Gericht? Barmherzigkeit! | nikolaushueck blog

Gericht? Barmherzigkeit!

Predigt zu Jak 2,1-13

Eintrag vom

Liebe Brüder, haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person.
Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprächet zu ihm: Setze du dich hierher auf den guten Platz!, und sprächet zu dem Armen: Stell du dich dorthin!, oder: Setze dich unten zu meinen Füßen!, ist’s recht, dass ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken?

Hört zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben?
Ihr aber habt dem Armen Unehre angetan.
Sind es nicht die Reichen, die Gewalt gegen euch üben und euch vor Gericht ziehen?
Verlästern sie nicht den guten Namen, der über euch genannt ist?
Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst«, so tut ihr recht; wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde und werdet überführt vom Gesetz als Übertreter.

Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig. Denn der gesagt hat: »Du sollst nicht ehebrechen«, der hat auch gesagt: »Du sollst nicht töten.«
Wenn du nun nicht die Ehe brichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes.
Redet so und handelt so wie Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen.
Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat;
Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht.

Der Jakobusbrief hat keinen guten Ruf.
Martin Luther, zum Beispiel, wollte ihn am liebsten aus seiner Bibel streichen.
Warum?
Weil der Brief des Jakobus so ganz anders ist als die Briefe der Apostel.
Weil er nicht die frohe Botschaft von der Erlösung durch Christus vermittelt, sondern vor allem aus Ermahnungen an die Gemeinden besteht.

So sah es Luther:
Wo Paulus von der Liebe Gottes spricht,
vom Glauben, der uns das ewige Leben schenkt -
da stellt der Jakobusbrief das Gesetz in den Mittelpunkt.
Ein Gesetz, das auch und gerade für uns Christen gilt.
Und das man immer wieder den Gemeinden einschärfen muss.
Denn ohne Gesetz verfallen wir dem Gericht Gottes, sagt der Jakobusbrief.
Ein Gericht, das unbarmherzig jeden trifft, der dem Gesetz zuwiderhandelt.

Gesetz, Gericht, Sünde:
Worte, die üblicherweise von einem erhobenen Zeigefinger begleitet werden.
Man spürt diesen Zeigefinger ja auch durch die Worte unseres Predigttextes hindurch:
Eine einzige Ermahnung. Und dann, zum Schluss, die Drohung:
„Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat“

Ungewohnte Worte. Worte, die Angst erzeugen. Und Angst war noch nie ein guter Ratgeber für ein gutes und gelingendes Leben.

Was also tun mit dem Jakobusbrief?
Wir könnten ihn einfach weglegen. Ein Text, der nun fast 2000 Jahre alt ist, von einem Autor geschrieben, von dem wir nicht wirklich wissen, wer er war.
Was soll’s, halten wir uns an Paulus, halten wir uns vor allem an die Evangelien, an das, was Jesus selbst gesagt hat. Und stellen den Jakobusbrief ins Regal zurück, Abteilung Schwarze Pädagogik.

Oder aber wir nehmen auch diesen Text ernst.
Auch er steht in unserer Bibel - und die, die ihn aufgenommen haben, hatten sicher gute Gründe dafür.
Diesen Gründen möchte ich heute nachgehen.

„Es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat.“
Für mich klingt das erst einmal falsch.
Die Barmherzigkeit soll uns eingebläut werden, indem uns ein unbarmherziges Gericht angedroht wird.

Kann man aus Angst barmherzig sein?
Kann man Liebe lehren, indem man Furcht verbreitet?
Was wäre das überhaupt für eine Barmherzigkeit, die nur aus der Angst entsteht, dass mir andernfalls ein unbarmherziges Gericht droht?

Ich habe die Botschaft des Evangeliums immer anders verstanden:
Gott liebt Dich - und wenn Du diese Liebe spürst, gibst Du sie weiter. Aus Dankbarkeit. Aus Freude. Gerade deshalb, weil Du die Angst um dich selbst loswerden kannst.

Du brauchst kein Gesetz dazu, Du tust es einfach, weil Du gar nicht anders kannst, wenn Du die Liebe Gottes spürst.
Das ist für mich das Evangelium.

