Gott ist nicht der Zement, mit dem Ihr Euer Weltbild anrühren sollt | nikolaushueck blog

Gott ist nicht der Zement, mit dem Ihr Euer Weltbild anrühren sollt

Predigt zu Pred 7,15-18

Eintrag vom

Dies alles habe ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens:
Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit,
und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.
Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise,
damit du dich nicht zugrunde richtest.
Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor,
damit du nicht stirbst vor deiner Zeit.
Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst
und auch jenes nicht aus der Hand lässt;
denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

Ja, was denn nun?, will man den Prediger fragen.
Nicht zu gerecht und nicht zu weise sollen wir sein.
Aber auch nicht gottlos.
Vielleicht irgendetwas dazwischen?
Aber was genau soll das sein?
Beim ersten Lesen und Hören wird man nicht so recht schlau aus diesen Worten.
Es ist übrigens in diesem Jahr das allererste Mal, dass es dieser Text in unsere Ordnung der Predigttexte geschafft hat.

Also von vorn:
Der Prediger hat vieles schon erlebt, sagt er.
Er hat auch Dinge erlebt, die unserem Gerechtigkeitsempfinden zutiefst zuwiderlaufen.

Gerechte, also gute Menschen, die elend zugrundegehen,
hat er erlebt.
Menschen, die alles richtig machen in ihrem Leben,
und trotzdem in Not und Elend stürzen.

Und auf der anderen Seite:
Gottlose, böse Menschen hat er erlebt.
Menschen, die in ihrer Gottlosigkeit glänzen
und denen es ihr Leben lang gut geht.

Das ist zutiefst ungerecht.
Eigentlich sollte die Welt anders laufen.
Eigentlich sollten die Bösen eingesperrt und bestraft werden,
die Guten belohnt.
So gehört sich das.

Aber so ist es nicht.
Nicht vor 2000 Jahren.
Und auch heute nicht.

Schlechte Menschen, denen es gut - gute Menschen, denen es schlecht geht.
Ich bin sicher, dass Sie da viele Bilder und Beispiele im Kopf haben.
Mir fällt dazu die Ungerechtigkeit in der Politik ein.

Die Politiker, die versuchen, sich mit guten Argumenten durchzusetzen, die ehrlich um Stimmen werben,
die Politiker, die gute Kompromisse vorschlagen,
die haben kaum eine Chance. Die werden kaum beachtet.

Eine Chance hat aber, wer lügt und betrügt,
wer die Wahrheit so lange zuspitzt, bis sie niemand mehr erkennen kann.
Eine Chance hat, wer spaltet und die einen gegen die anderen ausspielt,
wer immer unversöhnlicher redet und die Wut anstachelt.
Der hat eine Chance.

Der kann Präsident werden in Amerika oder in Russland.
Der kann die Macht in Polen oder in Ungarn übernehmen.
So gehört sich das nicht.
Aber so ist es.
Und das ist falsch. Grundfalsch.

Man kann hoffen, dass die Macht des Staates in Russland bröckelt;
und irgendjemand den Präsidenten und seine Regierung zur Verantwortung ziehen wird.

Man kann hoffen, dass dem amerikanische Präsident so viel Gegenwind ins Gesicht bläst,
dass er irgendwann die Lust an seinem Amt verliert und lieber wieder Golfen geht.

Man kann hoffen, dass die Populisten nicht immer nur die Bevölkerung spalten, sondern irgendwann auch sich selbst.

Aber dazu braucht es schon viel Optimismus, viel frohe Hoffnung.

Vorerst haben die Bösen gut lachen
und die Guten warten, dass es irgendwann besser wird.

Und wir, die wir irgendwas dazwischen sind?
Wir schauen zu und lesen diesen heutigen Predigttext.

Der Prediger weiß, dass es falsch ist, wie es auf der Welt zugeht.
Aber er sieht die Welt trotzdem realistisch.
So ist es, sagt er,
oft nicht gerecht, sondern eben allzu oft ungerecht.
Es hat nicht viel Sinn, davor die Augen zu verschließen.

Im Gegenteil: Macht die Augen auf, weit auf.
Und haltet Euch nicht für allzu weise.

Gerade ihr, die ihr an Gott glaubt:
gerade ihr sollt euch nicht für allzu weise halten.
Meint nicht, dass Ihr die Welt durchschaut, nur weil Ihr an Gott glaubt.

Denn leider: Die Welt richtet sich nicht nach dem, was wir glauben, dass Gott will.
Die Welt richtet sich nach dem, was die Welt will.
Was die Mächtigen wollen, die Starken, die Skrupellosen.

Wer meint: Ich kenne die Welt, weil ich Gottes Willen kenne,
der kann schnell böse überrascht werden, oder engstirnig und hartherzig.

