sie haben das Evangelium anders gepredigt.
Sie haben sich selbst damit groß machen wollen.
Sie hatten Empfehlungsschreiben dabei, die sie als vertrauenswürdige Leute ausweisen sollten.
Und sie haben Paulus schlecht gemacht.
Den kränkelnden Mann, der nicht so glänzend reden konnte wie sie.
Und der von niemandem empfohlen worden war.

Doch, sagt Paulus.
Natürlich habe ich auch ein Empfehlungsschreiben.
Ihr selbst seid es.
Ihr Christen in Korinth seid mein Empfehlungsschreiben.
Ich habe damals kein Papier gebraucht.
Ich habe die Botschaft direkt in Eure Herzen geschrieben.
Nein, eigentlich habe nicht ich geschrieben.
Eigentlich hat Christus selbst geschrieben.
Durch mich.

Erinnert Ihr Euch noch daran?
Erinnert Ihr Euch, wie es war, als ich Euch zum ersten Mal von Jesus Christus erzählt habe?
Erinnert Ihr Euch, als ich euch das erste Mal von der Freiheit erzählt habe?
Von der Freiheit, die Gott uns in seinem Sohn schenkt?
Von der Liebe, die Gott zu Euch hat?
Davon, dass Gott sogar den Tod überwindet, ihn tatsächlich überwunden hat?

Erinnert Ihr Euch noch daran, wie dankbar Ihr diese wunderbare, diese neue, diese alles umstürzende Botschaft aufgenommen habt?
Wie begeistert Ihr damals gewesen seid?
Das, liebe Brüder und Schwestern, das ist der Geist Gottes gewesen.
Der Geist der Liebe und der Freiheit.
Der Geist, der Euer Leben verändern wird,
der eure Herzen erweichen wird,
der Euch zu lebendigen, liebenden Menschen macht.

Und das soll jetzt alles nichts gewesen sein?
Nur weil ein paar Leute mit Empfehlungsschreiben winken und sich selbst wichtiger nehmen als die Botschaft?

Ich, Paulus, sage Euch, liebe Gemeinde in Korinth:
Bewahrt Euch diesen Geist.
Lasst ihn in Euch wirken.
Das ist die richtige Spur.
Die Spur, die ins Leben führt.

Mein zweiter Gedanke:
Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.
Ja, dieser Satz ist wunderbar.
Aber er hat auch eine grausame Geschichte.
Darüber muss man heute, gut ein Jahr nach dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel auch sprechen.
Gut ein Jahr, nachdem auch bei uns ein Judenhass und Antisemitismus hervorgekrochen ist,
den ich mir lange Zeit habe kaum vorstellen können.

Dort die Juden mit ihrem Buchstaben des Gesetzes.
Und hier die Christen, in denen der Heilige Geist wirkt.
Diese Vorstellung hat einen furchtbaren kirchlichen Antisemitismus befeuert.
Das Gesetz Mose tötet.
Und der Geist des Neuen Bundes macht lebendig.
So leicht darf man es sich ganz sicher nicht machen.

Denn Paulus sieht zwar das Neue, das mit Christus in die Welt gekommen ist.
Aber er beschreibt das ganz in den Bildern des Alten Testaments.
Schon beim Propheten Jeremia steht in dem Text, den wir an Pfingsten lesen, dass Gott sein Gesetz Israel ins Herz geben will.
Es soll sie von innen verändern.
Das ist, finde ich, ganz nah bei Paulus.
Ich glaube:
Die große Grenze geht nicht zwischen Christen und Juden,
sondern zwischen Menschen,
die Gottes Geist in ihrem Herzen tragen,
und denen, die Gott höchstens auf der Zunge tragen.

Und die, die meinen, Juden verspotten, bedrängen, verfolgen zu dürfen,

  • und das nur weil sie Juden sind und wir Christen -:
    Die tragen Gott allerhöchstens auf der Zunge.
    Gottes Geist ist ganz sicher nicht in ihren Herzen.

Und damit bin ich bei meinem dritten Gedanken:
Gottes Geist im Herzen tragen, was soll das denn überhaupt heißen?
Wie macht man das?
Wo spürt man das?

