Glaube ohne Liebe? | nikolaushueck blog

Glaube ohne Liebe?

Predigt zu Jakobus 2,14-26

Eintrag vom

Was hilft's, Brüder und Schwestern, wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch keine Werke? Kann denn der Glaube ihn selig machen?
Wenn ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und Mangel hat an täglicher Nahrung
und jemand unter euch spricht zu ihnen: Geht hin in Frieden, wärmt euch und sättigt euch!,
ihr gebt ihnen aber nicht, was der Leib nötig hat – was hilft ihnen das?
So ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, tot in sich selber.

Aber es könnte jemand sagen: Du hast Glauben, und ich habe Werke.
Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, so will ich dir meinen Glauben zeigen aus meinen Werken.
Du glaubst, dass nur einer Gott ist? Du tust recht daran; die Teufel glauben's auch und zittern.
Willst du nun einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist?

Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerecht geworden, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte?
Da siehst du, dass der Glaube zusammengewirkt hat mit seinen Werken,
und durch die Werke ist der Glaube vollkommen geworden.

So ist die Schrift erfüllt, die da spricht: »Abraham hat Gott geglaubt und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet worden«, und er wurde »ein Freund Gottes« genannt.
So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein.
Desgleichen die Hure Rahab: Ist sie nicht durch Werke gerecht geworden, als sie die Boten aufnahm und sie auf einem andern Weg hinausließ?
Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot.

Manchmal, ich gestehe es ungern:
Manchmal kneife ich vor einem Predigttext.
Das kommt wirklich nicht oft vor.
Aber manchmal spricht der vorgesehene Predigttext so gar nicht mit mir.
Und dann denke ich lange darüber nach.
Und wenn mir dazu wirklich gar nichts einfällt,
wenn so ein Text dann einfach stumm bleibt für mich,
dann kneife ich tatsächlich und suche einen anderen Text aus.

Wie gesagt: Das kommt nicht oft vor.
Aber in dieser Woche wäre es beinahe so weit gewesen.

Ich habe unseren Text aus dem Jakobusbrief gelesen und hatte das Gefühl, die Sätze sind ein einziger erhobener Zeigefinger.
Und erhobene Zeigefinger finde ich immer eher schwer erträglich.
„Willst Du nun einsehen, Du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist?“
Das steht da - und dieser Ton macht mich eher aggressiv als bereit, irgendetwas einzusehen.

Ich befinde mich da übrigens in guter Gesellschaft.
Auch Martin Luther hat nicht viel gehalten vom Jakobusbrief.
Eigentlich sollte der gar nicht im Neuen Testament stehen, sagt Luther.
Denn in ihm wird nichts davon deutlich,
was doch eigentlich das Zentrum unseres Glaubens ist: Jesus Christus und seine Erlösung.
Davon kommt im Jakobusbrief eher nichts vor, fand schon Luther.

Christus erlöst uns - obwohl wir diese Erlösung nicht verdient haben.
Obwohl wir sie uns gar nicht verdienen können.
Das ist es, was ich bei Luther lese.
Das ist es, was ich auch bei Paulus lese.
Bei Jakobus lese ich stattdessen den erhobene Zeigefinger.
Eine Ermahnung nach der anderen:
Die Gnade musst Du dir erstmal verdienen, so verstehe ich Jakobus.
Ob Du vor Gott bestehen kannst, das hängt von Dir ab.
Davon, was Du tust - nicht davon, was Du bist.

Aus einem gnädigen Gott wird wieder ein Richter,
der mich mit strenger Miene befragt,
ob ich auch genug Gutes getan habe.

Die Erlösung durch Christus, der ich so viel Lebensfreude und Lebenshoffnung verdanke, die kommt da gar nicht mehr so richtig vor.

Also den Jakobusbrief weglegen?
In der Bibel gibt’s halt auch seltsame Texte, könnte man sagen.
Vielleicht sind es wirklich nicht alle wert, dass man sie am Sonntag in den Mittelpunkt einer Predigt stellt.

