Kann man Trost lernen? | nikolaushueck blog

Kann man Trost lernen?

Predigt zu 1. Kor 1,3-7 am Sonntag Lätare 2022

Eintrag vom

Seit letztem Herbst habe ich eine Aufgabe,
die ich nicht ganz einfach, aber unglaublich spannend finde.
Ich darf angehende Polizistinnen und Polizisten unterrichten,
hier bei der Bereitschaftspolizei in Königsbrunn.

Da sind viele kluge und interessante junge Menschen.
Die wollen wirklich etwas.
Die wollen etwas wissen.
Und sie wollen sich engagieren.
Die angehenden Polizisten und Polizistinnen,
sie haben sich vorgenommen, mit ihrem Beruf etwas Gutes zu tun.
Den Menschen zu helfen.
Darum geht es ihnen - und das spürt man auch.

In der vergangenen Woche haben wir zusammen geübt,
wie man als Polizistin oder Polizist eine Todesnachricht überbringt.
Bei einem Unfall zum Beispiel, bei dem eine Frau um's Leben gekommen ist.
Da ist es die Aufgabe der Polizei, den Ehemann zu verständigen.
Und selbst ältere und erfahrene Polizisten haben großen Respekt vor dieser Aufgabe.

An der Tür klingeln.
Hereinkommen - sich gemeinsam setzen - und dann der Satz:
"Ich muss ihnen leider mitteilen, dass Ihre Frau heute bei einem Unfall gestorben ist".
Das ist schwer.
Das ist schwer, weil man dem Leid, das da passiert, nicht ausweichen kann.
Das ist schwer, weil man nicht weiß, was einen erwartet.
Menschen, die eine solche Nachricht erhalten, reagieren oft völlig unerwartet.

Das Schwierigste in einer solchen Situation ist vielleicht, dass man so wenig tun kann.
Eigentlich kann man gar nichts tun.
Zumindest fühlt sich das so an.
Nichts macht diesen schrecklichen Tod rückgängig.
Nichts, was man in diesem Moment an klugen Worten findet, ändert etwas daran:
Dieser Mann hat seine Frau verloren, für ihn stürzt in diesem Augenblick eine Welt zusammen.
Und das Leben wird nie so sein, wie es bis eben noch war.

Was könnte man da schon sagen?
Was sollte man da schon tun?
Da hat man einen Beruf, bei dem Helfen im Mittelpunkt steht -
und ist doch in einem solchen Moment selbst so hilflos.
Man würde so gerne trösten - aber wie genau sollte das gehen?
Und überhaupt: Kann man Trost lernen?

Um's Trösten geht es in unserem heutigen Predigttext.
Gleich ganz am Anfang von seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt Paulus:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes,
der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis,
damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind,
mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.

Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen,
so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.

Werden wir aber bedrängt, so geschieht es euch zu Trost und Heil;
werden wir getröstet, so geschieht es euch zum Trost,
der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.
Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen:
Wie ihr an den Leiden teilhabt, so habt ihr auch am Trost teil.

Es ist keine leichte Zeit, die der Apostel Paulus hinter sich hat.
Er war dem Tod nahe, schreibt er.
Wir wissen heute nicht mehr genau, was ihm passiert ist.
Aber es muss furchtbar gewesen sein.
Und trotzdem schreibt er diesen Text.
Und trotzdem er beginnt ihn mit den Worten:
Gelobt sei ... der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes.
Paulus weiß ganz offensichtlich, was Leid ist.
Er hat es selbst erlebt.
Aber er weiß auch: Es gibt etwas, das stärker ist als alles Leid.
Und das ist Gott. Gelobt sei er.

Das sagt sich so leicht. Und es klingt so stark.
Aber es ist so unendlich schwer wirklich zu glauben.
Wie sollen wir uns das vorstellen: Gott ist stärker als das Leid?

Am Ende wird nicht das Leid stehen, sondern die Freude.
Nicht die Dunkelheit sondern das Licht.
Christliche Sätze - unendlich oft in Predigten gehört.
Aber was bedeuten sie?
Ist das schon der Trost, den ich aus meinem Glauben ziehen soll?

Wenn ich die Bilder aus Mariupol sehe:
Ganze Wohnviertel, von der russischen Armee dem Erdboden gleich gemacht -
wenn ich die Frauen auf der Flucht sehe, wie sie verzweifelt versuchen, ihre Kinder zu beschützen -
oder wenn ich das Gesicht des Mannes sehe, der gerade erfährt, dass seine Frau gestorben ist -
Da scheint mir der Gott allen Trostes unendlich fern.
Da kann ich vieles, aber nicht Gott loben.
Da hilft kein noch so frommes Gerede.
Kein: Kopf hoch.
Kein: Wird schon wieder.
Und auch kein: Bei Gott ist alles gut.
Nein. Eigentlich hilft da überhaupt nichts mehr.
Und dann lese ich nochmal Paulus.
Und dann dämmert mir langsam, was er mit Trost meint.

Es fängt damit an, dass er an eine Gemeinde schreibt.
Nicht an einen einzelnen Menschen.
Sondern an eine Gemeinde von Menschen.
Und ich glaube, das ist der Schlüssel.

Paulus webt einen dichten Teppich.
10mal kommt das Wort Trost in diesem Text vor.
Ein dichtes Netz webt Paulus.
Ein Netz aus Trost.

