„Weder Engel noch Mächte“ | nikolaushueck blog

„Weder Engel noch Mächte“

Predigt an Silvester zu Römer 8,31-39

Eintrag vom

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.
Wer will verdammen?

Christus Jesus ist hier, der gestorben ist,
ja vielmehr, der auch auferweckt ist,
der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.
Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?
Trübsal oder Angst oder Verfolgung
oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?

Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur
uns scheiden kann von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
(Römer 8,31-39)

So möchte ich mal reden können.
Mit dieser Gewissheit.
Mit dieser Unerschrockenheit und Furchtlosigkeit.
Mit diesem Gottvertrauen.

Ich höre, wie der Apostel Paulus den Mund sehr voll nimmt, wirklich sehr voll.
Und ich merke, wie klein mein Glaube ist verglichen mit diesen Sätzen des Paulus.
Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.
Wenn ich mir da nur so sicher sein könnte.

Wenn ich auf dieses Jahr 2014 zurückblicke, dann fällt mir durchaus einiges ein, das mich zum Zweifeln bringen könnte daran, dass Gottes Liebe in unserer Welt wirkt.

Ich muss das gar nicht alles aufzählen, wir alle lesen Zeitung und hören die Nachrichten:
die Grausamkeiten überall auf der Welt, die uns sprachlos machen vor Schrecken und Mitleid.
Männer, denen vor laufender Kamera der Kopf abgeschlagen wird.
Frauen, die vergewaltigt werden, als grausames Druckmittel und Demonstration blanker Macht.

Ist Gott für uns, wer könnte gegen uns sein?
Die Christen, die einst in Mossul oder anderen Städten im Irak oder Syrien zuhause waren – was denken sie, wenn sie diesen Satz hören?
Heulen könnte ich vor Wut, wenn ich nur versuche, mir ihre Lage vorzustellen.
Und nicht nur ihre.
So viele Menschen sind auf der Flucht, werden ausgenommen und ausgebeutet, werden mit falschen Hoffnungen auf ein besseres Leben angelockt
und erfahren doch nur Kälte und Hass und Gewalt und Angst und Hoffnungslosigkeit.

War das 2014 schlimmer als in anderen Jahren?
Mir kommt es so vor – aber es ist natürlich schwierig, das objektiv festzustellen.

Plötzlich wieder Krieg an der Ostgrenze Europas.
Plötzlich wieder die Frage, wie es mit unserer Wirtschaft weitergeht.
Eine Gesellschaft, die sich mehr und mehr aufspaltet,
in Fragen des Glaubens sowieso,
aber auch sozial und in den Fragen der Politik.
Der Grundkonsens, den wir mal hatten, scheint ein kleines Stück weiter verloren zu gehen.

Und auf der anderen Seite Menschen, die sich liebevoll engagieren,
Flüchtlingen helfen,
einfach da sind, wenn man sie braucht.
Die Spendenbereitschaft ist ungebrochen,
wir helfen gern in den Katastrophengebieten dieser Welt.

So ist es ein ambivalenter, ein zwiespältiger Blick auf dieses Jahr.
Was 2014 für mich zugenommen hat, das ist die Unsicherheit.
Die Unübersichtlichkeit.
Es wird immer schwieriger, den Durchblick zu behalten.
Und es wird immer leichter, Menschen zu ködern
mit den ganz einfachen Antworten auf die schwierigen und vielschichtigen Fragen.

Ich weiß nicht, ob Sie diesen Blick teilen.
Für jeden von uns spielen ja auch und vor allem die ganz privaten Ereignisse 2014 eine Rolle.
An einem Silvesterabend wie heute geht der Blick zurück auf ein Jahr, das uns geprägt hat.
Das uns alle ein Jahr älter und erfahrener gemacht hat.

Die Gedanken gehen zurück zu den glücklichen Momenten,
zu den Ereignissen, die noch lange strahlen werden.
Die uns jetzt noch wärmen, wenn wir uns erinnern.

Und sie gehen zurück zu den Momenten, die wir lieber nicht erlebt hätten.
Die tief eingeschnitten haben in das Gewebe unseres Lebens.
Die schmerzen und um die wir am liebsten herumdenken würden,
weil sie gar so weh tun.

Und für manche war dieses Jahr 2014 ein Jahr, das alles verändert hat.
Das einen Bruch gebracht hat.
Nichts ist so wie vorher.
Das erste Kind ist geboren worden.
Der Partner für’s Leben gefunden.

Oder aber:
Ein lieber Mensch ist gestorben.
Eine Krankheit hat das Leben komplett auf den Kopf gestellt.

Silvester ist der Abend, an dem das alles noch einmal besonders wachgerufen wird.
An dem die Dankbarkeit für das vergangene Jahr besonders groß ist.
Und der Schmerz besonders tief geht.
Es ist der Abend, an dem wir innehalten, uns Zeit nehmen dafür,
das Vergangene daraufhin zu befragen, was uns davon bleiben wird
an der Schwelle zum neuen Jahr.
Was wir mitnehmen dürfen,
was wir mitnehmen müssen,
was wir aber auch loslassen dürfen an diesem Jahreswechsel.

