Der brennende Dornbusch und das Lob des Selbstzweifels | nikolaushueck blog

Der brennende Dornbusch und das Lob des Selbstzweifels

Meine Predigt zu Ex 3,1-15

Eintrag vom

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.
Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch.
Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.
Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.

Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose!
Er antwortete: Hier bin ich.
Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!
Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.
Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.
Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt.
Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.
Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten?
Er sprach: Ich will mit dir sein.
Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe:
Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge.
Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen?
Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde.
Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.

Eine Begegnung, irgendwo in der Wüste.
Ein Busch brennt.
Ein Viehhirte hört eine Stimme.
Eigentlich nichts Großes.
Aber aus dieser Begegnung wird Weltgeschichte:
Der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten.
Der Einzug in das Land, in dem Milch und Honig fließen.
In das Land Israel, das bis heute so umkämpft und so verletzlich ist.

Und dieser eine Gott. Der seinen Namen nennt.
Der das Volk Israel zu seiner Sache macht.
Der sich hartnäckig an dieses Volk bindet,
der so brennend für seine Freiheit kämpft.
Und von dem wir glauben, dass er auch uns immer wieder frei macht.
Das alles beginnt mit dieser Geschichte am Berg Horeb.

Gott hat das Leiden des Volkes Israel gesehen.
Er hat gesehen, wie sie von den Ägyptern geschunden wurden.
Er hat das Knallen der Peitschen der Sklaventreiber gehört.
Und bei jedem einzelnen Schrei der Ausgepeitschten hat er mitgelitten.

Deshalb hat es ihn nicht im Himmel gehalten.
Diese Ungerechtigkeit hat Gott nicht ertragen.
Und so ist er herniedergefahren auf die Erde, um sie aus dieser Ungerechtigkeit zu erretten.

Das haben sich die Israeliten erzählt.
Und das erzählen sich ihre Nachfahren bis heute.
Dann, wenn die Gefahr am größten ist,
wenn die Ungerechtigkeit nicht auszuhalten ist,
dann erzählen sie sich von Gott,
der herniedergefahren ist,
der dazwischengefahren ist
und der für Gerechtigkeit für sein Volk gesorgt hat.

Es hat in der Geschichte Israels viele Anlässe gegeben, sich diese Geschichte zu erzählen.
Erst am vergangenen Montag haben wir an den Holocaust erinnert.
Wie viele Juden werden vor 80, 90 Jahren gehofft haben,
gebetet und verzweifelt darauf gewartet haben,
dass es wieder so kommt wie damals in Ägypten.
Dass Gott herniederfährt, dass er dazwischenfährt,
dass den verfolgten, den gequälten und getöteten Juden Gerechtigkeit geschieht.
Dass die Nazis, die Täter und ihre Helfer, dass Gott sie vernichtet,
so wie er die Ägypter im Roten Meer hat ertrinken lassen.

Am Anfang der Geschichte des Volkes Israel mit seinem Gott steht die große Befreiung.
Und wir - wir dürfen uns in diese Geschichte einreihen.
Denn der Vater, von dem Jesus erzählt,
der ist niemand anderes als dieser Gott, der Israel gerettet hat.

Auch wir erzählen uns also von diesem Anfang.
Auch wir erzählen uns, dass Gott seine Menschen befreien will.
Dass er die Ungerechtigkeit nicht erträgt.
Dass er die Qualen seiner Menschen nicht mitansehen kann.
Und auch wir hoffen darauf, dass Gott es wieder tut:
Seine Menschen befreien.

Die Geiseln der Hamas, die immer noch in finsteren Tunneln versteckt gehalten werden;
die Flüchtlinge im Gazastreifen, die nicht wissen, wo und wie sie überhaupt weiterleben sollen;
die Menschen in der Ukraine, die jeden Tag von Drohnen und Raketen terrorisiert werden.
Gott, fahr hernieder, denken sie sich, und schaffe Gerechtigkeit.

Und das denken nicht nur sie sich - das denke auch ich mir.
Wie sicher viele von Ihnen auch.
Wie sehr warte ich auf einen Gott, der herniederfährt,
weil er das alles nicht mitansehen kann.

Wie lange wir noch warten müssen?
Ich weiß es nicht.
Aber abfinden mit der Ungerechtigkeit und der Grausamkeit und der Unfreiheit -
abfinden möchte ich mich damit nicht.
Und die Hoffnung aufgeben erst recht nicht.

Das führt mich zu einem zweiten Gedanken.
Gott brennt für seine Menschen.
Das erzählt unser Predigttext.
Er brennt, so wie der Dornbusch brennt.
Aber er verbrennt nicht, auch das gehört zum Bild.

Für mich heißt das:
So sehr Gott empfänglich ist für das Leid der Menschen,
so hält er doch auch Distanz.
So sehr Gott ein Ohr hat für die Leidensschreie der Menschen,
so wenig lässt er sich von seinem Mitleid ganz aufzehren.
 
Gott bleibt – auch wenn er mitleidet – ein Gegenüber zur Welt.
Er lässt sich nicht von der Welt auffressen.
Denn wenn Gott selbst verbrennen würde,
dann könnte er nichts mehr ausrichten gegen die Brandherde in unserer Welt.

