Keine Parolen! | nikolaushueck blog

Keine Parolen!

Predigt zu 1. Kor 2,1-5 zum 2. Sonntag nach Epiphanias, 16.1.2022

Eintrag vom

Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit,
euch das Geheimnis Gottes zu predigen.
Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten.
Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern;
und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft,
auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

In der kleinen christlichen Gemeinde von Korinth gab es Streit.
Viel Streit und lauten Streit.
Streit um Personen und Streit um den Glauben.

Die Leute versuchten, sich zu übertrumpfen.
Vor allem an Lautstärke.
Aber auch darin: Wer hat die beste Parole?
Den attraktivsten Spruch.
Wer bekommt die meisten Anhänger?
Wessen Richtung setzt sich durch?

Die Gemeindeversammlungen damals müssen ziemlich lebhaft gewesen sein:
Die Leute saßen in Gruppen zusammen.
Und jede Gruppe hatte ihren Wortführer.
Die standen auf und hielten ihre Reden.
Reden mit ganz großen Worten.
"Freiheit" rief der eine.
Nein: "Weisheit", rief der andere.
"Solidarität" ein dritter.
Und das unter dem Jubeln und Klatschen ihrer Anhänger.
Es ging nicht so sehr darum, den anderen zu überzeugen.
Oder auch nur mal zuzuhören, was der andere zu sagen hatte.

Es ging vor allem darum, sich selbst zuzuhören.
Mit großen Begriffen zu beeindrucken.
Mit brillanten Argumenten den Gegner an die Wand zu drängen.
Die eigenen Anhänger hinter sich zu versammeln.

Vielleicht geht die Fantasie ein wenig mit mir durch,
aber so stelle ich mir das vor damals in Korinth.
Es brauchte weder eine Anne Will noch einen Frank Plasberg,
um die Wortführer anzutreiben.
Sie zu immer radikaleren Aussagen zu treiben.
Das haben die Korinther ganz alleine geschafft.

"Alles ist erlaubt" war so eine Parole, die damals die Runde machte.
Radikale Freiheit, damit warb man für sich und sein Glaubensprogramm.
Freiheit - das klingt immer irgendwie toll.
Nicht nur damals in Korinth.
Aber wer radikale Freiheit für sich selbst fordert,
der vergisst schnell die anderen:
Die Schwachen, die Armen,
die die Hilfe brauchen, um ihre Freiheit überhaupt nutzen zu können.

So war die Gemeinde in Korinth gespalten.
Tiefe Gräben zwischen den Anführern und zwischen den Parteien.
Unüberbrückbare Gegensätze, so dass kaum mehr ein Gespräch möglich war.
Eine Gemeinde, kurz vor dem Auseinanderfallen.

Paulus hat auf Umwegen davon erfahren.
Ihm tat das besonders weh.
Denn er hatte die Gemeinde in Korinth selbst gegründet.
Er hatte viel Zeit und Kraft aufgewendet,
um den Korinthern das Evangelium zu predigen.
Um sie für den neuen Glauben zu begeistern.
Und irgendwie war er auch stolz auf diese Gemeinde in der großen und bedeutenden Stadt Korinth.

Deshalb schreibt er nun an an seine Korinther.
Was und wie er schreibt, das finde ich bis heute unglaublich heilsam.
Mancher an Paulus' Stelle wäre vielleicht versucht gewesen, in dem Spiel mitzumachen.
Also: Sich an die Spitze der Diskussion zu setzen.
Auch selbst große Begriffe zu finden.
Brillante Argumente, die die Gemeinde beeindrucken.
Intellektuell wäre Paulus dazu sicher in der Lage gewesen.

Aber Paulus macht bei diesem Spiel nicht mit.
Im Gegenteil.
Paulus erzählt davon, wie er damals selbst bei den Korinthern aufgetreten ist.
Gerade nicht als strahlender Redner.
Sondern zögerlich, vielleicht stotternd, leise und vorsichtig.
"In Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern", schreibt er.

Er hat nicht die großen Worte und Begriffe gewählt.
Er hat nicht Parolen geschwungen.
Vor allem hat er nicht sich selbst in den Mittelpunkt gestellt.
So wie es die großen Wortführer in Korinth getan haben.

Paulus will nicht Anführer eigenen Partei werden.
Er will versöhnen.
Er erinnert die Korinther an das Gemeinsame.
An das, was sie verbindet.
Und das ist doch eigentlich der Glaube an Jesus Christus, den Gekreuzigten.
Alles, was Paulus sagt, soll auf diesen Christus hinweisen.
Wer von ihm redet,
wirklich von Jesus Christus, dem Gekreuzigten,
der will Anhänger nicht für sich selbst, sondern für ihn.

Wer von Christus redet, der redet nicht laut.
Der braucht keine eingängigen Parolen.
Der schadet seiner Sache eher, wenn er das große Wort schwingt.

Wer wirklich von Jesus Christus, dem Gekreuzigten erzählt,
der wird bescheiden, demütig, und stellt sich ganz sicher dabei nicht selbst in den Mittelpunkt.

So versucht Paulus, die Korinther an das zu erinnern, was sie verbindet.

Und dann zerpflückt er ihre großen Parolen.
Eine nach der anderen.
Auch die Parole von der Freiheit.
Nur ein paar Kapitel nach unserem Predigttext.