Wie gesagt: Ich war kurz davor, die Bibel zuzuklappen und einen anderen Text auszuwählen.

Aber dann hat das Thema mich doch nicht losgelassen.
Meine ich eigentlich wirklich, dass mein Glaube allein alles ist?
Meine ich, dass es völlig egal ist, was ich tue, solange ich nur glaube?

Wenn man den Briefen des Apostels Paulus folgt, dann ist das so:
Gott schaut gnädig auf uns.
Er übersieht unsere Fehler, unsere Faulheiten nicht.
Aber Gott sieht dahinter uns, den Menschen, der seine Gnade braucht.
Und die schenkt er uns.
Dafür ist sein Sohn zu uns gekommen.

Unsere Werke können gar nicht gut genug sein,
dass Gott zufrieden mit uns ist, sagt Paulus.
Wer meint, sich durch seine guten Taten bei Gott beliebt zu machen,
der hat nichts verstanden von der Gnade Gottes.
Ja, der entwertet das, was Christus getan hat.
So habe ich es bei Paulus gelesen:
Allein der Glaube macht gerecht.

Und genau das Gegenteil lese ich jetzt bei Jakobus:
So seht ihr nun, dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein.

Tja, was nun?

Und dann frage ich mich, warum der Verfasser des Jakobusbriefs so etwas geschrieben hat.
Willst du nun einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist?
Irgendetwas muss ihn zu diesem bitteren Ton gebracht haben.
Und ich glaube, es war gerade nicht seine Kälte, nicht seine Härte, sein Wille, die Brüder und Schwestern zu schulmeistern.
Ich glaube, es war im Gegenteil
sein großes Herz, sein Engagement und seine Verzweiflung über den Zustand der damaligen Gemeinden.

Da gibt es nun Gemeinden, die sich auf Jesus Christus berufen.
Die sich auf Gottes Barmherzigkeit und Vergebung berufen.
Gemeinden, die schöne Gottesdienste feiern, in deren Mittelpunkt Gott und seine Liebe stehen.

Und nichts, aber auch gar nichts davon merkt man davon im Leben dieser Gemeinden.

Die Christen tun so, als ob sich nichts ändern müsste.
Sie giften sich an und fühlen sich und immer nur sich selbst im Recht.
Die Armen in der Gemeinde bleiben die Armen in der Gemeinde.
Und die Reichen behalten ihren Reichtum für sich.

Nichteinmal genug zum Essen haben mache,
während andere gar nicht genug ausgeben können von ihrem Reichtum.
Aber von Gottes Liebe reden, das können sie schon.

Den Menschen wird das Evangelium gepredigt - aber alles bleibt beim Alten.
Die Menschen, die sich Christinnen und Christen nennen - diese Menschen leben einfach so weiter wie bisher.
Sie hören von Jesus Christus, sie hören von der Liebe Gottes - und nichts, rein gar nichts wird anders.

Das grundstürzend Neue, das mit Jesus Christus auf der Welt erschienen ist - in diesen Gemeinden merkt man nichts davon.

Da kann man schon mal verzweifeln, da kann man schon mal die Wut kriegen.
Da kann man vielleicht auch mal über’s Ziel hinausschießen,
wenn das Evangelium einfach so verpufft.

Ich stelle mir vor, wie der Verfasser unseres Textes das miterlebt.

Wenn jeder für sich das ewige Leben erhofft, aber der Nachbar in diesem Leben ihm völlig wurscht ist, dann ist das eine besonders üble Form von Heuchelei.
Selbst der Teufel glaubt an den einen Gott und hat Furcht vor ihm, sagt Jakobus.
Da kann es doch nicht sein, dass dieser Glaube allein reicht.