So verstehe ich das Bild vom brennenden Dornbusch.
Aber denke mir gleichzeitig:
Doch, Gott hat diese Distanz zur Welt aufgegeben.
In meinem Glauben hat sich Gott auf diese Welt eingelassen,
damals, in Jesus Christus, hat er sich auf diese Welt ganz eingelassen.
bis zum Tod am Kreuz.
Vielleicht liegt hier ein Unterschied zwischen christlichem und jüdischem Glauben.

Das Bild vom brennenden, aber nicht verbrennenden Dornbusch hilft mir trotzdem.
Es hilft mir jeden Abend, wenn ich im Fernsehen die Nachrichten ansehe.
So viele Menschen, die im Elend leben.
So unzählig viele, die unter Diktatoren und Kriegsherren leiden.
Die nicht wissen, was sie ihren Kindern zu essen geben sollen,
und manchmal nicht mal ein Zeltdach über dem Kopf haben.

Und auf der anderen Seite die Gesichter der Menschen, die dieses Leid verursachen.
Oder es doch wenigstens nicht verhindern.
Die es nicht lindern wollen.
Die das Leid der anderen einfach übersehen, oder es sogar für gerecht halten.
So viel Grausamkeit und so viel Selbstgerechtigkeit.

Es ist kaum auszuhalten, sich das Tag für Tag anzusehen.
Auch wenn man nur im Sessel und im sicheren Augsburg vor dem Fernseher sitzt.
Diese Ungerechtigkeit!

Aber gleichzeitig braucht es auch eine gesunde Distanz.
Nicht abstumpfen, ja das ist wichtig.
Sich vom Leid der anderen anrühren lassen: ja!
Helfen, wo immer man selbst helfen kann: ja, natürlich!
Aber sich hineinziehen zu lassen in dieses Leid,
den Abstand zu verlieren: nein!
Die Freude am eigenen Leben und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verlieren: nein!
Denn das bringt niemandem etwas.
Menschen in helfenden Berufen wissen das - oft haben sie es selbst erst lernen müssen.

Niemand hat etwas davon, wenn wir uns ganz in das Leid anderer hineinziehen lassen,
die Freude am Leben und die Hoffnung aufgeben.

Wir dürfen bei allem, was wir tun oder nicht tun können, auf Gott vertrauen.

Und das ist mein dritter und letzter Gedanke:
"Ich werde sein, der ich sein werde."
So nennt sich Gott selbst.
Gott, heißt das für mich, ist nicht Vergangenheit.
Ist niemand, der sich irgendwann mal für die Menschen interessiert hat -
in grauer, biblischer Vorzeit -
aber der jetzt die Lust an uns verloren hat.

Gott ist der, den ich nie ganz fassen kann.
Den ich mir nicht ausrechnen kann.
Der leider immer wieder anders ist als ich ihn mir wünsche.
Aber weg ist er nie.
Er ist und bleibt immer da - bei mir und mit mir.

Denn das ist der andere Name Gottes, der in unserem Text steht, und den man leicht überliest:
"Ich will mit dir sein."
Das antwortet Gott auf die Zweifel, die Mose quälen:
Bin ich wirklich der richtige für diesen Job?
Bin ich wirklich der, der zum Pharao geht und so sein Volk frei bekommt?

Gott zählt als Antwort nicht etwa auf, warum Mose genau der richtige für diesen Job ist.
Da gäbe es einiges zu sagen.
Gott sagt nur:
"Ich will mit Dir sein".

Für mich ist diese Geschichte deshalb auch ein Lob des Selbstzweifels.
Es ist gerade Mose: der Mann, der sich selbst nur bedingt etwas zutraut -
gerade ihn wählt Gott aus für diese riesige Aufgabe.
Wir lesen es ähnlich auch bei anderen Menschen, die Gott beruft.

Nicht die Selbstsicheren,
nicht die von sich selbst Überzeugten -
nicht die begleitet Gott.
Denn die brauchen ihn eigentlich gar nicht.

Der Präsident, der im Alleingang sein Land wieder groß machen will, wozu braucht der Gott?
Der technikbegeisterte Unternehmer, der meint, selbst am besten zu wissen, was für die Menschheit gut und schlecht ist - was erwartet der sich von Gott?
Die religiösen Fanatiker, die ihren Glauben mit Gewalt verbreiten wollen - die stört Gott doch eigentlich nur.
Die Politiker, die die ganz einfachen Lösungen vorschlagen und sich öffentlich keinen Augenblick des Nachdenkens erlauben - wie ließen die sich von Gott korrigieren?

Nein, es sind die, die an sich selbst zweifeln -
die wählt Gott für die wirklich wichtigen Jobs aus.
Warum?
Wer von sich selbst übermäßig überzeugt ist, hat keinen Platz für Gott.
Der Zweifel an sich selbst aber, das Zögern, das schafft Raum für Gott.
Das schafft Raum für den "Ich werde sein, der ich sein werde".

Diesen Raum braucht diese Welt.
Und diesen Raum braucht jeder einzelne von uns.

Wenn wir ihn zulassen, dann kann uns das Hoffnung machen:
Ein Gott, der brennt für seine Menschen.
Ein Gott, der niederfährt und dazwischenschlägt, wenn die Ungerechtigkeit zu groß wird.
Ein Gott, den wir nicht im Voraus berechnen können,
der uns aber begleitet, jetzt und in der Zukunft.
Auf den dürfen wir hoffen.
Auf was sonst?

Amen.