Nun, "machen" kann man es eben nicht.
Der Geist weht, wo er will.
Ich kann nur hoffen, dass er mich ergreift.
Dass er mich bewegt.
Dass er mich antreibt, mich tröstet, mich auffängt, mich verändert.
Oft bleibt das eine Sehnsucht.
Aber manchmal spüre ich das tatsächlich, an mir, an anderen:
Dann bekommt die Welt einen Glanz. Trotz allem.
Ich sehe diesen Glanz in den Augen der Menschen, die aufmerksam durch die Welt gehen.
Aufmerksam darauf, wie es den anderen geht.
Aufmerksam darauf, wer vielleicht ihre Hilfe braucht.
Aufmerksam darauf, wem sie ihre Zeit schenken und ihre guten Gedanken und guten Worte.

Sie sind da, wenn sie gebraucht werden.
Und, das ist manchmal noch wichtiger:
Sie können auch loslassen, sie merken, wenn der andere in Ruhe gelassen werden will.

Diese Menschen sind völlig frei von dieser "Ich bin besonders fromm und hilfsbereit"-Aura,
sondern ihr Glauben ist unaufdringlich.
Sie helfen einfach und reden nur von ihrem Glauben, wenn es wirklich passt.
Aber man sieht ihn, den Glanz in ihren Augen.

Es gibt sie, diese Menschen, auch hier in der Gemeinde.
Und ich bin sicher, Sie kennen auch welche.
Der Glanz in ihren Augen ist der Glanz Gottes in der Welt, das glaube ich fest.
Sie sind das beste Empfehlungsschreiben, das der Heilige Geist verfassen kann.

Ich sehe diesen Glanz Gottes aber auch in den Augen anderer.
Derer zum Beispiel, die eher auf Hilfe angewiesen sind, als dass sie helfen könnten.
Sie haben viel durchmachen müssen im Leben.
Sie haben sich gestritten oder getrennt.
Sie waren oft krank, ihre Liebsten sind gestorben.
Sie haben selbst dem Tod ins Auge geblickt oder tun das jeden Tag.
Und manchmal wissen sie vielleicht nicht, wovon sie ihr Leben bestreiten sollen.
Von welchem Geld, mit welcher Kraft.

Und trotzdem hören sie nicht auf zu hoffen.
Sie werden nicht verbittert, enttäuscht und böse gegenüber dem Leben.

Sie leben weiter, weil sie die Sehnsucht nicht aufgegeben:
Die Sehnsucht danach, dass dieses Leben doch irgendwie heil werden wird.
Dass sie auch in allem Traurigen bewahrt werden.
Dass da ein gnädiger und barmherziger Gott ist.
Und dass es gut ist und gut tut, ihm zu vertrauen, trotz allem.

Diese Sehnsucht gibt ihnen Kraft.
Diese Sehnsucht hält sie am Leben.
Diese Sehnsucht - und die feste Hoffnung darauf, dass sie sich irgendwann erfüllen wird.

Es gibt sie, diese Menschen, auch hier in der Gemeinde.
Und ich bin sicher, Sie kennen auch welche.
Auch der Glanz in ihren Augen ist der Glanz Gottes in der Welt, das glaube ich fest.
Und auch Sie sind ein Empfehlungsschreiben, wie es nur der Heilige Geist verfassen kann.

Die meisten von uns sind aber weder das eine noch das andere.
Wir sind zu beschäftigt damit, das Leben zu meistern,
die nächsten Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen,
oder einfach nur unseren Alltag hinzubekommen.

So merken wir gar nicht, wie Gott um uns wirbt mit seinem Geist.
Wir merken gar nicht die frische Luft, die der Geist uns zufächern will.
Sondern wir leben vor uns hin, manchmal besser, manchmal schlechter.

Aber manchmal spüren wir ihn dann doch:
den Heiligen Geist, der in unserem Herzen wirkt.
Wir spüren, wie er uns herausreißt aus unserem Alltag.
Wie er uns über uns hinauswachsen lässt.
Weil wir wirklich für andere da sind - und mal nicht nur für uns.
Weil wir wirklich die Hoffnung spüren, die gegen die Verzweiflung hilft.

Das sind die Momente, in denen der Glanz Gottes auch in unseren Augen leuchtet.
Weil sein Geist in unseren Herzen wirkt und uns lebendig macht.
Solche Augenblicke sind es, für die sich das Leben lohnt.
Weil wir dann wirklich lebendig sind.
Gott schenkt sie uns immer wieder, diese Augenblicke.
Das glaube ich fest.
Amen.