Schmerzliche Erfahrung und trotzige Hoffnung
Predigt zu Mt 11,25-30
Zu der Zeit fing Jesus an und sprach:
Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart.
Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen.
Alles ist mir übergeben von meinem Vater,
und niemand kennt den Sohn als nur der Vater;
und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.
Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir;
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
Wenn Sie das Wort „Corona“ nicht mehr hören können, dann geht es Ihnen wie mir.
Aber es hilft ja nichts, Corona ist allgegenwärtig.
Auch hier in der Kirche.
Wir feiern zwar wieder Gottesdienste in der Kirche, aber eben nur sehr eingeschränkt.
Mit Maske im Gesicht und gebührendem Abstand.
Mit sparsamem Gesang, wie es uns unsere Landeskirche empfiehlt.
Und wenn wir die Kirche verlassen, dann sollen wir uns nicht zulange unterhalten.
Corona hat unser Leben durcheinandergebracht.
Hat alles, was wir geplant haben, über den Haufen geworfen.
Hat Menschen getrennt, die zusammen gehören.
Greift tief in viele Geldbeutel hinein.
Und ist mit alldem noch lange nicht fertig.
Vieles geht jetzt schon wieder,
Aber gleichzeitig merken wir: Es ist noch nicht vorbei.
Da kann noch etwas kommen.
Und die wirtschaftlichen Folgen fangen jetzt erst so richtig an, spürbar zu werden.
Und in dieser Situation hören wir heute unseren Predigttext:
„kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“.
Das ist vermutlich der Satz, der uns am ehesten in Erinnerung bleibt von diesem Text.
Es ist der bekannteste Satz, es ist unser heutiger Wochenspruch,
und es ist der Satz, den wir alle gerne hören:
Christus ist der, von dem wir Trost zu erwarten haben.
Er steht mit weit geöffneten Armen da und wartet auf uns.
Bei ihm sind wir geborgen, gerade wenn es uns so geht, wie es uns eben derzeit geht,
in dieser unsäglichen Corona-Krise.
Es tut so gut, das zu hören.
Aber das ist wohl nur ein Teil der Wahrheit.
In unserem Predigttext steht noch mehr.
Davor kommt noch einiges, das man schnell und gerne überliest,
weil es kompliziert klingt - und auch kompliziert ist.
Alles ist mir übergeben von meinem Vater,
und niemand kennt den Sohn als nur der Vater;
und niemand kennt den Vater als nur der Sohn
und wem es der Sohn offenbaren will.
Kluge Theologen sehen in diesen Sätzen den Anfang der Trinitätslehre:
Vater und Sohn gehören zusammen,
sie gehören so eng zusammen, dass sie eins sind.
Sie bestätigen und erklären sich gegenseitig gegenüber uns, den Menschen.
Das ist der erste Teil der Trinitätslehre.
Aber dieselben klugen Theologen sagen auch, wenn sie denn wirklich klug sind:
Wir verstehen das nicht bis ins Letzte.
Gott - und das ist schwierig auszuhalten:
Gott entzieht sich unserem Verständnis.
Gott ist immer mehr, als wir Menschen meinen.
Gott ist immer anders, als wir Menschen meinen.
Wir können uns noch so viele Bilder machen von Gott.
Kein einziges Bild, und sei es noch so klug, sagt uns, wie Gott wirklich ist.
Und das ist doch genau das, was wir jetzt in der Corona-Krise sehr deutlich spüren.
Diese Krise verunsichert uns zutiefst.
Sie bringt nicht nur unser äußeres Leben durcheinander,
sie richtet auch in unserem Inneren tiefe Verunsicherung an.
Und alle, die es mit ihrem Glauben ernst meinen,
kommen um die Fragen nicht herum:
Wie hängt denn unser Gott mit diesem Virus zusammen?
Hat er damit überhaupt etwas zu tun?
Hat er dieses Virus vielleicht sogar geschickt?
Oder ist es ihm schlicht egal?
Ist ihm egal, wie sehr dieses Virus Menschen zerstört,
wie sehr es Gemeinschaften zerstört?
Oder würde Gott gerne etwas tun?
Vielleicht schaut er ja ohnmächtig zu, wie Menschen sterben, wie andere ihre Arbeit verlieren, wie wieder andere immer einsamer werden?
Die einzige Antwort auf diese Frage, die mir persönlich möglich ist:
Ich weiß es nicht.
Auch nach Jahren des Theologiestudiums: Ich weiß es einfach nicht.
