Streit ja, Kampf nein | nikolaushueck blog

Streit ja, Kampf nein

Meine Predigt zu 1. Kor 3,9-17

Eintrag vom

Wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau.

Nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe ich den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf.
Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut.
Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird es ans Licht bringen;
denn mit Feuer wird er sich offenbaren.
Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen.
Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen.
Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.
Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?
Wenn jemand den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott zerstören, denn der Tempel Gottes ist heilig – der seid ihr.

Wer diesen Text ein einziges Mal liest und ihn gleich versteht, bekommt einen Sonderpreis.
Wie so oft ist Paulus kompliziert.
Man muss seine Zeilen drei oder viermal lesen, um etwas zu begreifen von dem, was er schreibt.
Und dann noch ein paar Mal, um zu erahnen, was das mit uns heute zu tun haben könnte.
Aber ich finde, es lohnt sich.

Irgendwie scheint es um die Gemeinde in Korinth zu gehen
und darum, dass man sich dort kräftig streitet.
Es geht um das Fundament der Gemeinde und um das Jüngste Gericht.
Und Paulus klingt ziemlich genervt, weil er die Gemeinde in Streitigkeiten untergehen sieht.
Sehr viel mehr ist auf’s erste Lesen oder Hören kaum zu verstehen.

Deshalb noch mal von vorne:

Paulus hatte die Gemeinde in Korinth gegründet.
Sie ist so ein bisschen sein Lieblingskind, diese Gemeinde in der großen Stadt,
in der es alle Religionen der damaligen Zeit gibt.
Alle Religionen und alle Kulturen leben dort zusammen.
Die Stadt ist modern und bunt.
Und nun gibt es auch Christen dort, gar nicht mal wenige.
Darauf ist Paulus ein bisschen stolz - aber er ist vor allem dankbar, denn nicht er hat diese Gemeinde gegründet, sondern eigentlich Gott selbst.
Umso schlimmer, dass diese christliche Gemeinde jetzt im Streit zu zerbrechen droht.
Kaum ist Paulus weg, zerfallen die Christen in Korinth in zahlreiche Parteien.
Man bekämpft sich.
Man bezichtigt sich, ungläubig zu sein, falsch zu leben.
Um den rechten Glauben geht es.
Um die richtige Form, Gottesdienst zu feiern.
Es geht darum, wie man als Christ oder Christin leben soll in dieser bunten Stadt.

Die Parteien kämpfen, man gibt sich unversöhnlich, wie so oft in Glaubensdingen.
Und Paulus erfährt davon.

Nach Korinth kommen und eingreifen kann er so schnell nicht, also schreibt er Briefe.
Und aus einem dieser Briefe stammt unser Predigttext.

Was sagt nun Paulus zu dem Streit in der Gemeinde?
Welcher Partei gibt er recht?
Wahrscheinlich haben sie alle gehofft, dass sich Paulus auf ihre Seite schlägt.
Dass in seinem Brief, den sie alle so sehnsüchtig erwarten,
ihre eigene Position gestärkt wird.

Aber zunächst einmal: Er schlägt sich auf keine Seite.
Er schreibt nach Korinth das, was auch alle Eltern sagen, wenn sich ihre Kinder mal wieder in die Haare kriegen.
Er sagt: „Hört auf zu streiten“.

Er sagt: Seid Ihr noch bei Trost?
Ihr seid doch alle Christen.
Ihr glaubt an den, der die Welt mit Gott versöhnt hat.
Und Ihr habt nichts besseres zu tun, als Euch zu bekämpfen?

Natürlich, sagt Paulus, natürlich gibt es in einer Gemeinde Unterschiede.
Es gibt verschiedene Vorstellungen davon, was in der Gemeinde gelten soll;
verschiedene Bilder, wie sich die Gemeinde entwickeln soll.
Nicht alle diese Vorstellungen sind gleich gut.
Manche helfen der Gemeinde beim Wachsen mehr, andere helfen weniger.

