"Ich glaube, hilf meinem Unglauben" | nikolaushueck blog

"Ich glaube, hilf meinem Unglauben"

Predigt zu Markus 9, 17-27

Eintrag vom

Einer aus der Menge sagte zu Jesus: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist.
Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr. Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten's nicht. 
Jesus antwortete und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir! Und sie brachten ihn zu ihm.
Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund. 
Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist's, dass ihm das widerfährt?
Er sprach: Von Kind auf. Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns! 
Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst - alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.
Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben! 
Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein! 
Da schrie er und riss ihn sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, so dass die Menge sagte: Er ist tot. Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf.

Es ist ein ziemlicher Kontrast, den der Evangelist Markus zeichnet:
In den Versen direkt vor unserem Predigttext führt uns Markus auf den Berg der Verklärung.
Wir sehen Jesus mit drei seiner Jünger hoch oben, in helles Licht getaucht.
Moses und Elia erscheinen,
Gott spricht aus einer Wolke: „Dies ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören“.
Die Jünger sind fasziniert, euphorisch, wollen am liebsten an diesem Ort für immer bleiben.
Nirgendwo haben sie mehr Bestätigung für ihren Glauben erfahren:
Dies ist Jesus, der Sohn Gottes, auf ihn wollen wir ganz und gar vertrauen.

Und doch müssen sie wieder absteigen.
Hinunter vom Berg, in die Niederungen des Alltags.
Auf die Verklärung folgt die harte Realität.

Das ist die Stelle, an dem der Predigttext einsetzt:
Die Welt, in der wir unseren Glauben leben, ist eben nicht nur hell und klar und schön.
Sie ist vor allem mühsam und voll Leid und Not.
Menschen sind krank, sind wie besessen, streiten, sind hilflos.
Auf dem Berggipfel ist glauben leicht.
Schwierig wird’s, wenn der Glaube auf die Wirklichkeit trifft.
So lese ich das, was Markus hier komponiert hat.

Drei Gedanken gehen mir dabei durch den Kopf.
Davon möchte ich heute morgen sprechen.

Mein erster Gedanke:
Unser Predigttext ist die wunderbare Geschichte von einem, der von einem langen Leiden geheilt wird.
Aber er ist auch eine Wundergeschichte, wie sie für moderne Ohren nur schwer zugänglich ist.

In Zeiten moderner Medizin sind wir es gewöhnt, für Krankheiten natürliche Ursachen anzunehmen. Wir machen keine bösen Geister verantwortlich, sondern suchen in Röntgen- oder Blutbildern, mit Mikroskopen oder anderem technischen Gerät nach dem, was Menschen krank macht.

Damit haben wir viel Erfolg, auch wenn die Medizin nach wie vor vor großen Rätseln steht und längst noch nicht alle Krankheiten zu heilen versteht.

Dass aber jemand geheilt wird, indem ihm ein böser Geist ausgetrieben wird, das mutet uns allemal merkwürdig an.
Trotzdem können wir die alten Texte mit Gewinn lesen.
Ich bin mir sicher: Wir müssen nicht an böse Geister glauben, und dennoch können wir diese Geschichte verstehen.
Sie kann uns etwas sagen, auch wenn wir die Bilder, die das Neue Testament verwendet, heute so nicht mehr verwenden würden.

Denn hinter dem scheinbar so naiven Glauben an böse Geister steckt ja eine Erfahrung, die auch wir modernen Menschen heute immer noch machen.
Auch dem aufgeklärtesten Zeitgenossen bleibt ja ein Rest von Fragen, die niemand beantworten kann, nicht einmal die modernste Wissenschaft. Und manchmal ist dieser Rest ziemlich groß. Manchmal gibt es mehr Fragen als Antworten.

Warum es gerade diesen und nicht jenen Menschen getroffen hat mit einer schweren Krankheit ist so eine Frage, auf die wir heute genauso wenig wie damals eine Antwort finden.

Warum muss gerade unsere Tochter mit einer Behinderung geboren werden, fragen sich Eltern?

Warum musste gerade die Mutter von zwei kleinen Kindern an Krebs sterben? Kein Arzt würde sich darauf eine Antwort trauen – und doch sind es gerade solche Fragen, die an die Substanz gehen. Menschen, die davon betroffen sind, können daran verzweifeln und zerbrechen.

