Auch Liebe ist ansteckend | nikolaushueck blog

Auch Liebe ist ansteckend

Eine Predigt an Karfreitag in Corona-Zeiten

Eintrag vom

Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. Und es stand geschrieben, welche Schuld man ihm gab, nämlich: Der König der Juden. Und sie kreuzigten mit ihm zwei Räuber, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken. Und die vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Ha, der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir nun selber und steig herab vom Kreuz! Desgleichen verspotteten ihn auch die Hohenpriester untereinander samt den Schriftgelehrten und sprachen: Er hat andern geholfen und kann sich selber nicht helfen. Der Christus, der König von Israel, er steige nun vom Kreuz, damit wir sehen und glauben. Und die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn auch. Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und einige, die dabeistanden, als sie das hörten, sprachen sie: Siehe, er ruft den Elia. Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme! Aber Jesus schrie laut und verschied. (Mk 15, 25-37)

Da stehe ich.
Unter dem Kreuz.
Ich schaue auf zu dem der da hängt.
Egal ob bei uns in der Christuskirche oder in einer anderen Kirche: Meistens beherrscht ein großes Kreuz den Raum.
Ein Kreuz und ein Mensch, der daran hängt.
Blutverschmiert sein Kopf, seine Hände, seine Füße.
In seinem Gesicht lässt sich Schmerz erkennen. Verzweiflung. Angst.

Nicht immer. Auf manchen Darstellungen zeichnet sich auf dem Gesicht schon etwas anderes ab. Eine Ahnung davon, dass dieser Schmerz nicht das Ende ist.

Trotzdem: In unseren Kirchen steht das Leiden, das Sterben an einer ganz prominenten und sichtbaren Stelle.
Und das ist gut so, finde ich.

Uns wird oft vorgeworfen, wir Christen seien in das Leiden verliebt.
Uns wird vorgeworfen, wir würden einen Kult um Leiden und Tod machen.
Und so das Leid verklären.
Als ob man dem Tod einen Sinn geben könnte und dann alles nicht so schlimm wäre.

Ich glaube, das ist ein großes Missverständnis.
Der Tod bleibt grausam und sinnlos.
Auch der Tod Jesu am Kreuz.
Er war der Gipfel der Grausamkeit.
Und nein: An Karfreitag deutet noch nichts darauf hin, dass dieser Tod irgendeinen Sinn haben könnte.

Das muss man gerade jetzt laut und deutlich sagen. Jetzt, wo wir alle umgeben sind von Nachrichten über Krankheit und Tod.
Wo wir diese schrecklichen Bilder sehen.

Gerade jetzt will ich laut und deutlich sagen: Dieses Virus ist grausam und sinnlos.
Es geht gegen meinen Glauben, ihm einen Sinn unterstellen zu wollen.

Nein, dieses Virus ist nicht die Strafe Gottes, der damit die Menschheit züchtigt.
Und dieses Virus ist auch nicht die Gelegenheit, dass wir uns als Gesellschaft endlich wieder auf das Gute, auf die Solidarität und den Zusammenhalt besinnen.

Dieses: "Die Krise ist eine Chance" - dieses Gerede finde ich furchtbar falsch.
Vielleicht kommt es daher, dass Menschen sich schwer tun, dass es das gibt: das einfach nur Sinnlose und das einfach nur Grausame.
Lieber erfinden wir einen Sinn, dann können wir damit besser umgehen.

Aber worin soll der Sinn liegen, dass vielleicht hunderttausende Menschen auf der ganzen Welt an diesem Virus sterben müssen?

Worin soll der Sinn liegen davon, dass Menschen in unseren Altenheimen keinen Besuch von ihren Angehörigen mehr empfangen dürfen. Dass ihre Kinder, ihre Enkel ihnen nicht die Hand halten dürfen?

Worin soll der Sinn liegen davon, dass so viele Menschen Angst um ihre wirtschaftliche Zukunft haben müssen?

Dass Kinder auch dann in der Wohnung bleiben müssen, wenn die Eltern immer ungeduldiger und schließlich vielleicht sogar gewalttätig werden?

Nein, dieses Virus ist blind und einfach nur sinnlos.
Auch wir Christen sollten nicht versuchen, ihm einen Sinn zu geben.

Da stehe ich.
Unter dem Kreuz.
Ich schaue auf zu dem der da hängt.
Wenn ich in sein Gesicht schaue, kommt mir ein anderer Gedanke:
Nichts kann so schlimm sein, dass Gott davor wegläuft.
Nichts kann so schlimm sein, dass Gott davor seine Augen verschließt.

Er bleibt bei uns, auch wenn es um uns herum sinnlos und grausam ist.
Jesus Christus ist eben nicht vom Kreuz gestiegen und hat gesagt: Was gehen mich Eure Schmerzen an?
Und genauso wenig verlässt er uns jetzt in dieser Krise.
Er bleibt bei uns. Er hält unseren Schmerz, unsere Angst, unsere Krankheit gemeinsam mit uns aus.

Darin liegt so unendlich viel Liebe.
Und diese Liebe ist ansteckend.
Der Gekreuzigte sagt:
Verschließt auch Ihr Eure Augen und Eure Herzen nicht vor dem Leid auf der Welt.
Schaut genau hin, wo Menschen jetzt Eure Hilfe brauchen.
Vergesst sie nicht, weil Ihr Euch um Euch selbst sorgt.
Denkt an die Flüchtlinge in den Lagern, denkt an die Alten und ihre Pflegerinnen und Pfleger in den Heimen, denkt an die Menschen in den Kliniken, denkt an die Kinder in den engen Wohnungen.

Denkt an sie und tut, was Ihr tun könnt.
Vergesst Euch gegenseitig nicht.
Ich vergesse Euch auch nicht.

Das ist es, was für uns den Karfreitag in dieser Zeit zu einem so tröstlichen Tag machen kann, trotz aller Grausamkeit und trotz aller Sinnlosigkeit.

Da stehe ich.
Unter dem Kreuz.
Ich schaue auf zu dem der da hängt.
Ich denke mir:
Nein, natürlich ist diese Krise nicht das Ende.
Sie wird vorübergehen.
Noch können wir das nicht sehen.
Noch ist Karfreitag.
Noch.