Warum der Heilige Geist lästig, aber gerade jetzt bitter nötig ist | nikolaushueck blog

Warum der Heilige Geist lästig, aber gerade jetzt bitter nötig ist

Gedanken zu Pfingsten in der Corona-Krise

Eintrag vom

Es ist die Woche vor Pfingsten - und Deutschland befindet sich in der Aufwachphase: Viele der Regelungen, die uns in den letzten Wochen voneinander ferngehalten haben, gelten nicht mehr. Die einen sehen das mit großer Sorge und raten zur Vorsicht, weil sie sich vor einer zweiten Welle der Infektionen fürchten. Die anderen freuen sich über ihre wiedergewonnene Freiheit und wagen sich vorsichtig in Läden, Cafés und Biergärten.
Familienmitglieder sehen sich nach langer Zeit endlich wieder und Freunde treffen sich nicht mehr nur am Bildschirm, sondern live und in Farbe. Und in unseren Kirchen können nun wieder Gottesdienste stattfinden.

Die Maske, die wir alle dabei tragen müssen, erinnert uns daran: Es ist nicht vorbei. Wir haben den ersten Teil geschafft; was noch kommt, wissen wir nicht.
Viele merken erst jetzt, wie verheerend die letzten Wochen waren: Therapeuten berichten über einen Anstieg psychischer Krankheiten. Pädagogen sorgen sich um diejenigen Kinder und Jugendlichen, die wochenlang mit ihren überforderten Eltern auf engem Raum eingesperrt waren. Die Kunstszene liegt brach - und unzählige Menschen stehen trotz der versprochenen staatlichen Hilfen vor den Scherben ihrer wirtschaftlichen Existenz.

Die Krise hat tiefe Spuren hinterlassen. Und selbst die, die persönlich ganz gut durchgekommen sind, merken: Unser Leben ist verwundbar, unsere Kultur ist verletzlich.

Viele Menschen sind tief verunsichert. Jedenfalls waren sie das für einen Moment. Was aber jetzt begonnen hat, ist die Schlacht um die Meinungsführung in der Aufwachphase. Und da darf man sich offenbar keine Blöße geben und keine Verunsicherung zeigen. Die Diskussion um Lockerungen tobt so heftig, wie man es vor ein paar Wochen noch nicht für möglich gehalten hätte.

In den sogenannten "sozialen Medien" fliegen die Fetzen zwischen den Vorsichtigen und den Ungeduldigen wie schon lange nicht mehr. Die Bild-Zeitung versucht, mit ihren großen Buchstaben das Ansehen eines international renommierten Wissenschaftlers zu zerstören. Und auf den "Hygiene-Demos" kommt eine irre Melange zusammen: Menschen, die unter Kontaktbegrenzung leiden und ihrer völlig berechtigten Sorge Ausdruck verleihen. Aber eben auch Anhänger von Verschwörungsmythen, Impfgegner, Wissenschaftsleugner, Reichsbürger und einfach nur gewöhnliche Rechtsextreme.

Der Moment der gemeinsamen Verunsicherung scheint vorbei. Die Chance, aus dieser Krise etwas zu lernen, scheint verstrichen, die Meinungsfronten verhärtet.

Es ist die Woche vor Pfingsten - und ich frage mich, was es heißt, in dieser Zeit auf den Heiligen Geist zu hoffen. Für mich ist der Heilige Geist zunächst einmal eines: nämlich lästig. Er ist die Kraft, die mich nicht in Ruhe lässt. Er verhindert, dass ich es mir in meinem Weltbild zu gemütlich mache; dass ich mich zurücklehne und alle Fehler immer nur bei den anderen Suche.

Der Heilige Geist ist Gottes Kraft, die mich über mich selbst hinaustreibt. Er verhindert, dass ich nur mit den Schultern zucke, wenn ich vom Leid der Menschen um mich herum höre. Er bringt mich - wenn es gut läuft - dazu, dass ich die Armut, die Not, den Schmerz der Welt nicht aus dem Blick verliere. Sondern aufstehe und das tue, was in meiner bescheidenen Kraft steht.

Der Heilige Geist, so stelle ich ihn mir vor, ist Gottes Gegenmittel gegen meine Bequemlichkeit. Und ja, das ist mir oft lästig. Manchmal gewinnt meine Bequemlichkeit - und ich bleibe eben doch auf dem Sofa sitzen. Aber das tut nicht gut. Mir nicht, und denen um mich herum auch nicht.