Was hat den Mann am Hotelfenster in Las Vegas dazu getrieben, auf Konzertbesucher zu schießen, auf Frauen und Männer und Kinder, auf Rollstuhlfahrer, auf Mütter und frisch Verheiratete? Völlig wahllos, mit einer ganzen Batterie an automatischen Waffen, damit er in der Zeit, bis die Polizei kommt, möglichst viele Menschen töten kann?
Er sei kein Terrorist gewesen, heißt es.
Kein religiöser Fanatiker, sagen die Sicherheitsbehörden, sondern vielleicht geisteskrank - als ob Menschen, die aus politischen Gründen oder in religiöser Verblendung andere töten, nicht auch geisteskrank wären.

Es sei das absolut Böse gewesen, das über Las Vegas hereingebrochen ist, sagt der Präsident der Vereinigten Staaten.
Als ob das irgendwas erklären würde, irgendetwas verständlich machen würde.

Hilflos sind wir, wenn wir mit den schwarzen Seiten unserer Welt umgehen müssen. Genauso hilflos wie die Menschen zur Zeit Jesu.

Wo im Neuen Testament - wie im Predigttext - von einem bösen Geist die Rede ist, da wird mit ganz ausdrucksstarken und drastischen Bildern in Erinnerung gerufen: Es sind nicht nur gute Mächte in der Welt wirksam.
Weder in der Natur, noch darin, wie wir Menschen miteinander umgehen, ist alles in Ordnung.

Vieles von dem, was wir da sehen und erleben, ist so himmelschreiend, dass wir einstimmen mögen und mit dem Vater des kranken Jungen schreien: Herr, wenn du etwas kannst, so erbarme dich unser, hilf uns!

Vielen Menschen aber bleibt dieser Ruf im Hals stecken. Sie haben die Hoffnung auf Gott verloren. Sie können nicht mehr an einen Gott glauben, der Hunger, Katastrophen und Terror auf der Welt zulässt.

Und damit bin ich bei meinem zweiten Gedanken:
Wie geht das eigentlich: Glauben, wenn so vieles, was wir erleben, gegen den Glauben steht.
Hoffnung auf Gott setzen, wo doch so vieles, was passiert, unserem Gottvertrauen Hohn zu sprechen scheint?

„Alle Dinge sind möglich, dem der da glaubt“, sagt Jesus.
Das ist ein großer Satz. Und es ist ein gefährlicher Satz, weil man ihn leicht missverstehen kann.
Man kann ihn leicht umdeuten: So als ob Jesus sagen würde: ‚Streng dich nur an mit deinem Glauben, dann schaffst Du, was Du willst.’
So ist es nicht gemeint.
Und es sicher grundfalsch, einem kranken Menschen zu sagen: ‚Du hast eben nicht genug geglaubt, sonst wärst du schon wieder gesund.’ So kann ich Jesus nicht verstehen.

Ich gestehe, dass ich mich mit diesem Satz überhaupt sehr schwer tue.
Der Satz klingt nach Allmacht. Und ich erlebe hier eigentlich eher Ohnmacht.
Wenn man Jesus beim Wort nimmt, heißt das ja:
Niemand glaubt wirklich, so wie es Jesus meint.
Denn niemandem sind alle Dinge möglich, niemandem ist es bisher gelungen, den Teufel zu bändigen, der in unserer Welt so oft los ist:
Kein Politiker, kein Nobelpreisträger, kein noch so glaubensstarker Mensch, niemand hat das je geschafft.

Vielleicht war es wirklich Jesus selbst vorbehalten, so zu glauben, dass ihm alle Dinge möglich waren: dass er Wunder tun, Berge versetzen, Kranke heilen konnte.

„Alle Dinge sind möglich, dem der da glaubt“, das gilt für Jesus selbst. Aber dann muss man auch den ganzen Glauben Jesu nehmen. Denn, vielleicht war das der höchste Ausdruck seines Glaubens, er konnte schließlich auch seinen eigenen grausamen Tod als Gottes Willen annehmen.

