Wenn sogar Steine singen können
Predigt zu Lukas 19, 37-40 am Sonntag Kantate in der Corona-Zeit
Als Jesus schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen:
Gelobt sei, der da kommt, der König, im Namen des Herrn!
Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!
Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm:
Meister, weise doch deine Jünger zurecht!
Er antwortete und sprach:
Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.
Sie kennen diese Geschichte vermutlich.
Sie stammt eigentlich vom Palmsonntag
und erzählt von einem nicht enden wollenden Jubel.
Jesus zieht in Jerusalem ein - und es sind nicht nur die zwölf Jünger Jesu,
es ist eine große Menschenmenge, die den feiert, der da kommt -
und von dem sie wollen, dass er ihr König wird.
König über sie und König über die Welt.
Weil sie spüren, dass er der ist, den Gott gesandt hat.
Wir wissen alle, wie die Geschichte weitergeht.
Aus dem Singen wird nach wenigen Tagen ein hasserfülltes Schreien.
„Kreuzige ihn“ werden sie rufen, als sie sich von ihm getäuscht fühlen.
Als er ans Kreuz geht statt auf einen Königsthron.
Da wollen sie von ihrer Begeisterung für ihn nichts mehr wissen.
Aber jetzt, jetzt singen sie.
Na gut - vielleicht brummen die einen eher als dass sie singen.
Und andere treffen keinen einzigen Ton richtig.
Aber das macht nichts.
Sie singen mit Leidenschaft.
Mit Inbrunst.
Sie singen vor Begeisterung.
Und sie singen, weil sie spüren:
Sprechen allein genügt jetzt nicht mehr - jetzt, wo unser König kommt.
Der, auf den wir so viel Hoffnung setzen.
Ja, ich glaube tatsächlich: Singen ist mehr als sprechen.
Beim Singen sind wir mehr wir selbst als beim Sprechen.
Wahrscheinlich gibt es deshalb Menschen, denen es peinlich ist, vor anderen zu singen.
Denn beim Singen gibt man eine ganze Menge preis von sich.
Beim Singen kann man sich nicht verstellen.
Beim Singen singt der ganze Mensch, nicht nur der Kopf und der Mund.
Als Kind, wenn ich Angst hatte, haben meine Eltern mit mir gesungen.
„Breit aus die Flügel beide, o Jesu meine Freude“ - vielleicht kennen Sie das Lied.
Mir hat es geholfen.
Seit dem glaube ich: Singen hilft gegen Angst.
Und Singen macht Mut. „We shall overcome“ - damit haben die amerikanischen Bürgerrechtler gegen den Krieg und gegen die Ungerechtigkeit angesungen.
Ein friedliches Lied, gesungen Arm in Arm -
da hält man durch - auch gegen die überlegene Staatsmacht.
„Vertraut den neuen Wegen“ hat die kirchliche Opposition in der DDR gesungen,
„die Tore stehen offen, das Land ist hell und weit“ -
und nicht viel später ist die Mauer tatsächlich gefallen.
Singen kann auch in der Trauer helfen:
Wie viele Tränen sind schon geflossen,
wenn bei einer Beerdigung „So nimm denn meine Hände“ oder „Befiehl Du Deine Wege“ gesungen wurde -
gute Tränen, mit denen die Trauer einen Weg nach draußen gefunden
und das Herz erleichtert hat.
Die Menge in Jerusalem singt ein Loblied:
Gelobt sei, der da kommt, der König, im Namen des Herrn!
So ein Loblied ist auch das heutige Wochenlied.
Sie finden es im Gesangbuch unter der Nummer 302:
„Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön.
Dem, welche alle Dinge, zu Dienst und willen stehn.
Ich will den Herren droben, hier preisen auf der Erd.
Ich will ihn herzlich loben, so lang ich leben werd.“
Das Lied beginnt mit einer so großartig aufsteigenden Melodie,
dass man das Lob schon aus den Noten hören kann.
Aber es ist kein einfacher Dreiklang.
Es ist eine schöne Melodie, aber keine einfache.
Und keine eingängige.
Man muss sie ein paar Mal gehört haben, geübt haben, wenn man mitsingen will.
Ich glaube, so ist das nicht nur mit dem Singen, sondern auch mit dem Loben:
Man muss es üben.
Man kann es üben, wenn es einem gut geht.
Man kann loben und singen üben, wenn einem danach ist.
Und dann, wenn man es geübt hat, eingeübt hat,
dann kann auch loben und singen, wenn einem überhaupt nicht danach ist.
Wenn die Welt dunkel wird, oder einsam, oder traurig.
Wenn man dann eine Melodie hat, dann hilft das. Mir jedenfalls.
Beim Singen kann ich den Mund ruhig auch einmal ein wenig zu voll nehmen
und gegen alles das ansingen, was mich bedrückt,
was mich beschäftigt, was mich quält.
Ja, vielleicht kostet es Kraft, den Mund aufzumachen, wenn mir eigentlich gar nicht danach ist.
Aber viel mehr noch gibt es mir Kraft.
Gott loben, auch dann, wenn ich gerade gar nichts zu loben finde -
das ist wie Singen in der Einsamkeit, oder in der Dunkelheit.
Von außen sieht das merkwürdig aus und hört sich vielleicht auch merkwürdig an.
Aber es hilft.
Und nein, es kommt dabei nicht darauf an,
die richtigen Noten im richtigen Rhythmus zu treffen.
Es kommt nicht darauf an, gewählt gesetzte Worte zum Lob Gottes zu finden.
Singen und Loben kommt aus dem Glauben -
und den haben musikalische und unmusikalische, wortgewaltige und wortkarge Menschen gleichermaßen.
Notfalls singen sogar die Steine zum Lob Gottes, sagt der Predigttext.
Wenn die das können, dann können wir das auch.
Selbst mit Corona-Maske vor Mund und Nase.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.