„Wir weigern uns, Feinde zu sein“ | nikolaushueck blog

„Wir weigern uns, Feinde zu sein“

Predigt zu Römer 12, 17-21

Eintrag vom

„Wir weigern uns, Feinde zu sein“. Ein wunderbarer Spruch. Gelesen habe ich ihn zum ersten Mal im Westjordanland. Ein Weinberg, im Besitz einer palästinensischen Familie. Eigentlich ein schöner Ort auf einem Hügel mit großartiger Aussicht auf das weite Land. Aber das Leben dort ist hart. Rings herum israelische Siedlungen, die der Familie den Besitz streitig machen. Das Wasser ist knapp, die Zufahrt immer wieder unterbrochen. Wein wächst dort schon längst nicht mehr.

Dafür gibt es genug Stoff für Konflikte.
Für Einseitigkeiten.
Für Wut und für Verzweiflung.
Für manche ist die Lage dort ein willkommener Anlass, gegen die Israel zu hetzen.
Aber am Eingang der Spruch: „Wir weigern uns Feinde zu sein“.
In farbiger Schrift auf einem großen Felsblock.

Daoud Nassar, ein evangelischer Palästinenser, betreut dort ein Projekt, das „Zelt der Völker“:
Jugendliche aus aller Welt kommen auf den Weinberg und helfen mit, die Anlagen instand zu halten.
Sie arbeiten nicht nur dort,
Sie lernen auch etwas von Frieden und Versöhnung.
Theoretisch und praktisch.
Und das an einem der schwierigsten Konfliktherde der Erde,
an dem es viel Hass und keine einfachen Lösungen gibt.
Als ich vor einiger Zeit da war, habe ich nichts von diesem unendlichen Hass gehört,
der Israelis und Palästinenser auf so grausame Weise verbindet.
Stattdessen dieser Spruch: „Wir weigern uns, Feinde zu sein“.

Im heutigen Predigttext geht es genau darum:
Wie Hass und Feindschaft überwunden werden können.
Ich lese aus dem Römerbrief, aus dem 12. Kapitel:

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.
Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben
»Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«.
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Paulus hat in seinem Brief an die Römer elf Kapitel dichteste Theologie geschrieben.
Von der Gerechtigkeit Gottes, von der Liebe und Freiheit in Jesus Christus.
Er hat geschrieben, dass uns nichts trennen kann von der Liebe Gottes.
Und nun geht es darum, wie sich dieser Glaube im Leben zeigt.

Wer auf diesen Gott hofft
dessen Leben kann doch nicht einfach so weitergehen wie bisher.
Etwas muss sich ändern.
Und was sich ändern muss, davon schreibt Paulus in den letzten Kapiteln seines Briefes.

Hier in unserem Predigttext geht es um Frieden und Konflikt.
Um Rache und den Verzicht auf Rache.
Paulus schreibt so klare und unmissverständliche Worte,
dass sie eigentlich gar keiner Auslegung bedürfen.
Aus jeder Zeile dieses Textes spricht der Wille zum Frieden.

Wir verstehen ganz schnell, was Paulus will.
Und wissen gleichzeitig aus eigener Erfahrung,
wie schwer wir selbst uns tun mit dem Frieden.

Vier Gedanken sind es, die dieser Text bei mir ausgelöst hat.

Mein erster Gedanke:
Paulus verlangt viel:
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht,
oder ob auch Sie das Gefühl der hochsteigenden Wut kennen:
Über jemanden, der sich rotzfrech über alles hinwegsetzt, was mir wichtig ist.
Über jemanden, der sich um meine Interessen einfach nicht schert.
Der Autofahrer, der mich als Radfahrer zur Vollbremsung zwingt,
obwohl ich Vorfahrt habe.
Der Kundendienst, der sich weigert,
mein Problem zu verstehen und mich mit vorgefertigten Antworten abspeist.
Und das sind nur die harmlosen Fälle.

Wenn ich mich wirklich ungerecht behandelt fühle, steigt die Wut hoch.
Und dann entwickle ich starke Phantasien, was ich mit dem Urheber dieser Ungerechtigkeiten anstellen könnte.
Nichts davon tue ich.
Aber ich fürchte, man hört meiner Stimme an, wie viel Wut ich im Bauch habe.
Und das wirkt sich nicht unbedingt positiv auf das Gesprächsklima aus.