Manche sind sozusagen aus purem Gold, manche aus Silber,
andere aus Edelsteinen, und dann gibt es die aus Holz und aus Stroh.
Welche Vorstellungen aus Gold sind und welche nur aus Stroh, das wird sich zeigen.
Aber bitte, liebe Brüder und Schwestern in Korinth:
Bitte überlasst Gott das letzte Urteil!

Diskutiert darüber, aber zerstreitet Euch um Gottes Willen nicht!
Was euch eint, ist doch so viel größer als was euch trennt.
Vor lauter Streit vergesst ihr, was wirklich wichtig ist.
Ihr vergesst, dass Ihr ein gemeinsames Fundament habt.
Dass ihr einen gemeinsamen Glauben habt.
Denn: Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.

Dem stimmt Ihr doch alle zu?!
Ihr alle glaubt an Christus, wie ich ihn euch verkündigt habe.
An Christus, der Menschen heil macht - so wie wir es vorhin im Evangelium gehört haben.
An Christus, der so mitreißend, so lockend und werbend von der Liebe spricht.
Der sagt, dass wir sogar unsere Feinde lieben sollen.
An Christus, dessen Liebe so groß war, dass er sich sogar ans Kreuz hat schlagen lassen.
Und noch am Kreuz hat er seinen Mördern vergeben, hat Frieden mit ihnen gemacht.
Mehr Liebe, mehr Frieden geht nicht.

Und Ihr, die Ihr doch alle an diesen Christus glaubt,
Ihr zerstreitet und bekämpft Euch gegenseitig?
Ihr könnt keinen Frieden schließen über die Grenzen Eurer Parteien?
Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?

So verstehe ich Paulus.
Und so möchte ich selbst mit Streit umgehen.
Außerhalb wie innerhalb der Gemeinde.
Ich möchte Vertrauen haben, dass die großen Fragen, über die wir uns streiten, letztlich Gott entscheiden wird.
Das zaubert den Streit zwar nicht weg, es entlastet mich aber.

Ja, ich finde manche Entwicklung in mancher Religion falsch.
Auch im Christentum.
Mir gefällt auch nicht alles, was in unserer Kirche geschieht.
Und das sage ich dann auch laut und deutlich.

Aber ich versuche, den anderen nicht niederzumachen.
Ich spreche ihm nicht seinen Glauben ab oder seine gute Absicht.
Das darf und soll ich Gott überlassen.
Gott wird schon wissen, was er mit denen macht, die auf dem Holzweg sind.
Und - ganz vielleicht - könnte es ja sein, dass ich es bin, der auf dem Holzweg ist.

Ich möchte nicht über den Glauben oder das Leben anderer urteilen.
Ich möchte mich nicht permanent im Recht fühlen müssen, damit ich mich gut fühle.
Und ich möchte vor allem das suchen, was mich mit anderen verbindet.
Und nicht immer nur das, was mich von ihnen trennt.

Ich glaube, man muss ein Fundament haben, um so denken und leben zu können.
Wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich nicht, wie sicher und fest mein Fundament ist, ob ich auf dem Fundament Jesus Christus fest genug stehe.
Aber ich bemühe mich darum, ich suche danach, auch wenn’s nicht immer ganz einfach ist.
Denn je verlässlicher das Fundament, auf dem ich stehe, desto leichter tue ich mir mit anderen Positionen.
Desto leichter kann ich nach dem Verbindenden suchen.
Desto eher kann ich probeweise auch mal eine andere Sichtweise einnehmen.

Das unterscheidet übrigens das Fundament vom Fundamentalismus.
Der Fundamentalismus sucht nicht, er hat immer schon gefunden.
Für sich, aber vor allem: für alle anderen.
Der Fundamentalismus schreit seine Wahrheit laut in die Welt, weil er meint:
Je lauter man schreit, desto sicherer wirkt man.

Es schreien so viele auf dieser Welt.
Und sie schreien nicht nur, sie sind bereit, Menschen, die anders glauben, zu unterdrücken.
Zu töten, wenn es sein muss.

