Krieg erlernen heißt Mitleid verlernen
Meine Predigt zu Jesaja 2,1-5 am 8. Sonntag nach Trinitatis, 10.8.2025
Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem.
Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist,
fest stehen,
höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben,
und alle Heiden werden herzulaufen,
und viele Völker werden hingehen und sagen:
Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des Herrn,
zum Hause des Gottes Jakobs,
dass er uns lehre seine Wege
und wir wandeln auf seinen Steigen!
Denn von Zion wird Weisung ausgehen
und des Herrn Wort von Jerusalem.
Und er wird richten unter den Nationen
und zurechtweisen viele Völker.
Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen
und ihre Spieße zu Sicheln.
Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben,
und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!
Warum predigen wir einen solchen Text heute?
Jerusalem als der Ort, an dem die Völker Frieden lernen?
Wer auch nur ein wenig Zeitung liest oder Fernsehen schaut, dem fällt das schwer.
So viel Leid bei den Menschen in Israel, den Angehörigen der Geiseln. Nicht erst seit dem 7. Oktober, dem Überfall der Hamas auf Israel.
So viel Leid bei den Menschen im Gazastreifen,
hungernde Kinder, verzweifelte Eltern, so viele Tote.
Und immer wieder neue Bomben.
Nein, wir predigen diesen Text nicht,
weil wir dabei zuallererst an den heutigen Staat Israel und seine Regierung denken.
Wir predigen über diesen Text, weil wir von Jesaja Hoffnung lernen können.
Unbändige, überbordende Hoffnung in finsteren Zeiten.
Denn damals, zu Zeiten Jesajas, war Israel alles andere als mächtig.
Es war ein winziger Zwergstaat inmitten von Großreichen.
Israel hatte nicht viel zu melden.
Die Ägypter, die Assyrer, vor allem die Perser:
Das waren die eigentlich mächtigen Großreiche.
Sozusagen die USA, China oder Russland dieser Zeit.
Ständig in Konkurrenz miteinander
und meistens im offenen Krieg.
Israel lag ganz am Rand.
Es hat immer wieder fürchten müssen, zerquetscht zu werden.
Vor diesem Hintergrund spricht Jesaja seine prophetischen Sätze.
Die Worte von den Völkern, die zum Tempel Gottes wallfahrten, zum Berg Zion in Jerusalem.
Jesajas Vision kann man eigentlich nur größenwahnsinnig nennen.
Der Zwergstaat, der vom Frieden träumt.
Und nicht nur von irgendeinem Frieden.
Sondern von einem Frieden, der von Israel ausgeht,
und der die Großen zähmt.
Die Völker werden von selbst kommen, sagt Jesaja.
Es werden die kleinen, ohnmächtigen Völker kommen.
Und es werden auch die Großreiche kommen.
Und hier: Hier in Jerusalem, werden sie lernen, was Frieden ist.
Eine irre Vision.
Nichts, aber auch gar nichts spricht dafür, dass es einmal so Kommen könnte.
Und trotzdem wagt Jesaja diese Sätze.
Die Menschen schreiben das auf, geben es weiter.
Durch die Zeiten. Durch die Kontinente.
Aller Kriegsangst und Kriegsnot zum Trotz.
Die große Hoffnung auf Frieden überlebt alle Kriege.
Und wir lesen heute davon.
Heute, in einer Zeit, in der wir alle das Gefühl haben:
So unfriedlich wie in diesen Tagen ist die Welt schon lange nicht mehr gewesen.
So nah am Krieg wie heute waren wir schon seit 80 Jahren nicht mehr.
Ich habe drei kurze Gedanken dazu, über die ich heute sprechen will:
Mein erster Gedanke:
Dieser Friede, von dem Jesaja spricht,
dieser Friede - der wird nicht durch Waffen geschaffen,
sondern in den Herzen der Menschen.
Jesaja hätte ja auch etwas ganz anderes sagen können:
Er hätte sagen können:
Am Ende der Zeiten wird Gott mit uns in die Schlacht ziehen.
