Altjahresabend 2018 | nikolaushueck blog

Altjahresabend 2018

Predigt zu Jes 51,4-6

Eintrag vom

Es sind merkwürdige Tage, diese Tage „zwischen den Jahren“.
Sie hängen irgendwie ein wenig in der Luft,
gehören nicht mehr so ganz zum alten Jahr,
und sind aber auch noch nicht der Beginn des neuen.

Zwischen Weihnachten und Epiphanias scheint die Zeit sich zu dehnen.
In diesen Tagen ist es stiller als sonst, jedenfalls geht es mir so.
Und dass, obwohl die Geschäfte den Umtausch- und Gutschein-Ansturm ihres Jahres erleben.

Aber viele Menschen haben eben in dieser Zeit Urlaub.
Viele nutzen diese Zeit, um Verwandte zu besuchen, sich mit alten Freunden zu treffen.
Man sitzt vielleicht vor dem Christbaum,
unterhält sich über das, was im vergangenen Jahr gewesen ist
und was man sich vom neuen Jahr erwartet.
Für die, die einsam sind in diesen Tagen, ist die Einsamkeit doppelt schwer zu ertragen.
Für die, die im vergangenen Jahr einen geliebten Menschen verloren haben, kann diese Zeit zur Qual werden.
Und für andere, die zum erstmal einen Jahreswechsel gemeinsam begehen, ist alles aufregend und neu und voller schöner Erwartung.

Es ist die Zeit der Jahresrückblicke.
In der Zeitung, im Radio, im Fernsehen.
Man kann alles noch einmal erleben.
Die geteilten Erinnerungen eines Landes, eines Kontinents, und darüber hinaus.

Man sieht noch einmal das Vorrunden-Aus der deutschen Fußballnationalmannschaft.
Die dramatische Rettung der Jugendlichen aus der thailändischen Höhle.
Man wird an die Wahl der neuen CDU-Vorsitzenden erinnert,
an die Demonstrationen in Chemnitz,
an die Giftanschläge im britischen Salisbury.
An das politische Tauwetter zwischen den beiden Koreas
oder an die Auseinandersetzungen um Diesel und Feinstaub.
Dazwischen immer wieder einmal Donald Trump und die Hochzeit im englischen Königshaus.
Natürlich kommt kein Jahresrückblick ohne diesen unglaublich langen, heißen und trockenen Sommer aus.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht:
Ich bin dieser Jahresrückblicke ein wenig überdrüssig.
Sie sind für mich mehr eine Art bebildertes Gedächtnistraining als dass sie mir irgendeine Orientierung geben.
Ja, stimmt, die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang hatte ich schon fast wieder vergessen - aber was bringt es mir, diese Bilder jetzt noch einmal zu sehen?
Was haben sie mit mir zu tun? Mit dem, was mich jetzt bewegt, wenn ich über diese unsichtbare kleine Schwelle gehe, die 2018 von 2019 scheidet?

In den oft fürchterlich kurzatmigen Jahresrückblicken geht etwas verloren, was man den Blick für’s Wesentliche nennen könnte.
Den Blick dafür, was mich und mein Leben trägt.

Dass Sie mich nicht falsch verstehen:
Vieles, von dem, was 2018 passiert ist, ist wichtig und wird wichtig bleiben.
Vieles hat mich verunsichert: Der neue Hass in unserer Gesellschaft etwa, die Unversöhnlichkeit und Kompromisslosigkeit, mit der wir streiten. Das verunsichert mich.

Für vieles bin ich aber auch dankbar gewesen:
Für einen Staat, der mich in einer großen Freiheit leben lässt.
Einer Freiheit, die es so in kaum einem anderen Land auf dieser Welt gibt.
Und die es zu kaum einer anderen Zeit unserer Geschichte gegeben hat.

Ja, es ist ein Staat, der von Menschen gemacht ist.
Deshalb ist er weit davon entfernt, perfekt zu sein.

Natürlich gibt es Ungerechtigkeit auch bei uns.
Dass es selbst bei uns Kinder gibt, die kaum Chancen auf gute Bildung haben.
Und dass das nicht einen großen Aufschrei bei uns verursacht - das ist etwas, das ich kaum erträglich finde.

Und trotzdem: Wenn ich die Unfreiheit, die Rechtlosigkeit sehe, die es in so vielen anderen Ländern, selbst in Europa gibt - dann bin ich froh und dankbar für unseren Rechtsstaat, der auch 2018 alles in allem gut funktioniert hat.

So ist es ein Knäuel von Empfindungen und Gefühlen, mit denen ich das Jahr 2018 für mich abschließe.

Was bleibt, ist die Sehnsucht nach dem, was mich durch mein Leben trägt, was mir Halt und Hoffnung und Richtung gibt.
Vielleicht geht es Ihnen da ja ähnlich wie mir.
Von dieser Sehnsucht erzählen bereits die alten Propheten Israels. Und so steht der Predigttext für den Jahresschlussgottesdienst in diesem Jahr bei Jesaja im 51. Kapitel:

Merke auf mich, mein Volk, hört mich, meine Leute!
Denn Weisung wird von mir ausgehen,
und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen.


Denn meine Gerechtigkeit ist nahe,
mein Heil tritt hervor,
und meine Arme werden die Völker richten.
Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm.
Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde!
Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen
und die Erde wie ein Kleid zerfallen,
und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben.
Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.