„Dein Wille geschehe, nicht wie ich will, sondern wie du willst“ betet Jesus kurz bevor ihn die Soldaten im Garten Gethsemane gefangen nehmen. Für mich ist diese Stelle der Ausdruck des höchstmöglichen Gottvertrauens, zu dem Jesus fähig war.
Und dies hat ihm die Kraft gegeben, den Weg ans Kreuz auf sich zu nehmen.
So zu glauben wie Jesus: Das heißt, sich wirklich Gott ganz anzuvertrauen – das schließt das „Dein Wille geschehe“ ein.

Glaube hat deshalb nichts mit Allmacht zu tun. Es ist gerade umgekehrt: Wer glaubt, der weiß, dass er sich, dass er sein ganzes Leben, dass er alles Gott zu verdanken hat und ohne seine Gnade nicht leben kann.

Manchmal leuchtet der Schein einer solchen Glaubensstärke nicht nur bei Jesus, sondern auch bei Menschen auf, denen wir begegnen.
Es gibt Menschen, die mit Gott auf diese Weise ihren Frieden machen dürfen.
Menschen, die kurz vor ihrem eigenen Tod sich ganz in Gottes Hand begeben;
Menschen, die den Tod eines nahen Angehörigen – sicher nach einiger Zeit, aber dann immerhin – akzeptieren können, die sich auch in allem Schmerz, in aller Trauer, vielleicht auch in aller Wut ganz Gott anvertrauen können.
Wo Menschen zu solchem Gottvertrauen fähig sind, scheinen sie wirklich eine ganz überirdische Kraft geschenkt zu bekommen.
Vielleicht ist es das, was Jesus meint.

Ich habe vor solchen Menschen großen Respekt und weiß nicht, wie es mir in einer ähnlichen Situation gehen würde. Vielleicht kann man ja auch gar nicht im Voraus wissen, ob der eigene Glaube in einer solchen verzweifelten Situation wirklich stark genug sein wird.

Gerade deswegen - und das ist mein dritter und letzter Gedanke - gerade deswegen ist mir der Vater des Jungen in unserem Predigttext so sympathisch: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“, schreit es geradezu aus ihm heraus. Das ist mein Lieblingssatz in dieser Geschichte.

Bei Jesus ist dieser Hilfeschrei gut aufgehoben. In seiner Nähe darf man das aussprechen: Ich glaube – hilf meinem Unglauben.

Denn Jesus weiß, dass wir Menschen als ganzes hilfsbedürftig sind, unser Glauben eingeschlossen.
Bei ihm darf ich zugeben, dass ich mit meinem Glauben an ein Ende gekommen bin – und dass ich mich zugleich an ihn wende, meinem Glauben aufzuhelfen.

Ich denke: Glauben, echten Glauben, gibt es nicht ohne diesen Zusatz: „Hilf meinem Unglauben“.
Denn Glaube ist niemals ein Besitz, den auf den ich stolz sein könnte.
Glaube ist nichts, was mich auszeichnet vor Menschen ohne Glauben oder vor Menschen mit einem anderen Glauben.
So als ob ich als Christ ein besserer Mensch wäre.

Im Gegenteil: Je mehr ich glaube, desto mehr weiß ich, dass mein Glaube auf Hilfe angewiesen ist.

Aber Glauben heißt eben auch, zu wissen, wo ich mich in meiner Not hinwenden kann.
Glauben heißt, dass ich weiß, woher ich das Gute, das Heil zu erwarten habe – nicht bloß abstrakt und allgemein, sondern in einer ganz konkreten Situation.

So wie sich der Vater in seiner Not an Jesus wendet, und Jesus sagt: ‚Bringt ihn her zu mir’, so steht auch uns dieser Weg offen. Und dafür muss niemand ein Glaubensheld sein.

Und auch dann wird es noch das Auf und Ab unseres Lebens, den Wechsel von Freude und Schmerzen weiter geben.
Da, wo wir uns im Beten, im Loben und Danken auf Gott einlassen, wo wir ihm betend und lobend und dankend vertrauen, da eröffnen wir Gott neue Räume.
Da können seine Kräfte wirksam werden.
Da kann das weichen, was uns bedrücken und niederdrücken will.
Und wenn nicht, dann wird wenigstens unsere Angst und Traurigkeit und Bitterkeit weichen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all' unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.