Man hört nur von den Lauten | nikolaushueck blog

Man hört nur von den Lauten

Predigt zu Exodus 13,20-22

Eintrag vom

Was soll man an so einem Abend sagen?
Ein paar Stunden bevor das Jahr 2020 zu Ende geht.
Ein Jahr, über das sicher einmal eine Menge in den Geschichtsbüchern stehen wird.
Und da wird nicht so sehr viel Positives dabei sein.

Viele - sicher auch manche von uns -
würden dieses Jahr am liebsten mit einem Fußtritt verabschieden.
So sehr hat hat es alle Pläne kaputt gemacht,
So sehr hat es alles Gewohnte über den Haufen geworfen.
So sehr haben Menschen unter der Krankheit gelitten,
und unter den Einschränkungen, die uns alle betroffen haben.
Da wäre ein Fußtritt für dieses Jahr noch relativ freundlich.

Aber dann lese ich noch einmal den Vers, der über dem heutigen Tag steht:
"Meine Zeit steht in Deinen Händen".
Ein Vers aus Psalm 31.
Ein Vers, den jemand betet, der in äußerster Bedrängnis ist.
"Meine Zeit steht in Deinen Händen, Gott".

Wem es gut geht, der tut sich leicht, so etwas zu sagen.
Dieser Vers aber ist ein Vers besonders für die Zeiten, in denen es uns nicht gut geht.
Für die Zeiten, in denen wir Vertrauen brauchen.
Für die Zeiten, in denen wir uns immer wieder klar machen müssen:
Es gibt keine Zeit, die fern von Gott ist.
Gottes Händen entgleitet nichts:
wir nicht, seine Welt nicht.
Er hält uns fest und bleibt bei uns.

Meine Zeit steht in Gottes Händen:
Für mich heißt das:
Keine Zeit, nicht die schönste und nicht die dunkelste,
kommt ohne Gott aus. Und keine Zeit ist gottverlassen.
Auch dieses Jahr 2020 - sogar dieses Jahr 2020 - steht in den Händen Gottes.

Das ist, glaube ich, die Botschaft für einen Abend wie heute,
wenn wir von einem Jahr zum anderen gehen.
Wenn wir zurückschauen - vielleicht unzufrieden,
vielleicht traurig, vielleicht froh, dass 2020 endlich überstanden ist.
Und wenn wir uns sehnen nach einem neuen Jahr,
in dem einiges anders und möglichst besser werden soll.

Wie alle Jahre vorher und alle Jahre, die noch kommen werden -
so kommt auch dieses Jahr 2020 aus Gottes Hand -
und wir dürfen es nun an seinem Ende wieder in Gottes Hand zurück legen.
Auch dieses Jahr kommt aus Gottes Hand.
Für mich heißt das:
Auch wenn wir an seinem Anfang ganz andere Erwartungen hatten,
so gehört dieses Jahr jetzt doch zu uns.
2020 hat uns geprägt.
Wir haben Dinge gelernt, die wir vielleicht niemals lernen wollten.
Wir haben Manches losgelassen,
Manches schmerzlich verloren.
Wir haben Gewohnheiten aufgegeben,
und uns notgedrungen auf Neues eingelassen -
und es ist noch nicht ausgemacht, dass das alles nur schlecht war.

Nein, auch 2020 ist kein „verlorenes Jahr“, wie man es jetzt überall lesen kann.
Auch dieses Jahr kommt aus Gottes Hand -
und wir dürfen es nun wieder in seine Hände zurücklegen.

Das Jahr in Gottes Hände zurücklegen -
das heißt, das Alte Altes sein zu lassen.
Nicht bitter oder zynisch zu werden angesichts der Erfahrungen in diesem Jahr.
Nicht das Vertrauen verlieren in Gott und in unser Leben.
Sondern trotz schlechter Erfahrungen die Hoffnung nicht aufgeben.
Weiterhin daran glauben, dass nichts so bleiben muss, wie es in diesem Jahr war.
Also: Nicht mehr damit hadern, nicht im Zorn zurückblicken.

Auch wenn es vielleicht eine Zumutung ist, das zu glauben:
Auch in diesem Jahr war Gott bei uns.
Er hat uns begleitet, er war auch in den schwierigsten Momenten nicht fern.
Auch wenn wir ihn nicht immer haben spüren können.
Auch wenn wir uns von ihm verlassen gefühlt haben:
Wir waren nicht verlassen.

Gott hat die nicht verlassen, die sich mit dem Virus infiziert haben.
Er hat die nicht verlassen, die einen Menschen verloren haben.
Er hat die nicht verlassen, die ihre Einsamkeit stärker gespürt haben als sonst.
Die sich nach einer Umarmung sehen und nach Nähe ohne Angst vor Ansteckung.
Und er hat die nicht verlassen, die nach all den Absagen, den Schließungen, die nun nicht mehr wissen, wie es wirtschaftlich weitergehen soll.