Er wird die Ungerechtigkeit dieser Welt mit seinem Schwert bekämpfen.
Er wird die Großreiche vernichten und uns selbst groß machen.
Aber das sagt Jesaja nicht.
Am Ende der Zeiten, sagt Jesaja, wird Gott die Menschen überzeugt haben.
In all dem Chaos, das auf der Welt herrscht.
In all dem Unfrieden, den die Menschen sich gegenseitig machen: Gott wird Frieden schaffen.
Von ihm, von Gott werden die Völker lernen wollen.
Sie werden lernen wollen, was Frieden ist.
Und wie wir in Frieden miteinander leben können.
Der letzte Friede wird friedlich kommen,
nicht durch Waffengewalt. So prophezeit es Jesaja.
Es wird ein guter Friede sein, weil die Menschen dazugelernt haben.
Schwerter werden zu Pflugscharen gemacht werden,
weil kein Mensch mehr ein Schwert braucht.
Alle werden sich ungestört um ihre Felder und ihren Lebensunterhalt kümmern.
Gott wird am Ende alle Menschen von seinem Frieden überzeugt haben.
Und das friedlich, nicht mit dem Schwert in der Hand.
Mein zweiter Gedanke:
Ist dann Jesaja ein Pazifist?
Ist seine Vision politisch gemeint?
Heißt auf Gott vertrauen,
dass wir unsere Schwerter jetzt schon umschmieden müssen.
Und unsere Waffen einschmelzen?
Viele Menschen haben seine Worte so verstanden.
Schwerter zu Pflugscharen:
Für die Friedensbewegung war und ist das ein wichtiges Symbol.
Ganz besonders für die christlichen Friedensgruppen in der DDR war es das:
ein Symbol gegen das militärische Denken in der Gesellschaft.
Ein starkes Zeichen gegen das schier unendliche Wettrüsten von Ost und West.
Ein Protest gegen die Wehrpflicht und den Dienst an der Waffe.
Wie ist das heute?
Heute reden wir wieder von Aufrüstung.
Riesige Milliardensummen werden in die Rüstung gesteckt.
Wir diskutieren über eine neue Wehrpflicht.
Und darüber, dass Deutschland wieder kriegstüchtig werden muss.
Ich verstehe jeden, dem dabei mulmig wird.
Ich verstehe jede, die jetzt Angst hat,
Angst davor, dass unsere Kriegsbereitschaft nicht zum Frieden führt.
Sondern geradewegs in einen neuen großen Krieg.
Tatsächlich ist die Angst vor Krieg bei uns so verbreitet wie lange nicht.
Die Jungen haben Angst, die - so wie ich - bisher nur in Friedenszeiten gelebt haben.
Und die Alten haben Angst.
Sie haben noch immer ihre Bilder vor Augen:
Die schrecklichen Stunden in Luftschutzkellern.
Die zerstörten Städte.
Die Sorge um die Väter an der Front.
Ich glaube, dass es zu Zeiten Jesajas nicht anders war.
Aber genau gegen diese Angst lehnt sich Jesaja auf:
Denn es ist oft die Angst vor dem Anderen,
die zu Krieg führt.
Die Menschen haben diesen Text weitergegeben,
weil darin so viel Hoffnung steckt.
Hoffnung, die gegen die Kriegsangst wirkt.
Diese Erde ist nicht dafür gemacht, dass Krieg herrscht.
Diese Erde ist von Gott gemacht, weil er Frieden will.
Und so viel die Menschen sich dagegen auflehnen.
So unfriedlich die Menschen sind.
Am Ende wird Gottes Friede sich durchsetzen.
Ich glaube:
Jesaja gibt uns kein Rezept, wie wir heute Frieden machen.
Er sagt auch nicht: Ihr dürft Euch nicht wehren, wenn Ihr angegriffen werdet.
Jesaja hat das Ende der Zeiten im Blick.
