Predigt zum Welttag der Suizidprävention | nikolaushueck blog

Predigt zum Welttag der Suizidprävention

10.9.2015, Sankt Moritz in Augsburg

Eintrag vom

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“.

Liebe Besucher dieses Gedenkgottesdienstes,
liebe Angehörige,

es ist gut, es ist richtig und wichtig,
dass wir heute zusammen sind,
am Welttag der Suizidprävention.

Es ist gut, dass es so einen Tag gibt,
der immer wieder öffentlich macht,
was in unserer Gesellschaft oft verdrängt und verschwiegen wird.
Verschwiegen aus Unwissenheit, aus falscher Rücksichtnahme, aus ehrlichem Erschrecken oder einfach nur aus Peinlichkeit.

Es ist gut,
dass wir uns an diesem Tag hier in der Moritzkirche treffen,
in der Mitte unserer Stadt.
Dass wir so aus der Ecke des Schweigens,
aus der einsamen Trauer heraustreten
und öffentlich machen,
was uns nicht loslässt,
was uns innerlich zerreißt,
was uns nachts um den Schlaf bringt.

Ich bin froh darüber, dass wir versuchen, eine Sprache zu finden für das, wofür es kaum Worte gibt.
Und ich bin dankbar dafür, dass wir das in einem Gottesdienst tun.
In einem Raum, der Trauer, Schmerz, Wut, Scham,
der das ganze Wirrwarr unserer Gefühle aufnehmen kann.

Hier in diesem Raum, sind diese Gefühle gut aufgehoben.
Hier haben unzählige Menschen vor uns ihr Leid geklagt,
ihre Verzweiflung stumm herausgeschrien.
Und viele von ihnen haben die Erfahrung gemacht,
hier neue Hoffnung und Trost geschenkt zu bekommen.

Für manche von Ihnen, die Sie heute gekommen sind,
ist der Schmerz noch zu frisch,
die Trauer noch zu dunkel, die Gefühle noch zu verworren,
als dass sie heute schon an Trost denken könnten.

Andere erinnern sich an diese Zeit, haben aber auch erlebt,
wie sie danach zurück gefunden haben in ein Leben,
ein Leben, das freilich ganz anders war als das davor.

Dass ein geliebter Mensch sich das Leben nimmt,
ein Partner, eine Partnerin,
ein Kind, Geschwister, ein Freund, eine Freundin,
das ist so unfassbar, das erschüttert so nachhaltig
die Grundfesten des eigenen Lebens,
dass an ein Weiterleben wie bisher nicht zu denken ist;
Die hellen Tage von einst erscheinen wie ein Traum.
Und die Hoffnung, je wieder so helle Tage zu erleben, in weite Ferne rückt.

Ein Suizid legt den Angehörigen eine ungeheuerliche Last auf.
Zur Trauer und zum Schmerz kommen die Fragen nach dem eigenen Anteil.
Was hätte ich früher sehen und erkennen müssen?
Wie hätte ich mich anders verhalten können?
Habe ich an etwas schuld?

Es hilft nichts, wenn man sich ganz objektiv
und auch in den Augen der anderen nichts vorzuwerfen hat.
Die Fragen sind da – und sie machen die Last,
die die Angehörigen mit sich herumtragen müssen,
zusätzlich schwer und manchmal schier unerträglich.

Es ist eine Last, die niemand sich selbst auferlegt.
Sie kommt oft aus heiterem Himmel.
Und ihre Wucht und Schwere kann niemand vorher erahnen,
selbst dann nicht, wenn sich der Suizid in irgendeiner Weise angekündigt haben sollte.
Angehörige müssen mit dieser Last leben.
Sie einfach so abschütteln geht nicht.
Und es scheint zuerst auch aussichtslos,
diese Last mit anderen teilen zu wollen.
Zu sehr scheint sie meine eigene Last zu sein.
Etwas, mit dem ich alleine fertig werden muss.
Aber genau darauf kommt es an:
Die Last zu teilen.
Denn fertig werden wir mit ihr nie.
Schon gar nicht alleine.

Im Neuen Testament gibt es einen Text, der eine einzige große Einladung zum Teilen der Last ist.
Eine große Einladung, die Einsamkeit der Trauer zu verlassen und die Last nicht allein zu tragen:

Jesus Christus spricht:
Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, spricht Jesus Christus,
ich will euch erquicken.
Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir;
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. (Mt 11, 28-30)

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“.
Es tut so gut, die Last nicht allein tragen zu müssen.

