Kleiner Glaube? | nikolaushueck blog

Kleiner Glaube?

Predigt zu Mt 14,22-33

Eintrag vom

Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe.
Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten.
Und am Abend war er dort allein. Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.
Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer.
Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht.

Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach:
Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!
Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.
Und er sprach: Komm her!
Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.
Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich.
Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!"

Ich erinnere mich noch erstaunlich genau.
Es war der Religionsunterricht in der 2. oder 3. Klasse.
Frau Fechner, eigentlich meine absolute Lieblingsreligionslehrerin, hatte uns diese Geschichte vorgelesen.
Und jetzt sollten wir basteln.
Ein Schiff und zwei Figuren.
Ausschneiden und aufkleben, auf eine Unterlage aus Pappe.
Als erstes musste die Pappe blau angemalt werden.
Das sollte das aufgewühlte Wasser sein.
Und dann darauf das Boot aufgeklebt.

Ein ganzes Stück weit davon entfernt Jesus.
Er stand aufrecht, mit langen, wehenden Haaren.
Und er streckte die Arme aus - Richtung Schiff.
Und Richtung Wellen.
Das sah ziemlich furchtlos aus und fast majestätisch, fand ich damals.

In der Mitte zwischen Boot und Jesus dann Petrus.
Seine Figur, so wie wir sie ausschneiden sollten, hatte keine Füße.
Auch der sollte auf der blauen Pappe aufgeklebt werden.
Direkt mit den Knien auf dem Boden.
Das sollte so aussehen, als ob er schon ein wenig ins Wasser gesunken wäre.
Auch Petrus hatte die Arme ausgestreckt.
Nicht so majestätisch wie Jesus.
Eher hilfesuchend, um Hilfe schreiend.

Mir als 7- oder 8Jährigem tat Petrus leid.
Er war so begeistert gewesen.
Er hatte sich so gefreut, Jesus zu sehen und wollte ihm unbedingt entgegengehen.
Und jetzt war er in dieser verzweifelten Haltung mitten auf dem stürmischen See
und konnte Jesus nur noch um Hilfe anflehen.

Dabei hatte doch Jesus selbst gesagt, dass er ruhig zu ihm kommen sollte.
Und das obwohl er doch wissen musste,
dass Petrus den Weg über die Wellen nicht alleine schaffen würde.

Ich hatte Mitleid mit Petrus und war - ehrlich gesagt - auch ein bisschen sauer auf Jesus.
Weil er ihn in die Falle gelockt hatte.
So habe ich das als Grundschüler empfunden.

Meine Religionslehrerin war anderer Meinung.
Das war wohl das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Wort "Kleinglauben" gehört habe.
Petrus, meinte meine Religionslehrerin, war eben kleingläubig.
Und deshalb, meinte sie, geschehe es ihm recht, dass er schon bis zu den Knien ins Wasser gesunken war.
Aber auch ihn hat Jesus ja dann gerettet, hat sie mich getröstet.

Seit dieser Zeit beschäftigt mich diese Geschichte.
Vor allem die Frage: Was ist eigentlich Kleinglaube?
Gibt es das überhaupt?
Ist das die Schuld von jemandem, wenn er nicht so recht glauben kann?
Sollen wir ihm oder ihr das vorwerfen?
Und was wäre das Gegenteil davon?
Großglaube?
Und wäre das dann das Verdienst von jemandem, wenn er oder sie einen starken Glauben hat?

Geht das überhaupt: Menschen einteilen in die, die einen kleinen - und die, die einen großen Glauben haben?
Und vor allem frage ich mich natürlich, zu welcher dieser beiden Gruppen ich selbst dann gehören würde.
Ob mein eigener Glaube ausreicht:
Diese Frage hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.
Vielleicht erinnere ich mich auch deshalb so gut an diese Stunde Religionsunterricht.

