Beten ist das Gegenteil von Fanatismus und Intoleranz | nikolaushueck blog

Beten ist das Gegenteil von Fanatismus und Intoleranz

Predigt zu 1. Tim 2,1-6

Eintrag vom

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue
Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen,
für die Könige und für alle Obrigkeit,
damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können
in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland,
welcher will, dass allen Menschen geholfen werde
und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen,
nämlich der Mensch Christus Jesus,
der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung,
dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde.

Beten als Schlaftablette.
das ist mein erster Gedanke, wenn ich diesen Text höre.
Man soll für die Obrigkeit beten,
damit man ein ruhiges und stilles Leben führen kann,
in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.

Das hört sich bestenfalls nach Gartenzwergen und
hohen Thuja-Hecken zu den Nachbarn an,
nach gepflegter Langeweile.
Im schlechtesten Fall ist das die Ermahnung,
die aus uns den perfekten Untertanen machen will:
Nicht aufmucken, nicht kritisieren, nicht selbst denken,
sondern sich der Obrigkeit fügen.
Und für sie beten.

Ich habe Beten immer ganz anders verstanden:
Als Ausdruck dafür, dass es jemanden gibt,
an den ich mich wenden kann.
Mit allen, mit wirklich allen meinen Gefühlen:

Mit meiner Dankbarkeit und meiner Freude.

Mit meiner Wut über die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt
und meiner Sehnsucht nach einer anderen, nach einer besseren Welt.

Mit meiner Unsicherheit, wie’s weitergeht in meinem Leben
und mit meiner Angst vor der Dunkelheit,
die mir manchmal so nahe kommt.

DAS ist für mich beten:
Mich ausrichten auf Gott,
meine Hoffnung herausschreien, herausstammeln,
laut oder tief in mir drin,
meine Hoffnung darauf,
dass diese Welt nicht das letzte ist, das Letztgültige.

Dass diese Welt nicht das ist, worüber hinaus
nichts besseres gedacht und erhofft werden kann.

Beten bedeutet für mich, dass es eine Alternative zu dieser Welt gibt,
eine Alternative, in der es kein Leid und keine Not und kein Elend und keine Trauer gibt.

Und dass ich mich mit dem Gebet an Gott wende,
der diese Alternative für mich bereit hält:

Erst in der Zukunft, mag sein, also noch nicht jetzt sofort,
aber doch so, dass ich sie jetzt schon spüren kann,
dass ich sie jetzt beim Beten erfahren kann,
in mir,
so dass mein Herz ruhig wird und ich die Kräfte sammeln kann
für das, was ich jetzt tun kann und tun soll.

Für mich ist Beten deshalb immer auch Rebellion gegen das, was ist,
und was uns das Leben manchmal so schwer macht.

Und da kommt nun dieser Predigttext,
der scheinbar etwas ganz anderes von mir will:
Schick Dich in Dein Schicksal, scheint er zu sagen.
Und bete für die Obrigkeit.
Wie gesagt: Beim ersten Lesen kommt mir der Text so vor,
als ob er uns das Beten wie ein Sedativum verschreibt,
das uns ruhig stellt,
damit nichts die Idylle der herrschenden Ordnung stört.

Aber vielleicht tue ich dem Text auch Unrecht.
Vielleicht muss ich ihn ein zweites, drittes, viertes Mal lesen,
um zu verstehen, dass ich ihn beim ersten Mal nur halb verstanden habe.
Manchmal brauche ich so lange, um auf die eigentliche Spur
eines solchen Textes zu kommen.

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue
Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen,
für die Könige und für alle Obrigkeit …

Wenn man bedenkt, wie klein die christliche Gemeinde damals war,
wie vorsichtig die Christen in dieser Zeit sein mussten,
welch schwieriges Verhältnis sie zu ihrer Umwelt hatten,
wie sie potentiell immer bedroht und später dann sogar verfolgt waren …

Und trotzdem beten sie für alle Menschen.
Für alle, also nicht nur für sich, für ihre Gemeinden,
für die anderen christlichen Gemeinden,
sondern für alle Menschen.
Und sogar für die Obrigkeit,
die ihr in den meisten Fällen alles andere als wohlgesonnen war.

Das ist dann doch erstaunlich:
Betet für die, die anders sind als ihr.
Betet für die, die mit uns im Streit liegen.
Betet für die, die euch verfolgen und euch platt machen wollen.

Das ist in der Tat eine Facette des Textes,
eine Ermahnung, die ich beim ersten Mal schlicht überlesen habe,
die ich aber großartig und richtig und lebensdienlich finde.

Vielleicht ist sie aber nicht so einfach umzusetzen.
Für die beten, mit denen ich nichts anfangen kann?
Die mir unter Umständen sogar Übel wollen?

