Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun | nikolaushueck blog

Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun

Meditation zu Lk 23,34 am Karfreitag, 25.3.2016

Eintrag vom

Liebe bis zuletzt.
Vertrauen bis zuletzt.
Beten bis zuletzt.

Eben haben die römischen Soldaten ihn ans Kreuz geschlagen,
haben Arme und Beine mit Nägeln durchbohrt.
Schreckliche, unaushaltbare Schmerzen haben sie ihm zugefügt.

Nun sind sie fertig,
haben auf diesem unwirtlichen Hügel vor den Mauern Jerusalems ihre Arbeit erledigt,
drehen sich vielleicht schon um, um nachhause zu gehen.
Sie zucken mit den Schultern:
Was gehen sie die Verbrecher noch an,
die hier ihre gerechte Strafe bekommen?

Jetzt lassen sie diesen seltsamen Mann dort am Kreuz zurück.
Diesen Mann, der so ganz anders ist als die vielen anderen,
die sie schon ans Kreuz geschlagen haben.

Die anderen Männer haben sie angeschrien,
vom Kreuz herab haben die ihnen die Pest an den Hals gewünscht.
Haben ihnen nachgerufen,
wenn sie vor Schmerz überhaupt noch sprechen konnten.
Haben sie verflucht und ihnen die Rache Gottes angekündigt.

Das erste Wort aber,
das dieser Jesus von Nazareth an seinem Kreuz spricht,
ist ein Gebet.
Kein Rachegebet, sondern ein Fürbittengebet:
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“.
Sie können es kaum fassen, die Soldaten.
Manche schütteln den Kopf und gehen weiter.
Vielleicht bleiben auch ein paar andere stehen
und werden nachdenklich.

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“.
In diesem einen, kurzen Satz verdichtet sich noch einmal so vieles davon,
was Jesus gelebt und gesagt hat.

Es ist die Liebe, die Jesus treibt.
Sein ganzes Leben schon - und nun selbst im Sterben noch.
Eine Liebe, die nicht von ihm allein kommt.
Sie ist stärker als ein Mensch, sie kommt von Gott,
das hat er sein Leben lang gespürt
und sein Leben lang die Menschen spüren lassen.

Diese Liebe haben sie ihm nicht austreiben können.
Sie haben ihm den Prozess gemacht,
haben ihn verhöhnt, angespuckt, geschlagen, getreten und erniedrigt.
Diese Liebe, die stärker ist als er selbst,
die haben sie ihm nicht nehmen können.
Selbst jetzt, im Angesicht seines nahen Todes,
selbst jetzt betet er für die, die ihn tot am Kreuz hängen sehen wollen.

Er betet, und wendet sich an den, von dem die Liebe kommt.
Er betet für die Soldaten,
die Menschen, die jetzt wieder nach Jerusalem in die Stadt hineingehen
und ihn hier draußen in der sengenden Hitze hängen lassen.

Aber er betet nicht nur für sie.
Nicht diese paar Männer haben ihn an’s Kreuz geschlagen.
Das waren alle Menschen, die ihn damals nicht verstanden haben
und bis heute nicht verstehen.
Das waren und das sind alle Menschen,
die seine Predigt von der Liebe seines Vaters hassen.

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“:
Jesus betet für seine Peiniger, aber er betet auch für uns.
Für uns, die wir immer noch nicht wissen,
wie wir mit dieser grenzenlosen Liebe Gottes umgehen sollen.

Für uns, die wir immer noch lieber auf uns selbst vertrauen
als auf Gott
und die wir immer noch gegen diese grundlose Liebe Gottes anleben.

Wir alle haben die Bitte um Vergebung nötig,
weil wir alle in unserem tiefsten Inneren nicht wissen,
was wir tun.

Niemand, der von der Bitte um Vergebung ausgenommen wäre.
Niemand, der wirklich und im Letzten weiß, was er tut.
Die Bitte um Vergebung ist grenzenlos.

Jesus bittet Gott sogar für die Verbrecher um Vergebung.
Für die Verblendeten, die Hassenden, die Gewalttätigen.
Wir sehen an ihm, dass Gott selbst denen vergeben kann,
die aus Fanatismus morden und töten.

Das ist schwer zu ertragen.
Und es ist doch eine Folge der Liebe,
für die Jesus gestorben ist.

Was soll uns das sagen?
Ich glaube, niemand kann für die Täter um Vergebung bitten als allein die Opfer.
Niemand anderer konnte für die Soldaten bitten,
die ihn ans Kreuz geschlagen haben, als Jesus selbst.
Ihn hatten sie gequält - und nur er konnte für sie beten.

Und so sind es auch die Angehörigen der Opfer von Brüssel oder Paris,
von Ankara oder Aleppo, die allein Gott um Vergebung für die Täter bitten können.
Wir können mit ihnen weinen, wir können ihnen zeigen,
dass wir sie nicht allein lassen wollen,
wir können um Trost für sie beten.

Den Tätern vergeben aber, das können nur sie.
Wie schwer das ist, kann niemand ermessen,
der nicht eine ähnliche Situation erlebt hat.
Fast übermenschlich mutet das an.
Und trotzdem macht es uns Jesus vor.

Ich glaube:
Ohne den Glauben an Vergebung,
ohne die Hoffnung auf Gott, wie Jesus sie hatte,
ohne die Liebe Gottes für alle seine Menschen,
die Jesus selbst am Kreuz noch spürt:
Ohne Glaube, Hoffnung und Liebe versinken wir in Hass und Rache
und folgen damit der Logik, die uns die Täter aufzwingen wollen.

Noch schütteln die Soldaten den Kopf über diesen Gekreuzigten, der für sie betet.
Noch triumphieren die Attentäter über die große Zahl der Opfer.
Noch sind die Tränen der Opfer stärker als alles andere.
Noch lassen wir uns leichter von Rachegefühlen als von Liebe hinreißen.
Noch ist Karfreitag.