Gott selbst spricht in den Worten von Jesaja.
Und er mahnt uns zunächst einmal,
genau das zu tun, was wir in diesen Tagen
und besonders in diesem Gottesdienst gerade tun:
Innehalten. Uns Zeit nehmen. Eine Pause einlegen.
Und unseren Blick vom Alltag weg auf das richten, was wir von Gott erwarten dürfen:

Mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen.
Meine Gerechtigkeit ist nahe und mein Heil tritt hervor
und meine Arme werden die Völker richten.

Das sind große Worte. Der Prophet nimmt im Auftrag Gottes den Mund sehr voll.
Es wird eine Zeit geben, da wird es bei uns gerecht zugehen.
Nicht menschengemacht gerecht - mit all den Fehlern, die Menschen eben nun mal machen.
Nicht menschengemacht gerecht - mit all den Ausflüchten, die Menschen erfinden, um dem anderen die Gerechtigkeit vorenthalten zu dürfen.

Nein, es wird zugehen nach Gottes Gerechtigkeit.
Das wird unsere Erde umkrempeln.
Es wird das Unterste zu oberst kehren.

Wer sich jetzt für einen Herrscher hält,
wer jetzt meint, die Menschen im Namen von Göttern, Ideen, Visionen unterdrücken zu dürfen -
der wird dann den Arm Gottes zu spüren bekommen.

Und umgekehrt: Wer heute auf Gerechtigkeit warten muss,
wer unter der Macht der anderen leidet,
wer von den Mächtigen als Fußabtreter missbraucht wird -
der darf auf diesen Gottes Arm hoffen, darauf, dass er Gerechtigkeit herstellen wird.

Die Gerechtigkeit, die Gott uns verspricht -
sie wird stärker sein, als alles, was wir kennen.
Stärker als alles uns Bekannte zwischen Himmel und Erde.
Selbst wenn es Himmel und Erde nicht mehr gäbe -
die Gerechtigkeit Gottes wird bleiben.

Das alles wird kommen, kündigt der Prophet im Auftrag Gottes an.
Aber noch ist es nur nah, noch ist es nicht da.
Noch leben wir an der Schwelle zwischen 2018 und 2019.
Noch gibt es Ungerechtigkeit.
Noch gibt es Not und Leid und Hunger und Krieg und Einsamkeit und Angst.

Aber wir, die wir diesen Text lesen,
die wir von dem Versprechen Gottes etwas wissen,
wir dürfen sie schon erahnen.
Gott hat die Vorahnung seiner Gerechtigkeit schon in unsere Herzen gegeben.
Jetzt schon. Aber eben nur eine Vorahnung.

Er will uns damit stärken.
Er will unsere Hoffnung stärken.
Und er will uns stärken zum Widerspruch und Widerstand.

Er will uns dazu ermutigen, auf ihn zu sehen.
Und diesen Blick nicht zu vergessen,
wenn im Neuen Jahr die Tage wieder alltäglicher werden.
Er will, dass wir Widerstand leisten gegen alles, was verunsichert, was tötet.
Er will uns ermutigen, nicht zu reden, was die Leute reden,
sondern Nein zu sagen zu allem, was Menschen klein macht.
Nein zu sagen zu allem, das Menschen ausgrenzt, so als ob der eine weniger wert sei als der andere.

Nein zu sagen zu allem, das Menschen Lebenschancen nimmt, so als ob nicht alle Menschen Chancen verdient hätten.

Nein zu sagen zu allem, was Menschen sich gegenseitig an Gemeinheiten, Rücksichtslosigkeiten oder manchmal auch nur Gedankenlosigkeiten antun.

Es braucht ein Gegengewicht gegen all das Unrecht auf dieser Welt.
Und dieses Gegengewicht ist Gottes Gerechtigkeit.
Und es sind die Menschen, die heute schon auf Gottes starke Arme warten.

Nicht - wohlgemerkt: nicht - Gottes starke Arme selbst ersetzen wollen.
Wir wissen, wie verführbar, wie ungerecht, wie fehlerhaft und eigensinnig wir selbst sein können.
Wir wollen nicht selbst unsere eigene Gerechtigkeit auf der Welt durchsetzen. Wir wollen uns nicht selbst zum Maßstab für die Gerechtigkeit auf der Welt machen.
So etwas endet niemals gut.

Hier und jetzt, bevor Gott seine Gerechtigkeit schenkt, wird die Welt unübersichtlich bleiben.
Und bei allen, die die ganz einfachen Antworten geben, bleibe ich misstrauisch.
Besonders bei denen, die so ganz genau wissen, was Gut ist und was Böse ist,
und die selbst dabei immer nur zu den Guten gehören,

Alle die politisches Kapital schlagen wollen aus der Unsicherheit dieser Zeit,
aus der Angst vor der Zukunft, aus der Sehnsucht danach, etwas zu gelten -
allen denen will ich widersprechen:
Das Heil wird kommen. Es wird nicht von Menschen kommen.
Allen Menschen, die versprechen, dass das Heil von ihnen kommt - all denen will ich laut widersprechen.

Denn wir dürfen aus der Hoffnung leben.
Aus der Hoffnung, dass Gottes Gerechtigkeit nahe ist und sein Heil hervortreten wird.
In dieser Hoffnung dürfen von einem Jahr ins andere gehen.
Getröstet und bestärkt.
Mit einem klaren Blick in die Vergangenheit
und voller Hoffnung für die Zukunft.