Und jetzt kommt der Jakobusbrief - und ja nicht nur der - mit seinem Gericht.
Ich kann mir vorstellen, dass sein Verfasser eine Menge herber Enttäuschungen erlebt hat:
Da gibt es Gemeinden, in denen sich nichts geändert hat.
Den Menschen wird das Evangelium gepredigt - aber alles bleibt beim Alten.
Die Menschen, die sich Christinnen und Christen nennen - diese Menschen leben einfach so weiter wie bisher.
Sie hören von Jesus Christus, sie hören von der Liebe Gottes - und nichts, rein gar nichts wird anders.
Die Reichen in der Gemeinde bleiben die Angesehenen, die Armen müssen auf den billigen Plätzen stehen.

Das grundstürzend Neue, das mit Jesus Christus auf der Welt erschienen ist - in diesen Gemeinden merkt man nichts davon. Die Mächtigen haben das Sagen, die Reichen drangsalieren die Armen, die Ersten bleiben die Ersten und die Letzten bleiben die Letzten.

Da kann man schon mal die Wut kriegen.
Da kann man vielleicht auch mal über’s Ziel hinausschießen,
wenn das Evangelium einfach so verpufft.

Wenn jeder für sich das ewige Leben erhofft, aber der Nachbar in diesem Leben ihm völlig Wurscht ist, dann ist das eine besonders üble Form von Heuchelei.
Kann es wirklich sein, dass auch die Heuchler in Gottes Gericht bestehen, fragt der Jakobusbrief und seine Antwort ist eindeutig: Nein, irgendwann ist Schluss mit der Barmherzigkeit.
Nicht einfach, diesen Gedanken auszuhalten.
Aber gut, dass auch er Platz hat in unserer Bibel.

Es ist ein heiliger Zorn, der aus dem Jakobusbrief spricht.
Und das macht ihn wertvoll. Auch für uns.
Bevor wir satt und träge werden in unserem Glauben, bevor wir uns einlullen lassen vom Glauben an einen lieben Gott, der immer nur lieb und harmlos ist - bevor das passiert, lese ich lieber auch mal jemanden, der brennt in seinem Glauben, und vor allem brennt für Gerechtigkeit, für Liebe und für Barmherzigkeit.

Immer nur den lieben Gott predigen geht nicht.
Den bösen und rachsüchtigen Gott kann ich auch nicht predigen.
Vielleicht muss man sagen:
Gott nimmt es mit der Liebe so ernst, dass er durchaus zornig und wütend werden kann.
Vielleicht muss man sagen, dass sein Zorn sich über die ergießt, die Gottes Liebe wegwerfen.
Oder sie nur für sich selbst in Anspruch nehmen.
Oder denen die Liebe Gottes schlicht egal ist, weil sie genug Selbstliebe aufbringen.
Über die wird ein unbarmherziges Gericht ergehen, sagt Jakobus.

Das sind harte Worte, ich weiß.
Aber ohne solche Gedanken bleibt die Liebe Gottes kraftlos und ohnmächtig.

Also gehört der Jakobusbrief doch in die Bibel.
Weil es in ihm ja um das geht, was nur Gott in diese Welt bringt:
Um Barmherzigkeit.
Mindestens in der Gemeinde, der „Gemeinschaft der Heiligen“, muss es doch barmherzig zugehen.
Mindestens bei uns darf es doch nicht so zugehen wie in der Welt draußen.

Jakobus hält Barmherzigkeit, hält Nächstenliebe für möglich.
Nicht nur in der Predigt. Nicht nur im Gottesdienst. Sondern im ganzen Leben.

Ja, Nächstenliebe, ganz konkrete und wirkliche Nächstenliebe ist möglich.
Sie war es damals. Und ist es heute. Hier und jetzt. Bei uns.
Und deshalb will der Jakobusbrief die Gemeinden seiner Zeit, will er die Christinnen und Christen zu allen Zeiten dazu anspornen.

Er glaubt daran, dass Gottes Liebe diese Welt verändern kann.
Aber er weiß auch, dass wir es sind, die ihn dabei aufhalten.

