Nachtgespräche | nikolaushueck blog

Nachtgespräche

Predigt zu Joh 3,14-21

Eintrag vom

Nachts kommen die Gedanken.
Manchmal sind es helle Gedanken, voller Hoffnung und Vorfreude.
Viel öfter aber sind die Gedanken in der Nacht schwer und dunkel.
Vielleicht geht es Ihnen da ähnlich wie mir.

Es war Nacht in Jerusalem, als Nikodemus zu Jesus kam.
Nikodemus war kein Unbekannter in der Stadt.
Er war ein Gelehrter, einer der Oberen.
Und jetzt sucht er das Gespräch mit Jesus.
Er kommt in der Nacht zu Jesus, weil er sich ungern in der Öffentlichkeit mit ihm sehen lässt.
Er kommt aber vor allem deshalb in der Nacht zu Jesus, weil ihn Nachtgedanken plagen.

Über dieses Gespräch lesen wir im Johannesevangelium, im 3. Kapitel:

Jesus sprach zu Nikodemus:
Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet;
wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.
Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse.
Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden.
Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

Ein Nachtgespräch:
Es geht um die großen Dinge des Lebens.
Um Tod und Auferstehung.
Um Himmel und Erde.
Um Gott, um sein Gericht, aber vor allem um seine Liebe zu den Menschen.

Nikodemus sucht Antworten bei Jesus.
Er sucht aber wohl vor allem Trost bei ihm.
Es geht ihm um die Frage aller Fragen.
Die Fragen, die in allen Religionen im Mittelpunkt steht:
Wie kann der Mensch gerettet werden?
Wie kann ich selbst gerettet werden?

Das ist es doch, um das alle Religionen kreisen.
Und um das auch unser christlicher Glaube kreist:
Wie kann mein Leben gelingen?

Von Haus aus sind wir ziemlich fehlbare Wesen.
Wir tun nicht das, was wir tun sollten.
Wir wüssten eigentlich, wie wir ein gutes Leben führen könnten.
Aber wir sind zu schwach dazu.
Zu eigensinnig.
Zu ichbezogen und egoistisch.
Zu kurzsichtig.
Vielleicht auch einfach zu faul.

Das alles hindert uns daran, so zu leben, wie wir eigentlich gemeint sind.
Als Menschen unter Menschen.
Mit Mitleid, mit Liebe, mit Güte, mit Barmherzigkeit.
Stattdessen kommt immer wieder der alte Adam durch:
Stattdessen kommt immer wieder der Hass durch.

Schauen Sie sich nur mal die Sozialen Medien an.
Egal ob Facebook oder Twitter
oder auch die Kommentarspalten einer Zeitung:
Natürlich gibt es da viel Kluges und viel Unterhaltsames.
Aber es fällt schon auf:
Wenn der Mensch allein vorm Computer sitzt, scheinen die einfachsten Regeln der Zivilisation nicht mehr zu greifen.
So viel Hass, so viel Bösartigkeit.
Ich denke mir:
Die Menschen, die ihre Hasskommentare ins Internet kübeln, die können keine wirklich glücklichen Menschen sein.

Und wenn es kein Hass ist, dann ist es Neid.
Oder Besserwisserei.
Oder Unduldsamkeit.
Oder Gleichgültigkeit.
Oder Unaufrichtigkeit.
Es gibt so viele Charaktereigenschaften,
mit denen man sich selbst und den Mitmenschen das Leben zur Hölle machen kann.
Suchen Sie sich einfach eine davon aus.

Schon zur Zeit, als Nikodemus in der Nacht zu Jesus kam, war das so.
Und es ist bis heute nicht besser geworden:
Wir Menschen sind nicht so, wie wir sein sollen.
Und deshalb hoffen wir auf Rettung.
Wir hoffen auf Erlösung, ja, gewissermaßen Erlösung von uns selbst.
Wir hoffen darauf, dass unser Leben ganz wird.
Auf ein gelingendes Leben, auf das wir trotz aller Unzulänglichkeit irgendwann einmal zurückschauen dürfen und sagen: Ja, es war gut.

Was ist die traditionelle Antwort darauf?
Das Gericht:
Am Ende der Zeiten wird abgerechnet, sagt der traditionelle Glaube.
Da kommen die guten Taten eines jeden Menschen in die eine Waagschale und die schlechten in die andere Waagschale.
Und dann neigt sich die Waage zur einen oder zur anderen Seite.
Himmel oder Hölle. Gerichtet oder gerettet. Verdammnis oder Paradies.

Erstaunlich ist, dass das an uns nichts ändert.
Über Jahrhunderte ist das Gericht gepredigt worden.
Und die Menschheit ist nicht besser geworden.
Der alte Adam ist immer noch da.

Die Vorstellung von einem Gericht am Ende aller Tage ändert nichts zum Besseren.
Die Menschen werden nicht duldsamer, nicht freundlicher, nicht mitfühlender oder gar barmherziger.
Statt Liebe regiert die Angst, die Angst vor dem Gericht am Ende der Zeiten.
Und aus der Angst um das eigene Heil werden die Menschen eher noch egoistischer, noch ichbezogener.

