Gebete verändern Gott – und uns | nikolaushueck blog

Gebete verändern Gott – und uns

Predigt zu 1. Tim 2,1-6

Eintrag vom

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde.

Augsburg betet für den Frieden – immer schon –
und seit ein paar Monaten wieder mit einem eigenen Gottesdienst.
Punkt7 heißt dieser Gottesdienst und findet an jedem 7. im Monat
um 7:00 Uhr abends abwechselnd in St. Moritz und in St. Anna statt.

Vielleicht haben Sie davon gehört:
Die Organisatoren nehmen sich immer ein spezielles Thema vor
und laden dazu Experten ein, die von einer bestimmten Region
der Welt erzählen, von einem Brennpunkt des Unfriedens.

Von der Ostukraine etwa – oder vom Nahen Osten,
von der Situation der Jesiden in Nordsyrien
oder, wie am vergangenen Donnerstag,
von den verfolgten Christen im Irak und anderswo auf der Welt.

Im Mittelpunkt dieser Friedensgottesdienste steht ein Fürbittengebet,
an dem sich jeder beteiligen kann,
bei dem Kerzen angezündet und Lieder gesungen werden.

Der Besuch ist enorm – es kommen viel mehr Menschen,
als es sich die Organisatoren erhofft hatten.
Offensichtlich gibt es eine Sehnsucht danach, etwas zu tun.
Die Not der Welt nicht schweigend mit anzusehen.
Hier von unserem sicheren Augsburg aus.
Wo uns die Erdbeben nicht erreichen und seit 70 Jahren kein Krieg mehr.
Wo wir mit dem Leid der Welt nur insofern in Berührung kommen,
als Menschen hier stranden, die Not und Elend am eigenen Leib erlebt haben
und es irgendwie geschafft haben, aus ihrer Heimat zu uns zu fliehen.

Die Menschen wollen nicht mehr schweigen, sondern etwas tun.
Deshalb kommen sie in die punkt7-Gottesdienste.
Böse Zungen könnten nun fragen: Was tut ihr denn schon?
Was hilft Euer Gebet?
Sammelt für die in Not Geratenen!
Werdet politisch aktiv!
Wenigstens: Geht auf die Straße und demonstriert für den Frieden!
Stattdessen setzt ihr Euch in eure Kirchen, zündet Kerzen an
und faltet die Hände.
Davon ist noch niemand gerettet worden.

Ja, was soll man darauf antworten?
Es stimmt schon: Ein Gebet ist nicht dasselbe wie tatkräftige Hilfe.
Und es ist auch etwas anderes als eine politische Demonstration.
Ein Gebet wendet die Not nicht –
zumindest nicht so, wie wir das gerne hätten:
Mächtig, wirkungsvoll, sofort und auf der Stelle.

Ich falte die Hände – und die Welt ändert sich.
So läuft das nicht. Das wissen wir.
Und trotzdem beten wir.
Nicht nur einmal im Monat, sondern in jedem Gottesdienst.
Fürbitte tun für alle Menschen,
seit den Tagen des 1. Timotheus-Briefes ist das fester Bestandteil des Lebens als Christ.

Wir danken Gott für alles, was uns an Gutem geschieht.
Wir bitten ihn für uns und für alle Menschen.
Wir klagen ihm das Leid der Welt.
Manchmal schreien wir ihn an –
wie er zulassen kann, dass tausende Menschen bei einem Erdbeben sterben,
dass dieser eine Mensch an Krebs stirbt,
dass es immer noch Hunger auf der Welt gibt und Ebola
und Korruption und Gewalt und Dummheit.

Nicht jedes unserer Gebete verändert die Welt.
Ich glaube aber fest, dass jedes Gebet Gott verändert.
Und ganz gewiss verändert jedes Gebet uns selbst.

Wenn wir beten, kommt etwas in Bewegung.
Mit Gott, mit uns – und vielleicht irgendwann auch mit der Welt.