Der Predigttext für heute drückt genau dieses Gefühl aus und gibt ihm ein schönes Bild.
Er steht im Buch Exodus und ist ganz kurz.

Unser Text erzählt vom Volk Israel, das gerade erst befreit wurde aus der Sklaverei in Ägypten.
Gerade sind sie aufgebrochen aus dem Land, in dem sie gefangen waren.
Und nun stehen sie am Rand der Wüste.
Froh sind sie und erleichtert, dem Alten entkommen zu sein.
Aber was jetzt kommt, wohin es jetzt geht, das wissen sie noch nicht.
Und die Wüste vor ihnen ist groß und weit und trocken und gefährlich.

Ich lese aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 13:
Die Israeliten zogen aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.
Und der HERR zog vor ihnen her,
am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen,
und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten,
damit sie Tag und Nacht wandern konnten.
Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

So kurz und knapp kann die Bibel sein.
Und so schöne Bilder kann sie finden.
Das Volk in der Wüste - und die Wolken- und Feuersäule, in der Gott vor ihnen hergeht.

Gott hatte Israel aus Ägypten geführt.
Und er bleibt bei ihnen, wenn diese große, heiße und unwirtliche Wüste vor ihnen liegt.
Auf den vielen Irr- und Umwegen, die sie jetzt gehen, da begleitet er sie.
Gott zeigt dem Volk Israel die Richtung
und macht ihnen den Weg hell, so dass sie gut vorankommen.

Das macht die Wüste nicht ungefährlicher.
Und auch nicht kleiner.
40 Jahre lang wird Israel darin herumziehen, bis sie endlich das gelobte Land erreichen.
Gott verrät ihnen keine Abkürzung.
Aber er begleitet sie eben - und das macht den Unterschied.

Ich glaube, darauf kommt es an:
Sich von Gott begleiten zu lassen.
Nicht nur auf der Schwelle von einem Jahr zum anderen.
Aber da ganz besonders.
Zurückschauen und dabei auf das achten, was nach der Begleitung durch Gott aussieht.
Es wird vermutlich weder eine Wolken- noch eine Feuersäule sein.
Den Gefallen tut Gott uns leider nicht, dass er auch heute so spektakuläre Zeichen wählt.

Aber es gibt so viel anderes, in dem sich zeigt: Gott lässt uns nicht allein.
Da, wo Menschen sich gegenseitig nicht allein lassen:
Ich bin überzeugt: Das sind solche Zeichen.

Wenn sich Menschen untereinander kümmern,
wenn die Enkel die Großeltern anrufen, jeden Tag - damit niemand so ganz alleine bleibt.
Wenn Menschen bis zum Umfallen arbeiten,
damit Alte weiterhin versorgt werden
oder damit Kranke ihre Infektion überstehen.

Wenn eine Gesellschaft beschließt, den Impfstoff nicht den Stärksten oder den Reichsten oder den Mächtigsten zuerst zu geben, sondern denen, die ihn am dringendsten brauchen.

Wenn Menschen sich am Heiligen Abend oder an einem Abend wie heute ans Telefon setzen, damit auch die Einsamen jemanden zum Reden haben.
Ja, ich glaube tatsächlich, dass all das kleine Rauch- oder Feuersäulen sind.

Man hört immer nur von den anderen.
Denen, die laut schreien, damit man meint, sie seien in der Mehrheit.
Die, die zum Schutz ihrer Mitmenschen noch nicht einmal eine Maske aufsetzen wollen.
Auch in Israel gab es damals die, die gemeutert haben.
Die Mose nicht mehr folgen wollten und Gott nicht mehr vertrauen.
Von denen hört man.
Auch in der Bibel.

Aber die große Menge der anderen, die still und unaufgeregt alles tun,
damit wir einigermaßen gut aus dieser Pandemie herauskommen,
von denen hört man zu wenig.

Welche Zeichen brauchen wir denn noch, dass Gott uns nicht verlassen hat?
Dass er bei uns ist.
Verhüllt wie damals. Nicht so ganz direkt sichtbar.
Aber eben da.

Mir ist nicht bange um die Zukunft, wenn wir auf Gottes Begleitung vertrauen.
Ich will dieses Alte Jahr ohne Zorn und ohne Bitterkeit Gott zurückgeben.
Und ich will das Neue, das kommt, gerne annehmen.
Weil ich glaube, dass auch das aus seinen Händen kommt.
Und das macht Hoffnung, große Hoffnung.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.