All das hat Nikodemus im Gepäck, als er zu Jesus kommt.
Alles das liegt über diesem Nachtgespräch, das die beiden führen.
„Meister, wir wissen, Du bist ein Lehrer, von Gott gekommen“, beginnt Nikodemus das Gespräch.
Und hofft, dass dieser wahre Lehrer endlich eine wahrhaft neue Antwort gibt.

Und so ist es.
Jesus antwortet wirklich so ganz anders, als es der traditionelle Glaube erwartet.

Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Ein einziger Satz.
Und in ihm ist das ganze Evangelium enthalten.
Die ganze Frohe Nachricht:
Nicht das Gericht ist es, das uns zu einem gelingenden Leben erziehen will.
Es ist die Liebe Gottes.
Es ist nicht der drohende Zeigefinger Gottes, der uns zu einem guten Leben anhält.
Nicht die Angst vor einem Weltgericht, das uns am Ende der Zeiten erwartet.
Es ist einzig und allein seine Liebe, die uns zu einem guten Leben locken will.

Eigentlich reicht dieser Satz schon.
Eigentlich ist darin alles enthalten, was man wissen muss.

Aber vielleicht sieht Jesus, dass so ein einzelner Satz den Nikodemus noch nicht überzeugen kann.
Deshalb spricht er weiter:
Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.

Nichts mit Gericht. Nichts mit Angst.
Stattdessen Liebe.
Der Sohn ist es, der die Welt rettet.
Mit seiner Liebe, die von Gott kommt, und die wir von ihm lernen können.
An diesen Jesus glauben heißt zuallererst: sich von seiner Liebe anstecken zu lassen.
Sich von seiner Liebe verwandeln zu lassen.
Und alle, die im Namen Jesu Christi meinen, andere Menschen beurteilen, richten, schlechtreden zu dürfen, die haben nichts verstanden von ihm.

Und dann kommen für mich die beiden spannendsten Sätze unseres Predigttextes:
Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet;
wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.

Die Liebe Gottes ist nicht harmlos.
Sie ist nicht die Portion Harmonie,
die die Welt ein wenig freundlicher,
ein wenig mehr rosafarben macht.
Die Liebe Gottes ist die alles entscheidende Macht.

Ich kann sie ausschlagen. Ich kann mich der Liebe Gottes verschließen.
Dann bleibt die Welt für mich, was sie immer schon war:
Ein Ort, den ich mir selbst und den anderen zur Hölle mache.
Nicht erst später, beim großen Weltgericht.
Sondern schon jetzt.

Oder aber: Ich kann an diese Liebe Gottes glauben.
Und das heißt: Sie in meinem Leben wirken lassen.
Ich kann Gottes Liebe zu der Kraft machen, die mein Leben bestimmt.
Aus der ich mein Leben führen will.
Dann kann mein Leben gelingen.
Nicht erst beim großen Weltgericht, sondern schon jetzt.

Nicht für die Zukunft glauben wir.
Als ob der Glaube eine Versicherung wäre, dass Gott uns eines Tages dafür belohnen wird.
Nein: Wir glauben für das Jetzt.
Dafür, dass das Leben gelingt. Unser Leben. Das Leben unserer Nächsten. Heute.
Das dreht den traditionellen Glauben ziemlich um, finde ich.

Gottes Liebe ist die Kraft, die Motivation, der Ansporn, das zu tun, was gut und richtig und barmherzig und freundlich ist.

Gottes Liebe ist die Kraft, die mich bei der Hand nimmt, um über den inneren Schweinehund zu springen.
Und wenn ich nicht springe, dann lässt sie mich trotzdem nicht los.
Gottes Liebe wartet, bis ich mich traue, bis ich meine Trägheit überwinde.
Gottes Liebe ist nicht harmlos, aber sehr geduldig.

Nicht richten, sondern retten.
Das ist die Antwort, die Jesus gibt.
Rettung durch grundlose und grenzenlose Liebe.

Was wohl Nikodemus mit dieser Antwort angefangen hat?
Was er wohl gedacht hat, als er nach dem langen Gespräch mit Jesus im Morgengrauen durch Jerusalem nachhause gegangen ist?

Nikodemus kommt noch zweimal vor im Johannesevangelium:
Einmal setzt er sich für Jesus ein und versucht, für ihn ein faires Verfahren vor den Jerusalemer Oberen zu erreichen.
Und dann ist er es, der gemeinsam mit Josef von Arimathäa, für ein angemessenes Begräbnis von Jesu Leichnam sorgt.

Offensichtlich hat das Gespräch mit Jesus tiefe Spuren bei ihm hinterlassen.

Vielleicht tut es das auch bei uns.
Lieben statt richten.
Die Passionszeit wäre eine gute Gelegenheit, damit anzufangen.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,
Amen.