Erwartung und Enttäuschung
Predigt am 4. Advent zu 2. Kor 1,18-22
Der Apostel Paulus und die Gemeinde in Korinth - das war von Anfang an keine einfache Beziehung.
Paulus hatte die Gemeinde dort gegründet.
Er blieb eng mit ihr verbunden.
Aber zu dieser engen Beziehung gehörten auch Missverständnisse, Enttäuschungen und ziemlich offener Streit.
Das ging so weit, dass Paulus seinen zweiten Besuch in Korinth absagte.
Eigentlich hatte er versprochen zu kommen.
Er wollte sogar den Winter über bleiben.
Aber dann kam er einfach nicht.
Wahrscheinlich fürchtete er, dass der Streit zwischen ihm und den Christen in Korinth sich verschärfen würde, wenn sie eine so lange Zeit so eng beieinander wären.
Also fährt er nicht.
Und muss sich kräftig rechtfertigen.
Denn: Was taugt sei ein Apostel, wenn er nicht hält, was er verspricht?
Kann man dem trauen?
Muss man am Ende nicht seine ganze Botschaft in Zweifel ziehen?
Aber Paulus wehrt sich.
Er begründet ausführlich, warum er nun doch nicht kommen kann.
„Gott ist mein Zeuge“, schreibt er, „dass unser Wort an Euch nicht Ja und Nein zugleich ist“.
Ich habe, soll das heißen - ich habe also nicht gelogen.
Aber nun sind eben die Umstände anders und ich kann euch nicht besuchen.
Und dann wird Paulus grundsätzlich.
Ihr mögt mich und meine Zuverlässigkeit in Zweifel ziehen.
Wenn es um uns Menschen geht, dann ist nichts hundertprozentig sicher.
Dann ist niemand ganz und gar zuverlässig.
Aber, liebe Christen in Korinth, zweifelt niemals an meiner Botschaft,
an dem, was ich Euch über Jesus Christus und über Gott gesagt habe.
Denn was Gott sagt, das steht fest.
darauf könnt ihr Euch verlassen.
Bei Paulus selbst hört sich das so an, ich lese aus 2. Kor. 1:
*Bei der Treue Gottes, unser Wort an euch ist nicht Ja und Nein zugleich.
Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist,
durch mich und Silvanus und Timotheus,
der war nicht Ja und Nein, sondern das Ja war in ihm.
Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja;
darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zur Ehre.
Gott ist’s aber, der uns fest macht samt euch in Christus
und uns gesalbt hat und versiegelt
und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.
- Ich weiß nicht, wie dieser Text auf die Korinther damals gewirkt hat.
Ich weiß aber, dass Paulus später dann doch noch nach Korinth gekommen ist.
Und dass beide Seiten es irgendwie geschafft haben, ihren Streit einigermaßen beizulegen.
Der Sohn Gottes war nicht Ja und Nein, sondern das Ja war in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja;
Was wir sind, dazu sagt Gott ja.
Zu unserer Sehnsucht nach Frieden sagt Gott ja.
Zu unserem Durst nach Gerechtigkeit sagt Gott ja.
Zu unserem Hunger nach Liebe sagt Gott ja.
Und Gott sagt auch dann noch zu uns ja, wenn wir das alles aufgegeben haben.
Wenn wir selbst nicht genug dazu beitragen.
Wenn wir nein sagen, selbst dann bleibt Gott bei seinem ja zu uns, weil er uns niemals aufgibt.
Dazu ist er Mensch geworden.
Dazu hat er seinen Sohn gesandt, dass er uns als Menschen bejaht.
Mit allem, was wir hoffen und wovor wir Angst haben.
Mit allem, was wir leiden und worauf wir uns freuen.
Zu alldem sagt er ja.
Das feiern wir an Weihnachten.
Und deshalb lesen wir heute, am 4. Advent, von diesem Ja.
Weil es so wunderbar klingt, so wunderbar unglaublich,
dass man sich darauf vorbereiten muss.
Ein einfaches „ja“.
Kein „Jein“.
Kein „Ja, aber“.
Denn wenn Gott „Ja“ sagt, dann meint er „Ja“ - und vor allem: Er bleibt dabei.
Bei den Menschen kann man sich da nicht immer ganz so sicher sein.
Vor dem Traualtar etwa:
Beide Brautleute sagen ja zueinander.
Und natürlich meinen sie es auch.
Jetzt, in diesem Moment. Und hoffentlich für immer.
Die Statistik sagt aber auch,
dass aus diesem Ja mit der Zeit ein „Nun ja“,
oder ein „vielleicht“ oder ein „eher doch nicht“ werden kann.