Das tut weh, weil ich in anderen Momenten spüre, wie Gott mir nahe kommt und vertraut ist.
Aber in Momenten der Krise - und diese Krise ist ja nicht die einzige - in Momenten der Krise kann ich nur sagen:
Ich weiß es nicht.
Ich weiß nicht, was Gott sich dabei denkt.
Ich weiß nicht, warum Gott etwas tut und etwas anderes nicht verhindert.
Ja, natürlich: Dieses Virus hat etwas mit Gott zu tun.
Wenn wir glauben, dass Gott die Welt geschaffen hat, dann gehört auch dieses Virus dazu.
Aber nein, ich glaube nicht, dass Gott dieses Virus geschickt hat, um uns für irgendetwas zu bestrafen.
Nein, ich glaube auch nicht, dass es Gott egal ist, ob und wie seine Menschen leiden.
Der Gott, an den ich glaube, der sitzt nicht irgendwo wie vor einem Computerspiel und schaut Menschen beim Sterben zu.
Der Gott, an den ich glaube, der leidet mit seinen Menschen, mit jedem von uns mit.
Gott will das Leben und nicht den Tod, das glaube ich fest.
Aber sehr viel weiter komme ich nicht mit meinen Fragen.
Ich merke, wie wenig ich wirklich über Gott weiß.
Und ich merke noch etwas anderes: Nämlich wie wenig ich Herr über mein eigenes Leben bin.
Wie leicht mein Leben durcheinander geraten kann.
Wie wenig ich in meinem Leben selbst beeinflussen kann.
Beides hat mir das Corona-Virus deutlich vor Augen geführt.
Dass ich wenig über Gott weiß - und dass mein Leben abhängig ist von Dingen, die ich nicht in der Hand habe.
Und beides tut ziemlich weh.
Darüber kann man nicht einfach hinweg gehen mit frommen Sprüchen.
Und dann schaue ich noch einmal genauer auf unseren Predigttext.
Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Jesus am Ende dieses Textes sagt:
Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken.
Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir;
denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig;
so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
Wir können eben doch etwas über Gott wissen.
Wir wissen spätestens seit Jesus von ihm, dass er uns nichts Böses will.
Dass er keinen Spaß daran hat, uns leiden zu sehen.
Dass er uns keine schwere Last auferlegen will,
sondern dass er uns befreien will von dem, was uns beschwert und runterzieht.
Nein, das wendet die Krise nicht ab.
Das ist auch kein Ersatz für einen Impfstoff, auf den wir alle so sehnlich warten.
Aber es ist Grund zur Hoffnung,
Grund, nicht zu verzweifeln.
Der Glaube macht uns nicht immun gegen das Virus und seine Folgen.
Aber er hilft uns, mit der inneren und äußeren Krise umzugehen.
Wenn die Trinitätslehre einen Sinn hat, dann den:
Gott ist so, wie Jesus von ihm spricht.
Jesus weiß, von was er da redet.
Wenn er Gott seinen Vater nennt, dann ist er Gott nah.
Und dann sind mit ihm auch wir Gott nah.
Zu Gott, sagt Jesus, zu Gott können wir kommen, wenn wir Hilfe suchen, wenn wir Trost suchen, wenn uns die Kraft ausgeht.
Gott verhindert nicht, dass wir leiden müssen.
Gott verhindert nicht, dass dieses Virus unsere Gesellschaft im Griff hat.
Gott verhindert nicht, dass Menschen daran sterben - daran, und an so vielem anderen, für das wir Menschen Verantwortung tragen.
Das ist unsere Erfahrung. Unsere manchmal sehr schmerzhafte und bittere Erfahrung.
Aber Gott lässt uns nicht allein mit dem, was er uns zumutet.
Seine Arme sind weit geöffnet, wenn wir seine Hilfe suchen.
Er streckt die Hand aus, um alle seine Menschen aus der Tiefe herauszuholen:
Die, die Mühe haben mit ihrem Leben.
Die, die sich selbst zu schwer beladen haben oder die von anderen zu schwer beladen wurden.
Gott ist genau für die da. Er ist für uns da.
Das ist unsere Hoffnung, unsere machmal sehr trotzige Hoffnung.
Glaube besteht darin,
die schmerzhafte Erfahrung nicht zu leugnen.
Und die trotzige Hoffnung nicht zu verlieren.
und so im Frieden zu leben: Im Frieden mit Gott und im Frieden mit uns selbst.
Und dieser Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,
Amen.