Was ich sagen will:
Es ist nicht so, als ob wir Christen eine eingebaute Wutbremse hätten.
Auch unter uns kracht es.
Manchmal vielleicht gerade unter uns.
Als Referent des Regionalbischofs habe ich es mehr als einmal erlebt, wie erbittert gerade in Kirchengemeinden gestritten werden kann.
Es gibt so vieles, über das man streiten kann,
auf ganz unterschiedlichen Ebenen:
Wer die Küche aufräumt nach der Feier.
Wer das eigentliche Sagen hat in der Gemeinde.
Wie man richtig Gottesdienst feiert.

Ich glaube, manche Streitpunkte haben sich von der Gemeinde in Rom bis heute nur unwesentlich geändert.
Sie sind Konflikt-Dauerbrenner.

Paulus wusste das schon damals.
Deswegen überhaupt schreibt er diese Ermahnung zum Frieden.
Innerhalb und außerhalb der Gemeinde.

Ich verstehe ihn so:
Dass es Konflikte bei Euch gibt, ist nicht das Problem.
Zum Problem wird es erst, wenn Ihr versucht, Konflikte auf ungute Art zu lösen.
Wenn daraus Feindschaft entsteht.
Vielleicht sogar Hass und Rache.
Das entspricht nicht unserem gemeinsamen Glauben.
Das treibt Euch nicht nur untereinander entzwei,
das trennt euch auch von Gott.

Mein zweiter Gedanke:
„Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr“
Paulus zitiert einen Vers aus dem 5. Buch Mose.
Typisch Altes Testament, haben viele Ausleger gesagt:
Im Alten Testament wird vom Zorn Gottes gesprochen, von Gott, der sich rächt.
Im Neuen Testament dagegen geht es um die Liebe Gottes, um Gott, der versöhnt.

Falscher als diese Ausleger könnte man es nicht sagen.
Denn was heißt das denn: „Die Rache ist mein“?
Das heißt doch, dass wir Menschen die Rache der Gerechtigkeit Gottes anvertrauen sollen.
Dass wir die Rache eben gerade nicht selbst in die Hand nehmen sollen.
Das ist, finde ich, ein unglaublich wohltuender, friedensstiftender und versöhnender Gedanke, den die Christen von den Juden gelernt haben.

Rächt Euch nicht selbst, sondern überlasst die Rache Gott, sagt Paulus.
Ihr mögt Eure Rachegefühle haben,
aber wenn ihr sie in die Tat umsetzt, dann folgt daraus nur weitere Gewalt.
Überlasst die Rache Gott.
Er kann ein sehr zorniger Gott sein, mit einem guten Gedächtnis für das Unrecht.
Und mit diesem Zorn, den er sich vorbehält, schafft Gott unter den Menschen einen Raum, in dem Frieden entstehen kann.

Wenn Ihr bewusst ihm die Rache anheim stellt,
dann tut ihr etwas in der Mitte zwischen Rache und Ohnmacht.
Ihr müsst euch einerseits nicht von euren Rachegefühlen hinreißen lassen.
Und andererseits müsst Ihr nicht ohnmächtig die Ungerechtigkeit ertragen,
sondern dürft auf Gott hoffen,
der das Unrecht nicht vergessen wird.
So gebt ihr Eure Sehnsucht nach Gerechtigkeit nicht auf.

Mein dritter Gedanke
Paulus verlangt viel, aber er ist auch Realist.

Er weiß, dass selbst der Frömmste nicht in Frieden leben kann,
wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
Seine Mahnung ist deshalb auch nicht bedingungslos:

Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

Das heißt für mich auch:
Es ist eben nicht immer möglich, Frieden zu halten.
Und es liegt eben nicht immer an uns,
selbst wenn wir alle Anstrengungen unternehmen,
selbst wenn wir uns nicht vorwerfen können,
irgendeine Friedenschance ausgelassen zu haben.
Das Böse gibt es, es hat keinen Zweck, es zu leugnen.