Der Text will es so.
Das ist Gott wohlgefällig, heißt es,
weil Gott will, dass allen Menschen geholfen werde.

Allen Menschen soll geholfen werden,
deshalb sollen wir für alle Menschen beten.
Beten verändert etwas, sagt der Text,
und der erste, der sich verändert, bin ich selbst.

Denn wenn ich für andere bete, für die, die anders sind,
dann macht mich das offen und frei von ängstlichem Einigeln und Abschotten.
Ein wunderbarer Gedanke -
nicht nur zu Zeiten der ersten christlichen Gemeinden.
Sondern auch heute, wo wieder Religionen auf Religionen prallen,
wo die Scharfmacher die Unversöhnlichkeit der Religionen predigen,
und wir uns überlegen müssen, welches Verhältnis wir denn wirklich
zueinander finden wollen.

Bleibt die Frage, was der nächste Satz heißt:
Gott will, „dass allen Menschen geholfen werde
und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

Ist das nicht doch versteckte Intoleranz?
Ist das nicht doch die Aufforderung, die anderen zu missionieren?
Ist das nicht doch entsetzlich überheblich und intolerant?
Haben wir das nicht hinter uns, dass wir für die anderen nur so beten können,
dass Gott sie von unserem eigenen Glauben überzeugen möge?

Der Text ist vielfach tatsächlich so verstanden worden.
Und es gibt in unserer Kirchengeschichte unzählige Beispiele dafür,
wie man Stellen wie diese dazu benutzen kann,
den Glauben der anderen nicht ernst zu nehmen,
die anderen so zu betrachten, als fehlte ihnen etwas.
Und als könnten sie dies nur durch uns bekommen,
wenn wir ihnen den rechten Glauben bringen.
Vielfach mit Gewalt - und auch dafür gibt es viel zu viele Beispiele
in unserer Geschichte - ebenso wie in den Geschichten der anderen Religionen.

Ich verstehe das anders.
Und der Predigttext offenbar auch:

Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen,
nämlich der Mensch Christus Jesus,
der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung,
dass dies zu seiner Zeit gepredigt werde.

Ich glaube, der Predigttext ist eine Einladung zur Offenheit.

Er ist eine Einladung zur Offenheit
über die sonst üblichen Differenzen der Religionen und der Gottesvorstellungen hinweg.

Gott selbst ist einer und nur einer.
Und Jesus Christus hat sich für alle Menschen gegeben.

Wie könnten wir dann diejenigen sein, die Grenzen ziehen?
Wie könnten wir ein Ihr und ein Wir unterscheiden?

Natürlich ist es unser Aufgabe, unseren Glauben so zu leben,
dass er für andere attraktiv ist.
Natürlich dürfen und sollen wir davon träumen, dass der Glaube
an Jesus Christus von allen Menschen geteilt wird,
und dafür sollen und dürfen wir uns auch engagieren.

Aber die Wirklichkeit ist nun mal eine andere:
Es gibt unterschiedliche Religionen,
es gibt Menschen, die anders glauben als wir.
Ja, es gibt Religionen, die sich zunächst einmal fremd gegenüberstehen.

Ich glaube, unser Predigttext ist eine Einladung zur Offenheit dem Fremden gegenüber.
Gott selbst hat sich in einem Menschen gezeigt.
Wie könnten wir dann diejenigen sein,
die andere Menschen ausschließen?

Mit der sanften Schlichtheit des Gebets
verträgt sich keine Radikalisierung.
Im Gebet bringen wir unsere Sehnsucht nach einem friedlichen Leben,
nach einem Leben im Frieden zum Ausdruck.

Wie könnte dann das Gebet der Ort sein,
wo wir die anderen zu Fremden machen
und die Fremden zu Feinden?

Füreinander beten,
in das Gebet alle Menschen einschließen,
auch die, die anders glauben als ich,
das ist das Gegenteil von Fanatismus, Engstirnigkeit und Intoleranz.

Wie kann man jemandem, für den man betet, -
den man also der Fürsorge Gottes anempfiehlt -
wie könnte man einem solchen Menschen etwas antun?
Ihn gewaltsam, sei es mit äußerlicher Gewalt oder mit der Gewalt der Worte
zu etwas zwingen wollen?

Ja, ich finde es wirklich:
Die Ermahnung, füreinander zu beten,
ist eine großartige die Ermahnung zum Frieden.
Vielleicht ist das die wirksamste Ermahnung überhaupt,
weil sie Frieden in den überhitzten Köpfen
und den aufgeregten Herzen stiftet.

Wirklich beten, sich wirklich auf Gott einlassen,
ihn den einzigen sein lassen, der in meinem Leben zählt:
Darin liegt Kraft zum Frieden:
Frieden in meinem Herzen
und Frieden mit meinen Mitmenschen.

Amen