"Alles ist erlaubt", sagt ihr?
Stimmt, sagt Paulus, wir sind frei. Von Christus befreit.
Nichts und niemand kann uns etwas verbieten.
Nichts und niemand kann uns Angst machen.
Nichts und niemand kann uns zwingen.
Deshalb ist uns alles erlaubt.
Aber! Es gibt ein großes Aber bei der Freiheit:
Nicht alles dient zum Guten.
Nicht alles, was Ihr tun dürftet, ist hilfreich.
Der Begriff der Freiheit ist hohl, wenn ihr das vergesst.
Wenn ihr Freiheit nur für euch nehmt und den anderen links liegen lasst, dann missbraucht ihr Eure Freiheit.
Rücksicht auf die Schwachen, das gehört unbedingt zur Freiheit hinzu.
Sonst ist Freiheit nur die Tarnung für Egoismus und Selbstsucht.

Ich gestehe, ich liebe Paulus für solche Gedanken.
Gerade heute - wo Freiheit ein so schwieriges Wort geworden ist.
Da möchte ich von Paulus lernen.

Ich möchte von ihm lernen, den großen Worten zu misstrauen.
Den großen Worten der Politiker.
Den großen Worten auch von denen, die derzeit auf unseren Straßen besonders laut spazierengehen und Parolen mit sich herumtragen.
Aber auch den großen Worten der Theologien.

Große Worte wie Freiheit, Solidarität, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Eigenverantwortung
vernebeln oft eher,
als dass sie Dinge klar und nachvollziehbar machten.

Ich möchte mochte von Paulus lernen und ganz genau hinschauen:
In wessen Namen redet jemand?
Welche Absicht verfolgt jemand, wenn er diese großen Worte in den Mund nimmt?
Wessen Interessen will jemand dienen?
Meint er wirklich Freiheit - oder meint er seine eigene Rücksichtslosigkeit?
Ist sie selbst ehrlich - oder verlangt sie Ehrlichkeit nur von anderen?
Geht es wirklich um Gerechtigkeit - oder um den eigenen Vorteil?
Große Worte machen ganz sicher noch keinen großen Politiker. Und erst recht keinen Widerstandskämpfer.

Das gilt für die Debatten der Politik.
Das gilt aber auch für die Kirche,
das gilt auch für unseren Glauben.
Große Worte machen noch keine große Predigt.

Manchmal ist es leicht, sich hinter den schönen Worten der Kirche zu verstecken.
Vielleicht hofft man darauf, dass da schon niemand so genau nachfragen wird.
Aber was heißt denn "Sünde" genau?
Oder "Gnade". Wo spüre ich die in meinem Leben?
Oder "Vergebung". Oder die "Liebe Gottes"?
Hört sich alles gut an - aber wenn man kein Lebensgefühl damit verbindet, dann bleiben es hohle Floskeln.

Oder: Was soll man sagen, wenn Menschen wirklich in Not sind?
Wer da zu schnell Trost spenden will, der kann zynisch wirken.
Wer zu schnell von der Liebe Gottes redet,
von der Hoffnung, die ganz sicher nicht umsonst ist,
der nimmt der Not ihre Ernsthaftigkeit.
Der übertüncht sie mit Formeln, die nicht viel sagen.

Paulus schreibt: "ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern;".

Ich glaube: Wer ernsthaft von seinem Glauben spricht,
ob nun auf der Kanzel oder in einem Gespräch,
kann eigentlich nicht anders als leise und vorsichtig reden.
Und manchmal kann man eben nur stammeln.
Mit Furcht und Zittern.

Denn das Geheimnis Gottes, von dem Paulus spricht,
erschließt sich sicher nicht durch die großen Worte.
Oder durch Hochglanz-Rhetorik.

Das Geheimnis Gottes erschließt sich, wenn wir uns gegenseitig von unseren Schwächen erzählen.
So wie Christus uns das vorgemacht hat.
Von der Geburt im Stall bis zum Tod am Kreuz:
Nicht Stärke, sondern Schwäche.

Von unserem Glauben reden wir,
wenn wir uns von unseren Ängsten erzählen.
Wenn wir uns davon erzählen,
wo wir trotz unserer Ängste Hoffnung haben.
Wenn wir uns davon erzählen, was uns Tag für Tag hochhält.
Was uns Kraft gibt.

Wenn wir auf das Kreuz sehen und spüren:
Wir sind nicht allein, auch dann nicht, wenn wir uns allein fühlen.
Wir sind nicht allein, auch dann nicht, wenn wir in Not sind,
wenn die Welt um uns herum zu wanken scheint.

Wenn wir uns gegenseitig davon erzählen.
Und uns gegenseitig dabei zuhören.
Dann geht es wirklich um unseren Glauben.
Dann tragen wir ihn wirklich weiter.
Dann brauchen wir keine großen Worte und keine Anführer.
Und erst recht keine Spaltungen.

Dann stützen wir uns gegenseitig, indem wir uns gemeinsam von Gott tragen lassen.
Und dann sind wir eine Gemeinde, wie Paulus sie sich vielleicht für die Korinther vorgestellt hat.
Das wünsche ich uns sehr.
Amen.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,
Amen.