Menschen enttäuschen sich gegenseitig.
Das gehört eben auch zu uns.
Das lernen schon kleine Kinder.
Sagen wir: An Weihnachten.
Da hat man alle Buchstaben zusammengenommen, die man gerade in der Schule gelernt hat.
Und einen Wunschzettel geschrieben.
Krakelig zwar, aber doch so, dass es das Christkind lesen könnte.
Und dann, am Heiligen Abend, liegen unter dem Christbaum für alle schöne Geschenke.
Aber das eine Geschenk, dass man sich selbst so sehnlich gewünscht, das gibt es nicht.
Weil es sich die Eltern nicht leisten können.
Oder weil sie es nicht für das Richtige halten.
Mit Enttäuschungen umzugehen, das müssen wir ein Leben lang lernen.
Weihnachten, das ist auch für Erwachsene ein Fest mit hohem Enttäuschungspotential.
Denn gerade wenn die Erwartungen groß sind,
wenn wir uns besonders freuen auf die Familie, auf die gemeinsame Zeit, auf die Ruhe der Feiertage, auf die festliche Stimmung -
gerade wenn wir uns auf alles das besonders freuen,
ist es auch besonders wahrscheinlich, dass uns irgendetwas das Fest vermiest. Und sei es nur eine Kleinigkeit.
Oder dass der alte Streit mit den Eltern oder Geschwistern oder Kindern wieder aufbricht.
Oder dass wir erschreckt feststellen, wie wenig wir uns in der Familie noch zu sagen haben.
Oder aber, und das finde ich besonders bedrückend - dass man an Weihnachten allein ist.
Weil der Besuch nicht gekommen ist, wie er es versprochen hatte.
Oder weil es niemanden gibt, der überhaupt zu Besuch kommen könnte.
Alles rundherum schwelgt in Familienseligkeit,
während man selbst nicht so recht weiß,
wohin mit all den schönen Erinnerungen an Früher
und den einsamen Gedanken heute.
Dass Weihnachten doch nicht so schön wird wie erhofft,
das gehört zu den Enttäuschungen, die oft noch lange schmerzen.
Denn Erwartungen und Enttäuschungen liegen nahe beieinander.
Je höher die Erwartungen, umso tiefer die Enttäuschungen.
Menschen, die in ihrem Leben zu oft enttäuscht wurden, neigen dazu, dass sie niemandem mehr trauen.
Sie kapseln sich ab, erwarten von den anderen nichts Gutes mehr.
Ja, und so können auch wir nicht leugnen, dass wir misstrauischer werden, zumindest rechnen wir mit Enttäuschungen, wenn wir uns auf Menschen verlassen sollen.
Denn zwischen Menschen lassen sich Enttäuschungen niemals ganz vermeiden.
Da helfen die allerfestesten Vorsätze und die allerbesten Absichten nichts.
Sogar der große Apostel Paulus hat seine Gemeinde in Korinth enttäuscht.
Aber, sagt der Apostel:
Es gibt jemanden, auf den Ihr Euch ganz und gar und unbedingt verlassen könnt.
Von ihm werdet ihr nicht enttäuscht.
Wenn er ja sagt, dann folgt darauf kein nein.
Es stimmt schon: Gottes Ja zu uns - manchmal können wir es nicht hören.
Manchmal halten wir uns die Ohren zu, weil wir so mit uns selbst beschäftigt sind, dass wir sein Ja gar nicht hören wollen.
Weil wir uns so in unseren Schmerz vergraben.
Weil wir so in unsere Trauer versunken sind.
Weil wir so an uns selbst und der Welt verzweifeln,
dass wir nichts mehr bejahen und nur noch verneinen wollen.
Gott spricht sein Ja trotzdem.
Dieses Leben, das wir führen
an dem wir manchmal verzweifeln,
mit dem wir manchmal so ringen,
das wir dann aber auch wieder genießen
und das seine Höhen und Tiefen hat -
zu diesem Leben sagt Gott ja.
Er versteht uns.
Er nimmt uns an.
Bei ihm sind wir aufgehoben.
Er sagt ja zu uns.
Er sagt ja zu den Menschen um uns herum.
Er sagt ja auch zu denen, die wir so unsäglich finden.
Er sagt ja zu allen Menschen, die er geschaffen hat.
Und weil wir uns so schwer tun, daran zu glauben.
Und weil dieses Ja so abstrakt und schwer zu begreifen ist,
hat er seinen Sohn gesandt.
Ein Mensch, der uns gleicht.
Darauf warten wir - aber seine Ankunft ist nahe.
*Auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja;
darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zur Ehre.
- Amen.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,
Amen.