Wenn wir beten, dann bewegen wir Gott.
Wir glauben doch nicht an einen starren, unbeweglichen, majestätisch über den Wolken thronenden Gott, dem unser Schicksal letztlich herzlich egal ist.
Wir glauben doch an einen Gott, der sich leidenschaftlich für uns interessiert.
Der den Schmerz mit den Schmerzvollen spürt.
Der mitleidet mit den Elenden und der immer auf ihrer Seite stehen wird.

Wir glauben an einen Gott, der nicht alle unsere Wünsche erfüllt,
der sich aber berühren lässt vom Schicksal jedes einzelnen Menschen.
Allein das zu wissen, das kann uns vor der Verzweiflung bewahren.

Und dann verändert das Gebet auch uns.
Wer die Hoffnung auf den barmherzigen Gott nicht aufgibt,
bekommt neue Kraft, neuen Mut, sich zu engagieren,
die Welt nicht Welt sein zu lassen
sondern etwas zu tun, was etwas verändert.
Im Kleinen. Vielleicht im ganz Kleinen.
Und wenn es nur eine Spende an die Diakonie ist.
Oder dass ich an einer Demonstration für den Frieden teilnehme,
oder ein Flüchtlingsheim besuche und frage, was die Menschen brauchen.

Wer die Hände gefaltet hat – der wird sie danach aufmachen,
um zu helfen. Um zu teilen.
Um weiterzugeben, was ihm selbst an Hoffnung geschenkt ist.
Deshalb habe ich beten und Handeln nie für einen Gegensatz gehalten.

Ich glaube: Gerade wer wirklich handeln will – der sollte zuvor beten.
Nicht immer, aber manchmal, da hilft Beten mir dabei
dass ich mir klar werde, warum ich etwas tue.
Dass es dabei nicht um mich und vielleicht um meine Eitelkeit geht,
sondern um den anderen.
Beten richtet meinen inneren Blick auf Gott.
Und Gott richtet meinen inneren Blick auf die, die Hilfe brauchen.

Deshalb halte ich Beten für so wichtig.
Und gleichzeitig merke ich, wie hilflos viele Menschen sind,
wenn es um’s Beten geht.
Wie schwer es vielen fällt, die richtigen Worte zu finden.

Ich glaube, es gibt nicht die richtigen Worte – zumindest sind sie nicht für alle gleich.
Richtig sind die Worte dann, wenn sie von innen heraus kommen.
Wenn sie widerspiegeln, was in mir vorgeht.
Beim Beten brauche ich mich nicht zu verstellen.

Schwierig wird es, wenn die Worte nachgemacht sind – wenn sie den Pfarrer imitieren.
Das erlebe ich oft bei Taufen oder Hochzeiten, wenn Paten oder Trauzeugen Fürbitten formulieren.

Ich weiß schon:
Wir Pfarrer haben manchmal eine fürchterliche Sprache –
gerade beim Beten.
Wir verwenden Formeln, Floskeln, vorgestanzte Worte,
die vielleicht einmal einen guten Sinn gehabt haben,
die jetzt aber nur noch Hülsen abgeben für das,
was wir eigentlich sagen wollen.

Ich nehme mich da nicht aus.
Wenn ich im Gottesdienst das Fürbittengebet spreche,
dann will ich es so formulieren,
dass sich die ganze Gemeinde darin wiederfinden kann.

Und da wir alle unterschiedlich sind,
da wir alle, jeder und jede für sich, sehr unterschiedlich beten,
deshalb ist es so schwer, eine Sprache zu finden, die allen gleich angemessen ist.
Also verlegen wir uns auf bewährte Formulierungen.
Formeln, die „richtig“ sind.