Heute denke ich: Was wir alle teilen, das ist die Sehnsucht.
Die Sehnsucht nach Gott, der für uns da ist.
Der die Stürme stillt und uns aus den Fluten hilft, wenn wir sinken.
Der uns heil macht, wenn wir krank sind.
Und der uns versöhnt, wenn wir zerstritten sind.
Die Sehnsucht nach jemandem, der sagt: "Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!".
Und der das so sagt, dass wir ihm vertrauen können.
Ich glaube, diese Sehnsucht teilen wir alle.

Wir spüren, dass unser Leben an so vielen Stellen wund ist und verwundbar.
Wir spüren, dass unser Leben an so vielen Stellen schwer ist.
Auch deshalb, weil wir es uns selbst und den anderen schwer machen.
Und wir sehnen uns danach, dass uns jemand heilt, ganz macht, mit uns selbst versöhnt.

Und ich finde: Diese Sehnsucht ist doch schon Glaube.
Kein Kleinglaube und kein Großglaube, sondern der Anfang von etwas.
Nein, einen zu kleinen Glauben gibt es nicht.
Es sind doch nicht wir, es ist doch Gott, der für unseren Glauben sorgt.
Wir müssen ihn nur lassen.
Und da ist unsere echte und ehrliche Sehnsucht vielleicht das einzige, was es wirklich braucht.

Glaube ist doch nichts anderes als die Ahnung davon,
dass meine Sehnsucht nicht umsonst ist.
Da ist nicht einfach ein leerer Himmel über mir.
Oder ein Gott, der sich heimlich über mich armen Menschen kaputtlacht.
Nein, da ist jemand, der sagt: "Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht".

Glaube ist eine Ahnung davon,
dass ich nicht allein bin mit meinen Ängsten und meinen Sorgen.
Ich bin nicht allein, wenn ich nachts wach werde und mir bange wird vor dem, was da kommt.
Ich muss nicht allein gegen die Wellen kämpfen, die über meinem Leben zusammenschlagen.
Glaube ist die Hoffnung darauf, dass ich nicht allein bin, sondern mich an jemanden wenden kann.
Ich darf ihm mit zittriger Stimme von meiner Angst erzählen.
Ich darf schweigen und hören, ob er mir etwas antwortet.
Oder ich darf so laut schreien, wie ich kann: "Herr, rette mich".

Das alles darf ich.
Und ich muss davor niemandem beweisen wie klein oder groß mein Glaube ist.
Jesus Christus wird mich hören.
Gott wird mich hören.
Und er wird einen Weg finden, wie er mir hilft.
Das muss nicht der Weg sein, den ich mir selbst wünsche.
Aber schon allein das Gefühl, dass ich eben nicht allein bin -
Schon allein das hilft mir.
Denn dann darf ich meinen Blick auf ihn richten. Nach oben.
Und muss nicht immer unter mich starren: auf den Sturm und auf die Wellen.

Von Dietrich Bonhoeffer gibt es den schönen Satz:
"Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern auf ihn verlassen."

Den hätte ich gerne schon als Achtjähriger gekannt.
Dann hätte ich ihn meiner Religionslehrerin gesagt.

Ich muss mich nicht ständig fragen, ob mein Glaube groß genug ist.
Glaube ist keine Sportart, in der es die auf dem Siegerpodest und die auf den letzten Plätzen gibt.
Ich darf darauf vertrauen, dass Gott mir Glaube gibt, wenn ich ihn brauche.

Ich will die Sehnsucht nach Gott in meinem Leben wachhalten.
Um alles andere sorgt er sich.
Für Petrus war er da, selbst als dem die Zweifel kamen.
Und so wird es auch bei mir sein.
Das hoffe ich.
"Oh Du Kleingläubiger" sagt er vielleicht.
Weil er mich gut kennt.
Aber er sagt es nicht vorwurfsvoll.
Sondern voller Mitgefühl.
Und dann wird er für mich da sein.
Amen.