... der werfe den ersten Stein | nikolaushueck blog

... der werfe den ersten Stein

Meine Predigt zu Joh 8,3-11

Eintrag vom

Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm:
Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
Das sagten sie aber, um ihn zu versuchen, auf dass sie etwas hätten, ihn zu verklagen.
Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
Als sie ihn nun beharrlich so fragten, richtete er sich auf und sprach zu ihnen:
Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.
Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
Als sie das hörten, gingen sie hinaus, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst;
und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.
Da richtete Jesus sich auf und sprach zu ihr:
Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?
Sie aber sprach: Niemand, Herr.
Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Ich gestehe, ich tue mich schwer mit Menschen, die glauben, dass sie im Recht sind.
Die derart im Recht sind, dass man nicht mehr mit ihnen sprechen kann.
Dass sie nicht mehr zuhören,
dass sie alle Argumente und alle anderen Meinungen empört von sich wegschieben:
ich tue mich schwer, mit ihnen umzugehen.
Und meistens scheitere ich daran.
Auch deshalb, weil ich manchmal selbst so einer bin.

Genau solchen Menschen stand Jesus gegenüber.
Nicht nur einem, sondern einer ganzen Gruppe.
Einer Gruppe moralisch Empörter.

Sie hatten diese Frau auf frischer Tat ertappt.
Mitten beim Ehebruch.
Ein klares Vergehen.
Eigentlich sogar ein Verbrechen.
Und genauso klar war, dass sie sie bestrafen mussten.
Wo kämen wir denn da hin, wenn wir das alles durchgehen lassen würden?

Und bei der Strafe für Ehebruch, da war die Gesetzeslage klar:
Steinigung.
Ein Haufen aufgebrachter, empörter Leute, die sich sowas von im Recht fühlen.
Und in ihrer Mitte eine Frau, die um ihr Leben zittert.
Irgendeiner von den Männern scheint auf die Idee gekommen zu sein, dass man ja noch etwas viel Besseres mit dieser Frau machen kann, als sie zu steinigen.
Man kann sie benutzen, um Jesus eine Falle zu stellen.

Dem Jesus, der seit einigen Tagen im Tempel lehrt.
Von Liebe und von Vergebung,
Vergebung auch für die, die gegen Gesetze verstoßen.
Davon spricht er - und immer mehr Menschen hören ihm zu.
Jesus sagt lauter Dinge, die man doch so ganz und gar nicht stehen lassen kann.

Also zerrt man die Frau auf den Platz beim Tempel, auf dem Jesus gerade steht und redet.
Und fragt ihn:
Was sollen wir mit dieser Frau da machen?
Was meinst Du dazu?

Wir wissen, was Mose gesagt hat:
Nämlich, dass auf Ehebruch der Tod steht.
Und dass wir solche Frauen steinigen sollen.
Aber Du? Sagst Du das auch?
Oder bleibst Du bei Deinem Gerede von Liebe und Vergebung?
Und wagst es, Mose und unserem Gesetz zu widersprechen?

Die Frau interessiert eigentlich nur noch am Rande.
Sie wird benutzt, um Jesus in eine ziemlich ausweglose Situation zu bringen.
Gibt er ihnen recht, muss er zugeben, dass es mit seiner Liebe und seiner Vergebung nicht so weit her ist.
Und gibt er ihnen Unrecht, dann ruft er zum Gesetzesbruch auf.
Der eigentliche Angeklagte ist jetzt er, nicht mehr so sehr die Frau.

Aber Jesus lässt sich nicht provozieren.
Er spürt die Anspannung.
Er spürt die Empörung der Menge.
Was macht er?
Er dreht sich erst einmal um, und tut so, als ob das alles mit ihm nichts zu tun hätte.
Er schreibt irgendetwas auf den Boden. Was, wissen wir nicht.
Warum er das tut, wissen wir auch nicht.
Vielleicht braucht er etwas Zeit, um sich eine gute Antwort zu überlegen.
Vielleicht will er auch erst einmal die Empörung ins Leere laufen lassen und warten, bis sich die Menge wieder beruhigt.

Jedenfalls dauert es eine Weile, bis er antwortet.
Der Satz aber, den er dann sagt, der hat es in sich.
Wir kennen ihn bis heute.
Und er hat große Chancen, in die Reihe der bekanntesten und wichtigsten Sätze der ganzen Bibel aufgenommen zu werden:
Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

Das sagt Jesus und dreht sich wieder um. Schreibt weiter auf die Erde. Er schaut sie gar nicht mehr an, sondern lässt sie mit dem, was er gesagt hat, alleine.

Jesus sagt nicht:
Kommt schon, ist doch nur Ehebruch, wer wird denn deswegen gleich steinigen.
Er sagt auch nicht: ja, klar. Gesetz ist Gesetz. Steinigt sie, wenn es denn sein muss.
Oder: Ich vergebe der Frau, ihr dürft ihr jetzt nichts mehr tun.
Und erst recht sagt er nicht, dass er es natürlich durchschaut hat:
Diese Leute sind vor allem deshalb hier, weil sie mir eine Falle stellen wollen.
Das alles sagt er nicht.