—-

Aber noch bleibt es umkonkret.
Noch haben wir zwar über Liebe und Barmherzigkeit nachgedacht, aber nicht gesagt, was wir eigentlich genau damit meinen.
Jakobus bringt das Beispiel vom Ansehen der Person:
Der Reiche hat im Gottesdienst keinen anderen Platz als der Arme.
Dem Armen soll keine Unehre getan werden, wie Luther übersetzt.

Aber das ist nur ein Beispiel.
Und es ist außerdem ein recht bescheidenes Beispiel.
Ich frage mich:
Kann sich Barmherzigkeit wirklich nur auf den kleinen Kreis der Gemeinde beschränken?
Gar nur auf die Zeit des Gottesdienstes?
Oder ist Barmherzigkeit nicht viel umfassender - und müsste eigentlich allen Menschen gelten?

Und meine zweite Frage dann an unseren Predigttext wäre:
Ist es damit getan, wenn ich auch den Armen gut behandle?
Darf ich mich denn - solange ich nett zu ihm bin - damit abfinden, dass der arme halt arm ist und arm bleibt?

So harmlos ist unser Predigttext dann doch nicht:
Hat nicht Gott erwählt die Armen in der Welt, die im Glauben reich sind und Erben des Reichs, das er verheißen hat denen, die ihn lieb haben?

Das ist ein grundlegend neuer Ton.
Es dreht die Verhältnisse um.
Die, die nicht nur nichts haben, sondern deshalb auch nichts gelten, die bekommen nun auf einmal Aufmerksamkeit.
Sie sind es, die Gottes Reich erben werden.
Gott richtet seinen Blick auf die, die es in dieser Welt nicht leicht haben.
Denen es nicht leicht gemacht wird.
Die getreten und übersehen werden.
Er öffnet ihnen einen Spalt in eine neue Welt, schenkt ihnen Hoffnung.
Aber nicht um sie zu vertrösten.
Sondern um sie zu ermutigen.

Du bist nicht nur das, was du hast, sagt Gott.
Du bist unendlich viel wert, auch wenn deine Taschen leer sind und wenn Dir das wenige, was Du hast, auch noch genommen wird.
Und das gilt nicht erst später, im Himmel.
Das gilt jetzt schon, auf der Erde.

Dieser Blick Gottes, diese Aufmerksamkeit Gottes für die Armen ist das grundstürzend Neue.
Denn wer daran glaubt, wird selbst mit anderen Augen durch die Welt gehen.
Er wird genau hinsehen.
Wird sich nicht abwenden, wo er Menschen in Not sieht.
Wird mehr sehen wollen, wenn Menschen ihre Not verstecken, weil sie sich schämen.
Wird sich nicht täuschen lassen, wo Armut verschwiegen wird.
Wird seine Augen nicht vor den Ungerechtigkeiten verschließen, mit denen wir die schlechter gestellten auf Abstand halten.
Das alles ist Barmherzigkeit.
Und noch viel mehr.
Es ist der Blick auf den Nächsten, der sich in Not befindet.
Kein Blick von oben herab: Du bist der Hilfsbedürftige - ich bin der Helfer.
Sondern ein Blick von Gleich zu Gleich.
Ein Blick, der sich anrühren lässt von der Not des anderen.
Ein Blick, der meine Augen öffnet für das, was den anderen bedrückt.
Ein Blick, der meine Augen weit öffnet - bis zu meinem Herzen.

Diese Barmherzigkeit ist nichts anderes als die Nächstenliebe, die Jesus im Evangelium gemeinsam mit der Gottesliebe als das höchste Gebot bezeichnet.
Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst.
Das heißt: Frage deinen Nächsten, welche Not er leidet.
Und denke dabei daran, dass er ein Mensch ist wie du.

Kein Gesetz sagt, dass es Dir gut und ihm schlecht gehen soll.
Vermutlich gibt es nichts, womit Du Dir Dein Glück und er sich sein Pech selbst verdient hat.
Dies alles liegt im barmherzigen Blick der Nächstenliebe.
Und das ist der neue Blick, den Gott uns schenkt.

Und wir? Wir wissen, dass unsere Augen viel zu oft mit anderem beschäftigt sind.

Der Blick der Nächstenliebe - oft ist er ungewohnt und fällt uns schwer.
Aber wir können ihn üben.