Wenn es aber um irgendetwas NICHT geht beim Beten,
dann ist es die Richtigkeit.
Es geht um Lebendigkeit.
In’s Gebet lege ich mich mit allem, was ich bin und habe,
und hoffe auf ein offenes Ohr bei dem, der mich besser kennt als ich mich selbst.
Er braucht keine Formeln und Floskeln von mir zu hören.
Ich darf das sagen, was mit mir auf der Zunge liegt,
was mir auf dem Herzen liegt,
was ich sonst keinem anderen Menschen auf dieser Welt anvertrauen würde.
Ja, selbst das, was ich mir selbst nicht eingestehen will,
das darf ich ihm sagen, stammeln, stottern –
und manchmal sind das die wichtigsten Teile.

Und für die Momente, in denen wir gemeinsam beten,
oder in denen mir selbst die Sprache fehlt,
für diese Momente hat unsere Traditionen einen Schatz an
Texten, die wir sprechen können – den Psalm 23 etwa – oder natürlich das Vaterunser.
Hier im Gottesdienst, oder am Krankenbett mit einem Sterbenden.

Einen letzten Gedanken noch zur Obrigkeit.
Nicht nur für alle Menschen allgemein soll die Gemeinde beten.
Auch „für die Könige und für alle Obrigkeit,
damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können
in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit“.
Der Text erwähnt es ganz ausdrücklich.

Die Obrigkeit in’s Gebet nehmen:
Das fiel den Christen damals sicher schwer,
die Obrigkeit war ihnen in den seltensten Fällen wohlgesonnen.
An vielen Orten wurden Christen, wenn nicht verfolgt, dann doch drangsaliert und schikaniert.

Für die Obrigkeit beten, damit man seine Ruhe hat –
das mag aus heutiger Sicht unterwürfig klingen.
Beten, damit man ein ruhiges und stilles Leben in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit führen kann,
das riecht nach Biedermeier, nach Zurückgezogenheit und nach Angepasstheit.
So ist es oft verstanden worden.

Ich lese es allerdings ganz anders:
Die Welt und ihr Schicksal darf euch nicht egal sein,
sagt der 1. Timotheusbrief.
Die, die die Welt lenken und ihren Lauf bestimmen,
die Könige und Fürsten, die haben eine ganz besondere Verantwortung
und sie sind ganz besonders auf Gottes Hilfe angewiesen.
Lasst sie nicht aus ihrer Verantwortung,
vor Gott Rechenschaft abzulegen.
Und lasst Gott nicht aus seiner Verantwortung,
auf die Mächtigen dieser Welt ein ganz besonderes Augenmerk zu legen.

Und wie ist das heute?
Wir sind, laut Verfassung, selbst der Souverän,
statt einer Obrigkeit wählen wir uns unsere Regierenden selbst
und sind anschließend mal mehr, mal weniger mit ihnen zufrieden.

Ich glaube, die Mahnung, für sie zu beten, gilt auch heute noch.
Vielleicht noch stärker als damals.
Für die Regierenden und die Verantwortungsträger in Politik, Gesellschaft und auch in der Kirche zu beten, das bindet uns stärker mit ihnen zusammen.
Wir nehmen Anteil an ihrer Aufgabe.
Wir erinnern sie an ihre Verantwortung –
und erinnern auch uns daran, dass wir einen Großteil der Verantwortung auf sie übertragen haben, aber damit nicht einfach abgegeben.

Wir bleiben selbst immer auch verantwortlich für unsere Gesellschaft.
Demokratie braucht Beteiligte, keine Zuschauer.
Und Empörung, zu der wir immer gerne und schnell und überall bereit sind,
Empörung ist an sich noch kein politisches Engagement.

Die Fürbitten für die Mächtigen – für mich sind sie EINE Form
des politischen Engagements.
Und ebenso wie bei den Fürbitten für die Verfolgten dieser Welt
kann es dabei dann nicht bleiben.
Auf unser Gebet muss unser Engagement folgen.
Aber ohne Gebet bleibt unser Engagement blind und richtungslos und hoffnungslos.