Sondern:
Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

Ein großes Risiko.
Was, wenn der Satz nicht wirkt?
Wenn er die Empörung nicht stoppen kann?
Menschen, die meinen, dass sie im Recht sind, sind zu allem fähig.
Selbstgerechtigkeit macht blind.
Da nimmt man schon mal einen Stein in die Hand und wirft ihn auf den, der nicht so im Recht ist wie man selbst.

Hier gelingt aber etwas, das wirklich nur selten gelingt.
Vielleicht braucht es Jesus selbst, damit es gelingt.
Jemanden, der so sprechen kann. Der solche Worte findet.
Und der vor allem eine solche Ausstrahlung hat wie er.

Was Jesus sagt, bewirkt etwas.
Bei jedem einzelnen aus der wütenden Menge.
Ein Zögern. Ein Nochmal-drüber-Nachdenken.
Die Wut beginnt zu verrauchen.

Wo sie eben noch empört waren und sich im Recht gefühlt haben,
wo sie auf das Gesetz und die Moral gepocht haben,
wo sie mit dem Finger auf die Frau gezeigt haben,
da herrscht jetzt eine ganz andere Stimmung.

Keiner sagt mehr etwas.
Einer nach dem anderen - die Ältesten und vermutlich Klügsten zuerst - einer nach dem anderen schleicht sich davon.
Mit gesenktem Kopf, stellt man sich vor.

Die Empörung ist einem anderen Gefühl gewichen.
Der Scham vielleicht.
Der Scham darüber, dass sie sich so sehr über einen anderen Menschen erhoben haben.
Ja, ich glaube, sie schämen sich für ihre Selbstgerechtigkeit.

Vielleicht fragt sich der eine oder andere von ihnen,
was ihn eigentlich so wütend gemacht hat.
Warum die Empörung und die Wut so plötzlich so groß wurden.
Und mancher ahnt vielleicht, dass da noch ein anderes Gefühl dahinter stecken könnte.
Das Gefühl der eigenen Schuld.
Die Ahnung davon, dass er selbst auch nicht immer fehlerfrei ist.
Dass er selbst genug Dinge getan hat, die ihn eigentlich auf sich selbst wütend machen sollten.
Aber natürlich ist es einfacher, auf andere wütend zu sein, als auf sich selbst.

Ich glaube, es verraucht nicht nur die Wut.
Es vergeht auch die Selbstgerechtigkeit.
Das Gefühl, den anderen moralisch überlegen zu sein.
Und so schleicht einer nach dem anderen davon.

Was Jesus da tut, ist ein Wunder.
Er schafft Einsicht und Selbsterkenntnis.
Er schafft die Fähigkeit zur Selbstkritik.
Und das zu schaffen - das ist ein Wunder.
Kein kleineres Wunder als die Heilung eines kranken Menschen.

Wir Menschen sind so.
Nicht nur die Pharisäer und Schriftgelehrten aus dem Predigttext.
Sondern wahrscheinlich die meisten von uns.
Ich auch:
Wir wünschen uns, dass wir zu den Guten gehören.
Dass wir anständig sind.
Wir bemühen uns darum, das Richtige zu tun.
Das gibt ein gutes Gefühl.
Das ist ja an sich natürlich nichts Verkehrtes.
Verkehrt wird es aber dann, wenn wir die anderen brauchen, um uns gut zu fühlen.
Die anderen, die nicht so gut sind wie wir.
Auf die wir hinabblicken können.
Von denen wir uns abheben können.
Wenn wir die brauchen - dann kann es mit unserer eigenen Gutheit nicht weit her sein.

Ja, verkehrt wird es dann, wenn wir die anderen als schwarzen Hintergrund brauchen,
vor dem wir dann umso weißer und heller strahlen können.

Jesus lässt dieses verkehrte Lebensgefühl mit einem einzigen Satz platzen.
Er bringt die Menge dazu, noch einmal nachzudenken.
Jeder für sich.
Wenn ich wirklich gut sein will, dann darf ich den anderen nicht missbrauchen.
Dann darf ich nicht versuchen, ihn schlecht zu machen, damit ich besser dastehe.
Eigentlich einfach, aber im Konkreten dann doch sehr schwer, finde ich.

Am Schluss bleibt Jesus mit der Frau alleine.
Vielleicht ist er genauso erstaunt wie sie.
Sein Satz hat gewirkt.
Keiner ist mehr da, der bereit wäre, sie zu verurteilen.

Sie ist nicht unschuldig. Der Ehebruch wiegt schwer.
Aber auch Jesus verurteilt sie nicht.
"Geh hin und sündige hinfort nicht mehr."
Jesus entlässt sie in eine neue Freiheit.
Er traut ihr zu, dass sie in Zukunft besser und richtiger handelt.

Jesus hat diese Frau befreit.
Ich glaube aber, er hat vor allem die Menschen aus der Menge befreit.
Von sich selbst.
Von ihrer eigenen Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit.
Er hat sie befreit von dem Zwang, sich immer besser fühlen zu müssen als die anderen.
Befreit von dem Zwang, sich nur dann gut fühlen zu können,
wenn es auch die anderen, die schlechten gibt.
Die, die nicht dazu gehören.
Die an unseren moralischen Standards scheitern.

Ich finde, das ist die eigentliche Befreiung.
Und es tut uns gut, davon zu hören.
Und sich selbst befreien zu lassen.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,
Amen.