Ich glaube, Jesus war ein großer Menschenkenner.
Er weiß, wie schwer es ist, die ersten Schritte aus dem Schmerz und aus der Trauer zu gehen.
Er weiß, wie unsagbar mühsam es ist, wieder Hoffnung und Vertrauen in’s Leben zu fassen.
Und er weiß, wie sehr wir uns nach der Ruhe der Seele sehnen.
Danach, dass sich die zerbrochenen und zerrissenen Einzelteile unseres Lebens wieder neu zusammenfügen.

Er bietet deshalb auch keine schnelle Hilfe an.
Keine Hilfe, deren Wirkung nach kurzer Zeit doch wieder verpufft.

Aber er bietet sich selbst an: als Symbol der Hoffnung.
und als Mensch, der anderen zugehört hat,
der auf sie eingegangen ist,
der heilen konnte, wie niemand vor oder nach ihm.

Zu ihm kommen heißt, zu lernen, sich anderen Menschen anzuvertrauen.
Heißt, sich zu öffnen und den Schmerz herauszulassen.

Von Jesus lernen heißt, die Scham nicht zu einer Mauer werden zu lassen, die die Herzen von den Herzen trennt.
Sich öffnen mit der eigenen Not und selbst offen zu sein für die Nöte der anderen – das ist es, was Jesus uns lehren will.
Und das nicht erst, wenn die Katastrophe schon hereingebrochen ist, sondern schon vorher.

Niemand darf verloren gehen.
Allen Mühseligen und Beladenen gilt seine Einladung.
Und allen Mühseligen und Beladenen und gilt auch unsere Sorge.
Den Trauernden und Verzweifelnden und Verlassenen ebenso wie denen,
die heute von Suizidgedanken gequält werden.

Ruhe für die Seele verspricht Jesus denen, die nicht versuchen, mit ihrer Last allein fertig zu werden.
Die beladen, wie sie sind, zu ihm kommen, und ihre Last teilen.

Ruhe für die Seele:
nicht von brennendem Schmerz geweckt werden,
nicht von quälenden Fragen gepeinigt werden,
nicht scheinbar ohne Anlass Tränen, die in die Augen schießen,
Endlich dieses drückende Gewicht leichter machen zu können,
– das scheint so fern und so jenseits von allen gegenwärtigen Gefühlen,
dass wir es kaum glauben können.

Eine Hoffnung, die unsere Erfahrung übersteigt.
Und es ist doch eine Hoffnung, die Jesus uns macht.

Diese Hoffnung macht einer, der selbst eine ungeheuerliche Last getragen hat:
Das Kreuz, das er auf den Berg Golgatha hinauftragen musste.
Jesus weiß, was es heißt, sein Kreuz zu tragen.
Und er weiß auch, wie dieses Kreuz sich wandeln kann
von der schier erdrückenden Last zum Hoffnungszeichen.
Das gibt seiner Einladung, die wir nach seinem Tod und nach seiner Auferstehung hören, eine große Tiefe.

Von ihm lernen, das macht das Joch leichter,
die Last erträglicher.
Und von Jesus lernen heißt,
wieder Vertrauen in’s Leben zu fassen.
Von Jesus lernen heißt, Gott zu vertrauen.
Bis in die letzten Winkel der Dunkelheit Gott zu vertrauen.
Ihm zuzutrauen, dass er mich stützt, dass er mich hält.
Dass die Last, die ich tragen muss, mich nicht ganz und gar niederdrückt.
Und dass ich mich irgendwann wieder werde aufrichten können.
Stück für Stück, Schritt für Schritt.
Diese Hoffnung zu haben, das heißt von Jesus lernen.

Und diese Hoffnung befreit zu den ersten Schritten.
Zu den Schritten heraus aus dem ewigen Kreislauf der eigenen Trauer,
hinaus zu Gott und hinaus zu anderen Menschen.

Den Schmerz in ein Gebet legen.
Menschen finden, die mit mir die Trauer aushalten.
Die mich in den Arm nehmen und nicht sofort nach tröstenden Worten suchen.
Nach Worten, die zwar gut gemeint sein mögen, aber doch nur an der Oberfläche bleiben.

Gemeinsam schweigen, gemeinsam den Schmerz spüren –
das ist eine tiefe Erfahrung,
die tatsächlich der Seele Ruhe bringt.

Vor allem aber tut es gut, mit Menschen zu reden, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Die diese Mischung aus Trauer, Schmerz und Wut kennen.
Und die sich auch diese quälenden Fragen nach der eigenen Verantwortung stellen.
Deshalb ist AGUS so wichtig und deshalb ist dieser Tag so wichtig,
damit wir darüber reden,
und nicht jeder in seiner Trauerecke sitzen bleibt und einsam verstummt.

Jesus legt uns ein Joch auf:
Das Joch der Sorge umeinander.
Das Joch der Liebe zueinander.
Dieses Joch ist leicht, weil wir es gemeinsam tragen.
Amen.