Ich verstehe Paulus so,
dass er bei aller Ermahnung zum Frieden kein radikaler Pazifist ist.
Wenn es gar nicht anders geht,
darf ich mich nicht nur, ich muss mich dann auch zur Wehr setzen.
Gegen Gewalt hilft manchmal nichts anderes.

Gewalt als letztes Mittel kann besonders dann gerechtfertigt sein, wenn ich es nicht für mich selbst einsetze, sondern damit anderen helfe.
Im alleräußersten Notfall muss vielleicht auf Gewalt mit Gewalt geantwortet werden,
um die Schwachen vor den Starken in Schutz zu nehmen.

Ich weiß, dass man an dieser Stelle unterschiedlicher Meinung sein kann.
Es gibt ja auch in unserer Kirche derzeit eine heftige Situation darüber, wie legitim Einsätze der Bundeswehr sind.

Ausgelöst nicht zuletzt durch die Äußerungen des Bundespräsidenten,
Deutschland müsse sich auch militärisch mehr in der Welt engagieren.

Ich glaube, Gewalt darf nie angewendet werden,
um Rachegefühle zu befriedigen.
Oder um einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen.
Oder weil man die eigene Nation, die eigene Religion, die eigene Lebensart für überlegen hält.

Seit genau vor hundert Jahren die Menschen in Europa und ganz besonders in Deutschland mit lautem Hurra in den Krieg gezogen sind, haben wir eine Menge gelernt.
Ein solcher Krieg aus nationalem Überschwang wäre – glaube ich – heute bei uns überhaupt nicht mehrheitsfähig.

Aber um Gewalt zu beenden – vielleicht braucht es da manchmal selbst Gewalt.
Wirklichen Frieden wird man dadurch nicht schaffen – aber die Gewalt soweit aufhalten, dass überhaupt jemand an Frieden denken kann – das womöglich schon.
Vielleicht ist das ja auch eine mögliche Bedeutung des Satzes von Paulus:
Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

Mein letzter Punkt schließt daran an:
Was Rache bewirkt, haben die letzten Wochen in Israel und Palästina gezeigt.
Der grausame Mord an drei israelischen Religionsschülern durch palästinensische Terroristen.
Der Mord an einem arabischen Jugendlichen, vermutlich die Rache eines israelischen Fanatikers.
So dreht sich die Spirale immer weiter.

Nun hagelt es Raketen der Hamas auf israelische Städte –
und Israel antwortet mit Luftangriffen und vielleicht einer Bodenoffensive im Gaza-Streifen.
Natürlich, was soll Israel auch tun, irgendwie muss man die Bevölkerung gegen diese Raketen schützen.
Aber mit jedem Opfer, egal auf welcher Seite, wird die Wut größer, wird der der Hass größer.
Und immer mehr bekommen auf beiden Seiten die Hardliner das Sagen. Die Falken treiben die Tauben vor sich her.
Die Rache gebiert Gewalt, die dann niemand mehr einfangen kann.

Dabei könnte es anders gehen.
Der Propst von Jerusalem hat neulich in einem Interview erzählt,
dass die Angehörigen der getöteten jüdischen und arabischen Jugendlichen miteinander telefoniert haben.
Dass sie sich gegenseitig ihr Beileid und ihre Anteilnahme ausgesprochen haben.
Sie haben sogar vereinbart, dass sich die drei jüdischen Familien mit der arabischen Familie treffen wollen.

Davon zu lesen, habe ich als ein Geschenk empfunden.
Da weigert sich jemand, einander Feind zu sein.
Menschen, die allen Grund zur Verbitterung hätten.

Ein Geschenk der Hoffnung, dass es mitten in dieser aufgeheizten Stimmung aus Hass so etwas wie Versöhnung geben kann.
Ich empfinde das als ein Geschenk Gottes.
Etwas, das Menschen eher nicht aus eigener Kraft zustande bringen.

Auf diese Versöhnung sollen wir hoffen,
statt die Rache selbst in die Hand zu nehmen.
Auf diese Versöhnung sollen wir hoffen.
Und alles dafür unternehmen, was in unserer Macht steht.
Das Gelingen dürfen wir Gott überlassen.
Amen.