Übrigens glaube ich, dass der Heilige Geist ein großer Freund der Wissenschaft ist: Die Methode, immer in Bewegung zu bleiben, immer wieder seine eigenen Ergebnisse in Frage zu stellen, immer wieder auf Kritik zu reagieren und zu noch besseren Ergebnissen zu kommen, auch wenn man sich damit selbst korrigieren muss - das gefällt ihm sicher.

Was dem Heiligen Geist, an den ich glaube, nicht gefällt, ist Denkfaulheit. Oder, anders gesagt: Der Heilige Geist ist der Gegner jeder Ideologie, die sich immun macht gegen alle Einwände und Argumente. Wer nach ein paar Facebook-Postings und ein paar YouTube-Videos wirklich meint, er habe die Welt begriffen, wisse über die angeblichen Weltmachtspläne von Bill Gates bescheid, und müsse auf keine Argumente mehr hören - der, nun ja, erscheint mir nicht sehr geistvoll.

Und wer sich weigert, eine Maske zu tragen, auch der kann sich dafür sicher nicht auf den Geist berufen. Ja, ich glaube an den Geist, der Freiheit schenkt. Auch die Freiheit, anders zu sein als der Rest. Aber ich glaube nicht an den Geist der Rücksichtslosigkeit. Der Geist, den Jesus Christus uns versprochen hat, gibt gerne ein Stück Freiheit auf, wenn er dadurch anderen Menschen helfen kann. Diese furchtbar unbequemen Masken tragen wir zum Schutz der anderen - und wir ertragen sie aus der Liebe, die uns der Geist schenkt.

Der Heilige Geist hält uns in Bewegung, das ist das erste, was er tut. Und diese Bewegung hat eine Richtung: Sie ist die liebevolle Hinwendung zu denen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind.
Es stimmt schon, das braucht Kraft, und nicht jeder und jede von uns hat Kraft - aber der Heilige Geist fordert nicht nur von uns, sondern er schenkt uns auch etwas.
Er schenkt uns das, was wir für ein Leben in dieser Bewegung brauchen. Er schenkt uns das Vertrauen, dass Gott es letztlich gut mit uns meint. Er schenkt uns Trost, ohne den das Leid dieser Welt kaum auszuhalten wäre. Er schenkt uns die Hoffnung, dass es eine Welt ohne Leid und Jammer und Schmerz gibt. Und dass diese Welt schon jetzt in unsere Wirklichkeit hineinragt. Und er schenkt uns die Liebe, mit der wir merken: Es geht nicht immer nur um uns selbst, es geht erstmal um die, die uns brauchen. Ja, mehr noch: Es geht darum, dass wir uns gegenseitig brauchen.

Wir sind durch so viel getrennt: durch Ideologie und Rechthaberei, durch Geiz und Neid, durch Aggression und Unversöhnlichkeit. Dafür, dass wir diese Krise bisher besser gemeistert haben als viele andere Länder, ist ganz schön viel von dieser Unversöhnlichkeit unterwegs. Das ist für mich die eigentliche Sünde wider den Heiligen Geist. Deshalb hoffe ich, dass wir alle den Ton etwas runterschrauben. Gerade in dieser Situation der Ungewissheit, die für alle von uns schwer auszuhalten ist.

Erst wenn dies alles vorbei sein wird, werden wir wissen, was wir in diesen Tagen falsch und was wir richtig gemacht haben. Erst dann - nicht früher. Und dann wird gelten, was Bundesgesundheitsminister Spahn neulich im Bundestag gesagt hat: „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“ Das mag zwar ungelenk formuliert sein, ich sehe darin aber Spuren des Geistes, der auch Geist der Vergebung ist.

Unsicherheit zugeben und entsprechend tolerant sein gegenüber den unterschiedlichen Versuchen der Politik, die Balance zu finden zwischen Gesundheit auf der einen und den wirtschaftlichen und sozialen Folgen auf der anderen Seite: Ich glaube, damit sollten wir jetzt schon mal anfangen.
Ich verstehe es als unsere Aufgabe, als die Aufgabe der Kirchen, angesichts dieser Krise und der drohenden Spaltungen in unserer Gesellschaft möglichst laut und deutlich vom Geist der Barmherzigkeit, vom Geist der Vergebung und vom Geist der Hoffnung zu sprechen. Nein, nicht nur davon zu sprechen, sondern sich in allem, was wir sagen und tun, von ihm leiten zu lassen.