Fundamentalismus gibt es überall.
In der christlichen Welt, in der islamischen Welt, auch unter Atheisten grassiert seit einiger Zeit ein sehr lauter und wenig dialogbereiter Fundamentalismus.

Gemeinsam ist ihnen, dass es kein Ringen um den Glauben, um die Wahrheit, um das richtige Fundament gibt.
Was wahr und gut und richtig ist, dass steht für den Fundamentalisten von vornherein fest.
Alles andere ist Sünde, Abgötterei oder Dummheit.

Der Fundamentalist muss permanent Urteile fällen,
über die Menschen, über die Welt, über die Verkommenheit der Gesellschaft, über den Verfall des Glaubens.
Und diese Urteile sind meist vernichtend.
Da gibt es nichts zu diskutieren -
und schon gar nichts zu lachen.

Der Fundamentalismus macht sich die Welt einfach.
Wo es nur Gut und Böse gibt, richtig und falsch, schwarz und weiß, da wird das komplizierte Leben plötzlich durchschaubar.

Da wird die Vielfalt plötzlich einfach. Zumindest scheinbar.
Und weil die Verhältnisse in der Welt nicht einfacher werden, weil das Leben immer komplizierter wird, deswegen gewinnt der Fundamentalismus an Anhängern. Leider.

Das gilt für die Religion, das gilt aber auch für die Gesellschaft.
Wenn man alles leugnet, was die Lager unterschiedlicher Positionen verbindet,
dann landet man zum Beispiel bei den unsäglichen Demonstrationen gestern in Berlin.
Da ist dann jedes gemeinsame Fundament aufgekündigt,
da gilt es nichts mehr, wenn man sich redlich um Wahrheit bemüht,
wie es etwa die Wissenschaften tun.
Da gibt es nur noch ein wir und ein die.
Jede Basis für ein Gespräch, jede Basis für einen fairen Meinungswettstreit
wird mit Füßen getreten.
Dann kann man nur noch schreien und den anderen niedermachen.
Für unsere Gesellschaft ist das fatal.

Und wir? Wenn Paulus schreibt: Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus, ist das dann nicht eigentlich eine Anstiftung zum Fundamentalismus?
Muss nicht, wer nur diesen einen Grund kennen will, muss der nicht ein Fundamentalist sein?

Nein. Und ich glaube, christlicher Fundamentalismus ist eigentlich ein Widerspruch in sich selbst.
Denn Christus war doch genau das Gegenteil eines fundamentalistischen Schreihalses.

Und er ist eben gerade nicht mit dem Schwert gekommen, die Menschen zu bekehren. Er hat geredet, geworben, geliebt und gelockt.

Er hat von der Liebe des Vaters erzählt und davon, wie diese Liebe Menschen frei macht.
Er hat geheilt, vergeben - und nicht geurteilt.
Im Gegenteil, er hat uns gewarnt, den Splitter im Auge des anderen zu sehen.

Und genau so verstehe ich auch Paulus, wenn er an die Korinther schreibt.
Ja, sagt Paulus, es gibt unterschiedliche Strömungen in der Gemeinde.
Das ist nicht das Problem.
Zum Problem wird es erst, wenn ihr darüber euer gemeinsames Fundament vergesst.
Wenn Ihr darüber vergesst, dass Ihr alle zu Christus gehört.
Wenn Ihr Euch gegenseitig ausschließt.
Wenn ihr auf die anderen hinabschaut und den Glauben der anderen für weniger wert achtet.
Dann wird es ein Problem.

Weil dann, sagt Paulus, zerstört ihr den Tempel Gottes.
Und dieser Tempel Gottes, das seid ihr.

Also: Sagt, was ihr denkt, und streitet dafür.
Aber überlasst das letzte Urteil über den anderen Gott selbst.

Ich finde das einen wundervollen Gedanken.
So möchte ich denken können und so möchte ich streiten können.
Dann würde ich mich vielleicht tatsächlich ein bisschen mehr wie der Tempel Gottes fühlen.
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.