Die Christen in Korinth haben von Gott gehört.
Sie haben von seinem Sohn gehört, der sie retten wird,
so wie er selbst gerettet wurde.
Das hatte ihnen Paulus selbst gepredigt.
Und sie haben ihm geglaubt.

Es hat dann unendlich viel Streit in Korinth gegeben.
Eine vorbildliche Gemeinde war Korinth nie.

Aber an einem halten sie fest.
Und Paulus erinnert sie jetzt wieder daran:
Christus wird uns nicht allein lassen.
Gott wird uns am Ende nicht dem Schlechten und Bösen überlassen.
Nicht dem Bösen in der Welt -
und nicht dem Bösen bei uns selbst.
An dieser Hoffnung halten sie fest.
Das ist der Kern ihrer Gemeinschaft.
Und sie halten sich vor allem gegenseitig fest.
Das gehört zu diesem Kern unbedingt dazu.

Hoffen, nicht verzweifeln.
Und sich gegenseitig stützen.
Sich trösten und sich gegenseitig Mut machen.
Das gehört zusammen.

Denn der Trost, von dem Paulus schreibt - den gibt's nur in der Gemeinschaft.
Niemand kann sich selbst trösten.
Aber jeder kann beim anderen sein.
Die Hand halten.
Den Schmerz gemeinsam aushalten.
Zusammen schweigen.
Geduld haben.
Geduld mit sich selbst und Geduld mit den anderen.
So knüpfen wir mit an diesem Netz des Trostes.

Das ist das, was Jesus uns vorgelebt hat.
So hat Paulus von ihm erzählt.

Zu unserem Gott gehört das Leiden dazu.
Der Schmerz, der Dreck, die Verfolgung, der Tod.
All das gehört zu Gott dazu.

Vielleicht hätten wir ihn gerne makellos.
Vielleicht hätten wir gerne einen Gott, der sich fern hält von aller Not.
Und vor allem hätten wir gerne, dass er die Not fern hält von uns.
Wir hätten gerne, dass er eingreift und hilft.
Den verzweifelten Eingeschlossenen in Mariupol.
Oder dem Mann, der seine Frau verloren hat.
Tu doch was, Gott!

Aber so ist Gott nicht.
Er greift nicht einfach so ein.
Sein Weg zu uns ist ein anderer.
Er geht mit uns dorthin, wo es wirklich weh tut.

Und er will, dass wir ihn ansehen dabei.
Dass wir ihm ins Gesicht sehen.
Er will, dass wir in seinem Gesicht nicht nur den großen Schmerz sehen können.
Sondern auch noch etwas anderes.
Eine Ahnung von Hoffnung.
Ein Hauch von Ermutigung.

Du bist nicht allein, sagt Jesus am Kreuz zu mir.
Ich leide Qualen - und so bin ich bei dir.
Wir sind beide nicht allein, auch wenn wir den Vater nicht spüren können.
Aber er lässt mich nicht allein - und er lässt dich auch nicht allein.
Das ist der Beginn des Netzes aus Trost.
Das ist sein erster Faden.
Er geht von Jesus Christus aus.
Von Jesus Christus am Kreuz.
Und dann weben wir Menschen daran weiter.
Gemeinsam. Nicht allein.

Wir schauen gemeinsam auf dieses Kreuz.
Und wir helfen uns gegenseitig, dass wir im Kreuz nicht nur das Leid und den Schmerz und den Tod und die Grausamkeit erkennen.
Sondern auch das Zeichen der Hoffnung.

Und wenn wir das tun, dann knüpfen wir Faden und Faden an dieses Netz. Und machen es so dicht, dass niemand von uns herausfallen kann.

Jesus will, so sagt es Paulus:
Jesus will, dass wir uns nicht nur um uns selbst kümmern.
Dass wir nicht nur jeder für sich selbst versuchen,
so gut es geht dem Unglück aus dem Weg zu gehen.

Er will, dass wir zu einer Gemeinde werden:
Zu einer Gemeinschaft von Menschen, die sich gegenseitig beistehen und helfen.
Und die sich trösten und stärken, wo es keine Hilfe mehr gibt.

Jesus will, dass wir den Trostfaden aufnehmen und weiterweben an seinem Netz.
Er will, dass wir uns an den Händen nehmen oder in den Arm.
Er will, dass wir den Mut haben, uns gegenseitig zu erzählen, wie es uns wirklich geht.
Dass wir uns erzählen von unseren Schmerzen, von unseren Ängsten, von unserer Hoffnung und von unserer Sehnsucht.
Er will, dass wir uns zuhören.
Nicht schon gleich wieder urteilen.
Sondern wirklich zuhören.
Er will, dass wir uns Mut machen.
Und dass wir miteinander Geduld haben.
Viel Geduld.

Ob man das lernen kann mit dem Trost?
Vielleicht kann man lernen, dass Floskeln nicht viel helfen.
Oder dass Schweigen manchmal wichtiger sein kann als reden.
Vielleicht kann man das lernen.

Ansonsten kann man nicht viel lernen.
Man kann es einfach nur tun.
Jesus Christus vertrauen, der sein Leiden nicht versteckt hat.
Und der uns vorgemacht hat, wie man Menschen tröstet.
Man kann es einfach nur tun.
Und dann spüren, wie wir eine Gemeinde werden.
Eine Gemeinde Jesu Christi.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,
Amen.