Er setzt seine Hoffnung ganz auf Gott.
Er ist es, der am Ende der Zeiten die Waffen überflüssig machen wird.
Er ist es, der die Mächtigen zurechtweisen wird.
Und seine Gerechtigkeit wird überzeugend sein.
Selbst die mächtigsten und gewaltigsten Großreiche werden sich ihr beugen.
Niemand braucht dann noch Waffen.
Und niemand muss noch Krieg lernen.
Damit bin ich bei meinem letzten kurzen Gedanken:
Ich habe mich gefragt, was das heißen soll:
Die Völker werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
Das ist ja eine große, eine riesengroße Verheißung,
vielleicht die wichtigste in unserem Text.
Ich glaube, Krieg lernen fängt nicht erst mit der Wehrpflicht und mit der Grundausbildung an.
Ich glaube, Krieg lernen fängt viel früher an.
Wenn man von "den" Russen spricht,
von "den" Palästinensern
oder von "den" Israelis.
Dann hat man schon ein kleines Stück Krieg gelernt.
Wenn man statt auf Menschen auf Völker zeigt.
Wenn man statt einzelne Gesichter nur eine Masse sieht.
Eine Masse von Feinden, von Gegnern:
Dann ist man drauf und dran, Krieg zu erlernen.
Denn dann hat man verlernt, im Anderen erst einmal einen Menschen zu sehen.
Einen Menschen, der eigentlich auch nur leben will, so wie ich.
Der sich und seine Familie ernähren will.
Und der einen guten Sinn in seinem Leben sehen will.
Im Nahen Osten sind eben nicht einfach "die" einen oder "die" anderen schuld.
Nicht "die" Palästinenser.
Und auch nicht "die" Israelis.
Es sind Menschen auf beiden Seiten, die leiden.
Und es sind Menschen auf beiden Seiten, die ein Interesse haben, diesen Krieg am Laufen zu halten.
Wer übrigens schon gar nicht schuld ist:
Juden, die in Deutschland wohnen.
Sie müssen sich hier bei uns seit dem 7. Oktober noch stärker anfeinden und beschimpfen lassen als davor schon.
"Die" Juden: auch so ein hetzerisches "die".
Ich finde es gut, dass der Augsburger Friedenspreis in diesem Jahr an Josef Schuster geht, den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Ein klares Zeichen gegen die Feinschaft.
Gegen das "die", unter dem die Juden auch bei uns zu leiden haben.
Krieg erlernen heißt Mitleid verlernen.
Deswegen gibt es vor jedem Krieg so viel Propaganda.
Worte, die zum Hass anstacheln sollen auf Menschen, die man gar nicht kennt.
Worte, die Angst machen sollen.
Vor den anderen.
Jesaja hat - habe ich gesagt, das Ende der Zeiten im Blick.
Dann, am Ende der Zeiten werden wir alle den Frieden gelernt haben, nicht den Krieg.
Ich will darauf nicht warten.
Ich will schon jetzt damit beginnen, den Krieg zu verlernen.
Ich will mich anstecken lassen von der Hoffnung, die Jesaja verbreitet.
Ich will wachsam bleiben, aber mir keine Angst einreden lassen.
Die Welt ist nicht nur Krieg, auch wenn es manchmal so scheint.
Gott hat mit ihr, Gott hat mit uns etwas ganz anderes vor.
Und die Hoffnung darauf verändert mich schon jetzt.
Wer auf Gottes Frieden hofft, wird alles tun, damit Frieden bleibt und Frieden wird.
Die Hoffnung auf Gottes Friede macht immun gegen die Kriegstreiber überall auf der Welt.
Immun gegen die Feinbilder, die man uns einzuflüstern versucht.
Immun gegen die Lügen, die alle Kriege vorbereiten.
Wenn wir so den Krieg verlernen, dann haben wir Gott auf unserer Seite.
Und wandeln in seinem Licht.
Amen.