Wenn die Werke ausbleiben, wenn sich nichts ändert, wenn wir weiter so miteinander umgehen, wie wir es schon immer getan haben, egoistisch, selbstbezogen, rechthaberisch -
dann ist irgendwann Schluss mit der Gnade Gottes.

Nicht einfach, diesen Gedanken auszuhalten.
Aber gut, dass auch er Platz hat in unserer Bibel.

Es ist ein heiliger Zorn, der aus dem Jakobusbrief spricht.
Und das macht ihn wertvoll. Auch für uns.

Bevor wir satt und träge werden in unserem Glauben,
bevor wir uns einlullen lassen vom Glauben an einen lieben Gott,
der immer nur lieb und harmlos ist -
bevor das passiert, lese ich lieber auch mal jemanden,
der brennt in seinem Glauben,
und vor allem brennt für Gerechtigkeit, für Liebe und für Barmherzigkeit.

Immer nur den lieben Gott predigen geht nicht.
Den bösen und rachsüchtigen Gott kann ich auch nicht predigen.

Vielleicht muss man sagen:
Gott nimmt es mit der Liebe so ernst, dass er durchaus zornig und wütend werden kann.

Vielleicht muss man sagen, dass sein Zorn sich über die ergießt, die Gottes Liebe wegwerfen.
Oder sie nur für sich selbst in Anspruch nehmen.
Oder denen die Liebe Gottes schlicht egal ist, weil sie genug Selbstliebe aufbringen.

Also: So ganz ohne Taten ist mein Glaube tot.
Da hat Jakobus auf alle Fälle einen Punkt.

Und trotzdem will ich bei Paulus bleiben:
Denn es ist nicht der Mensch, der mit den guten Taten anfängt,
und erst dann kommt Gott mit seiner Gnade.

Ich glaube, es ist genau umgekehrt:

Gottes Liebe kommt zuerst.
Sie gilt allen seinen Menschen, sie gilt seiner ganzen Schöpfung.
Sie gilt sogar mir - mir, der ich Gott wahrlich nicht viel Grund gebe, mich zu lieben.
Aber das tut er, so sehr ich mich manchmal darüber wundere.
Und manchmal spüre ich das auch. Und das tut unendlich gut.

Und dann erst, wenn ich mich geliebt fühle - dann erst bin ich selbst in der Lage, Liebe weiterzugeben.

Seit Jesus Christus weiß ich:
Ich muss nicht mehr selbst dafür sorgen, dass ich geliebt werde.
Ich muss nicht mehr ständig um mich selbst kreisen,
ich muss mir nicht mehr ständig Sorgen machen um das, was aus mir werden wird.
Dafür sorgt Gott.

Dieses Gefühl, geliebt zu werden, das macht mich frei.
Frei von der Sorge um mich selbst.
Und dann eben auch so frei, dass ich mich um andere sorgen kann.
Dass ich sie nicht mit einem schnellen Spruch abzuschütteln versuche.
Sondern auf sie und ihre Bedürfnisse eingehe,
ihnen zuhöre, ihnen das gebe, was sie brauchen.

Erst die Liebe Gottes spüren - dann diese Liebe weitergeben:
Ich glaube, erst so wird ein Schuh daraus.

Auch Paulus hat ja nie gemeint, dass es völlig egal ist, was wir tun, solange wir nur glauben.
Für ihn war es selbstverständlich, dass unser Glaube Früchte trägt.
Wer sich geliebt fühlt, kann Liebe weitergeben.
Und er wird es tun, wenn diese gefühlte und gespürte Liebe stark genug ist.

Daran erinnert uns Jakobus - und ich bin froh, dass er das tut.
Sonst würde mich - ja: nicht mein böser Wille, aber vermutlich meine Faulheit und Bequemlichkeit daran hindern, dass mein Glaube Früchte bringt.
Also: Es ist schon gut, dass wir ab und zu mal auch über Jakobus sprechen.
Und vor allem darüber, dass unser Glaube unser Leben ändert. Zum Guten. Amen.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.