Sagt der Prediger.

Und wir denken an all die Fundamentalisten,
die im Namen Gottes Gewalt anwenden.
Gewalt mit Worten oder Gewalt mit Händen.

Wir denken an alle, die glauben, auf die anderen, auf die „Ungläubigen“ hinabsehen zu dürfen.
Wir denken an alle, die immer ganz genau wissen, was der Wille Gottes ist.
Und die selbstverständlich von uns erwarten,
dass wir diesen Willen Gottes zu unserem machen.

Und da wird uns der Prediger sympathisch:
Denn es stimmt ja: Wer sich für allzu weise hält in Gottesdingen, der verfehlt Gott mit großer Sicherheit.

Aber es geht ja weiter:
Auch auf der anderen Seite sollen wir nicht vom Pferd fallen.
Auch gottlos sollen wir nicht sein.
Wir sollen, auch wenn uns dabei vielleicht ein Vorteil anlacht,
wir sollen uns auch nicht auf die Seite der Bösen schlagen.
Mag schon sein, dass Gott die Bösen nicht bestraft.
Aber das ist kein Grund, den Kontakt zu Gott abzubrechen.
Denn: Gottlosigkeit ist noch schlimmer als allzu große Weisheit.

Und was ist jetzt der goldene Mittelweg?
Der Weg zwischen allzu großer Weisheit auf der einen Seite - und Gottlosigkeit auf der anderen Seite?

Gott fürchten, sagt der Prediger.
„denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.“

Es ist merkwürdig:
Beide, der allzu Weise und der Gottlose,
beide haben etwas gemeinsam.
Sie kommen beide ganz gut ohne Gott aus.
Keiner von beiden braucht Gott eigentlich.

Der eine, der allzu Weise, hat sein festgelegtes, starres Weltbild.
Darin ist gut und böse, richtig und falsch - darin ist schon alles festgelegt.
Wozu dann noch Gott?

Und der Gottlose, der Skrupellose, der kommt immer schon ohne Gott aus.
Gut und böse - völlig egal.
Es plagt ihn ja sowieso kein Gewissen.

Beide kommen ganz gut ohne Gott aus.
Und genau das ist es, was den Prediger stört.

Gott, meint er -
Gott ist nicht der Garant dafür, dass das, was ihr für richtig und falsch haltet, tatsächlich immer richtig und falsch ist.

Gott ist nicht ein anderes Wort für eure Moralvorstellungen.
Gott ist nicht der Zement, mit dem ihr eure eigene Ordnung der Welt anrührt.
Wenn Ihr so glaubt, dann glaubt ihr an Gott vorbei.

Gott ist lebendig.
Gott hat ein offenes Ohr für euch.

Gott ist der, zu dem ihr beten könnt, wenn es nicht so läuft, wie ihr euch das vorstellt.

Gott, das ist der, den ihr anschreien könnt, dem ihr eure Not, eure Krankheit, euer Leid klagen könnt.

Gott, das ist der, dem ihr danken könnt, wenn ihr euer Glück noch gar nicht so recht fasst.

Und Gott, das ist der, dem ihr alle Sorgen und Zweifel anvertrauen könnt.

Denn Gott ist nicht eine starre Ordnung, sondern ein lebendiges Du.
Er ist der, der euch begleitet, euer Leben lang.
Der, der euer Leben am Anfang ermöglicht hat.
Und der, der euch am Ende mit offenen Armen entgegengeht, um euch aufzufangen.

Das ist Gott - und nicht der, der die Welt so ordnet, wie ihr es für gerecht empfindet - mag es euch noch so weh tun.

Wir haben vorhin das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg gehört, das Jesus erzählt.
Diejenigen, die nur eine Stunde gearbeitet haben, bekommen genauso viel, wie die, die einen ganzen Tag geschuftet und geschwitzt haben.

Das hört sich nicht gerecht an - jedenfalls nicht für unsere Ohren.
Aber sich beschweren?

Echter Glaube an Gott würde sich mitfreuen mit denen, die nach nur eine Stunde einen schönen Lohn erhalten haben.

Echter Glaube würde sich mitfreuen mit den Zöllnern und Sündern, zu denen sich Jesus gesetzt hat. Mit denen er gegessen und gefeiert hat. Und die danach ein ganz neues Leben angefangen haben.

Echter Glaube rechnet damit, dass Menschen sich ändern.
Dass Gott in den Herzen der Menschen wirkt und sie verändert.

Echter Glaube ist ein Risiko. Ein Wagnis. Ganz ohne Garantie.
Denn echter Glaube lässt sich von Gott überraschen.
Und gleichzeitig vertraut er darauf,
dass Gott uns auch in der tiefsten Not nicht verlassen wird.
„Denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.“

Amen