Und an diesem Abend hören wir den Apostel Paulus,
seine große Vertrauenshymne an Gottes Liebe,
die stärker ist als alles, was uns hier auf der Erde zustoßen kann:

Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte noch Gewalten,
weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur
uns scheiden kann von der Liebe Gottes,
die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Das schreibt einer, der nach äußeren Maßstäben nicht viel Grund gehabt hat, eine solche Hymne zu singen. Paulus kannte all das, was ich vorhin aufgezählt hatte, sehr wohl.
Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger – Paulus hat es nicht nur gekannt, sondern selbst erlitten.
Er kennt die Welt und ihr Elend – und er hört trotzdem nicht auf, die Liebe Gottes zu preisen.

Verschließt er die Augen vor dem Elend?
Redet da einer wider besseres Wissen?
Oder setzt ihm sein Glaube eine rosarote Brille auf,
die alles in ein mildes Licht taucht,
so dass es nicht mehr so weh tut?

Nein, natürlich nicht.
Paulus will kein Opium verteilen, das die Schmerzen lindert.

Sondern er schreibt, was er selbst glaubt.
Und nimmt dabei eben den Mund voll. Weil er selbst es so erfahren hat.
Und dieser Glaube, der heißt genau das:
Mit offenen Augen, mit wachem Verstand und mit mitfühlendem Herzen
die Welt wahrzunehmen, wie sie ist.
Ungeschminkt – mit den Höhen und Tiefen des Lebens.

Und mit eben diesem Blick an der Zuversicht festzuhalten,
dass Gottes Liebe in der Welt ist und diese Welt nicht alleine lässt.

An Gottes Liebe glaubt er – und nicht an Gottes Allmacht.
Das ist der große Unterschied.
Und deshalb haben Christen zu allen Zeiten diese Sätze des Paulus mitsprechen können.
Weil sie verstanden haben:
Nicht Gottes Eingreifen in diese Welt erwarten wir,
mit Macht und Gewalt und mit überirdischen Waffen, die nur ihm zu Gebote stehen.
Sondern auf Gottes Liebe dürfen wir uns verlassen,
die nicht von uns geht, auch dann, wenn wir in Zeiten Leben,
in denen die Liebe der Menschen nur ein ferner Traum ist.

Paulus glaubt nicht trotz der Not und des Elends,
sondern er glaubt in aller Not und in allem Elend an die Liebe Gottes.

Er hält geradezu starrköpfig daran fest:
Nichts, aber auch gar nichts bringt Gott dazu,
seine Liebe zu dieser Welt von uns zurückzuziehen.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass wir Silvester so kurz nach Weihnachten begehen.
An Weihnachten feiern wir, dass sich Gott mit unserer Welt unlöslich verbunden hat.
Dass Gott mit dieser Welt, mit uns Menschen mitgehen will –
uns nicht nur von oben betrachten will, sondern an unserer Seite sein will.

Gott bleibt an unserer Seite,
er hat an unserer Seite selbst die tiefsten Tiefen und die höchsten Höhen erfahren.
Er ist nicht ausgestiegen aus seiner irdischen Geschichte
Und er verlässt uns nicht in unserer.

Und wenn wir dies glauben,
dann gibt es keinen Moment in unserem Leben, an dem Gott von unserer Seite gewichen wäre.
Er ist nicht der Gott, der alles zurechtrückt, wie wir es gerne hätten.
Das wäre der mächtige Gott, auf den wir vergeblich warten werden.

Aber er ist ein Gott, der uns die Hand hält gerade dann, wenn es schwierig wird,
wenn es traurig wird, wenn es unerträglich wird.
Der uns nicht loslässt und nicht fallen lässt.
Das ist der liebende Gott, von dem Paulus spricht – von dem die ganze Bibel spricht.

Das zu glauben, verändert mein Leben.
Es verändert meine Rückschau auf das vergangene Jahr.
Vielleicht erkenne ich heute den einen oder anderen Moment,
in dem ich diese Liebe gespürt habe.
Ohne mir dessen bewusst zu sein.

Und es rückt den anderen Moment zurecht,
an dem ich diese Nähe so unendlich vermisst habe, weil es mir schlecht ging,
weil ich eben nichts spüren konnte, dass mir Gott die Hand hält.

Er ist da mit seiner Liebe, sagt Paulus.
Und er ist jetzt bei Dir, wenn Du über dieses vergangene Jahr nachdenkst.
Er ist da, wenn Du dankbar bist.
Er ist da, wenn Du über Dich selbst unzufrieden bist.
Er ist da, wenn Dich die Trauer überwältigt.
Er ist da, wenn Dein Leben in Scherben vor Dir liegt.
Und er ist da, wenn sich die vielen Fäden Deines Lebens zu einem schönen großen Ganzen verbinden.

Vor allem ist er da, wenn Du unsicher bist, was kommen wird.
Wenn Du nach dem suchst, was Dir Kraft für das Neue gibt, das jetzt anbricht.

Er mischt sich ein in Dein Leben, nicht mit Macht, sondern mit Liebe.
Und dieser Liebe darfst Du vertrauen,
Du darfst sie weiterschenken,
komme, was da wolle.

Amen.