Genug Ermahnungen
Predigt zu Epheser 5,15-20
So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt,
nicht als Unweise, sondern als Weise,
und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.
Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.
Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt,
sondern lasst euch vom Geist erfüllen.
Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern,
singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen
und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles,
im Namen unseres Herrn Jesus Christus.
Puh, das waren eine ganze Menge Ermahnungen für so einen kurzen Text.
Fast mehr Ermahnungen, als man an so einem Sonntagmorgen vertragen kann.
Vielleicht fragen Sie sich:
Bin ich dafür heute morgen aufgestanden?
Und bin ich deswegen heute morgen in die Kirche gekommen?
Nur um mir eine lange Latte von Ratschlägen anzuhören?
Reichlich übellaunige und sauertöpfische Ermahnungen, die mir zu allem anderen noch das Weintrinken vermiesen wollen?
Es gehört schon eine kleine Portion Leidensbereitschaft dazu, sich das an so einem Sonntag Morgen anzutun.
Denn es gibt ja auch sonst schon Ermahnungen genug.
Permanent sagt uns jemand, was wir tun sollen.
Mal mit mehr und mal mit weniger Sinn und Verstand.
Wenn Du im nächsten Jahr noch Geld haben willst, musst Du jetzt Energie sparen.
Wenn Du glücklich werden willst, dann schau Dich jeden Morgen im Spiegel mit einem Lächeln an.
Wenn Du abnehmen willst, dann faste 16 Stunden am Tag.
Wenn Du reich werden willst, dann leg Dein Geld bei Bank X an.
Wenn Du gesund bleiben willst, dann wasch Deine Hände und setze eine Maske auf.
Wenn Du Deinen Kindern etwas Gutes tun willst, dann schick sie auf die Schule Y.
Und so weiter.
Wir sind umzingelt von Ermahnungen.
Manche sind sehr vernünftig.
Andere sind irgendwie vor allem selbstverständlich.
Und dann gibt es noch die Ermahnungen, an denen jemand etwas verdienen will.
Meistens laufen solche Ermahnungen nach dem Schema:
Wenn Du X willst, dann musst Du Y tun.
Und wenn Du Y nicht tust, dann erreichst Du X nie.
Ziemlich anstrengend, ziemlich ermüdend.
Wer alle diese Ermahnungen erfüllen wollte,
wer so leben wollte, wie es uns die Glücks- und Jobcoaches sagen,
die Ernährungs- und Erziehungsberater,
die Moral- und Benimmprediger,
wer so leben wollte, wie es in unserer Gesellschaft aus allen Ecken und Enden schallt,
der hätte viel zu tun.
Der bräuchte eiserne Disziplin und jeden Tag mindestens 48 Stunden Zeit.
Und jetzt noch die Bibel.
Der Epheserbrief.
Noch mehr Ermahnungen?
Nein. Ganz Falsch.
Denn das, was in unserem Predigttext steht, ist tatsächlich etwas ganz anderes.
Da steht nämlich nichts von:
Wenn Du X willst, musst Du Y tun.
Im Gegenteil.
Da steht: Du hast schon X.
Und deshalb wirst Du alles andere aus freien Stücken tun.
Nur ein paar Verse vor unserem Predigttext steht es:
Denn ihr wart früher Finsternis;
nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Wandelt als Kinder des Lichts;
die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Das heißt:
Weil Gott Euch schon frei gemacht hat.
Weil Ihr schon zu Jesus Christus gehört.
Weil ihr an ihn, den Sohn Gottes glaubt:
Deshalb seid Ihr Kinder des Lichts.
Und deshalb könnt Ihr jetzt auch so leben.
Leben als Freie. Und als Erlöste.
Fröhlich. Mutig. Mit Dankbarkeit und Gottvertrauen.
So ergibt es einen Sinn.
Da steht nicht: Wenn Ihr Euch anstrengt, dann seid Ihr frei.
Wenn Ihr diesen ganzen Ermahnungen sorgfältig nachkommt, dann seid ihr Gottes Kinder.
Da steht nicht: Wenn Ihr dies und das tut, dann gelingt Euer Leben.
Das steht da nicht.
Das ist ein Zerrbild unseres Glaubens:
Immer schön brav sein, sich zurückhalten, Gott loben und singen, dann kommt man in den Himmel.
So geht unser Glaube nicht.
Sondern genau anders herum:
Wir glauben an einen Gott, der uns liebt.
Und er liebt uns, noch bevor wir überhaupt in der Lage sind, etwas richtig oder falsch zu machen.
Er liebt uns, weil wir seine Kinder sind. Kinder des Lichts.
Das ist das einzige, was zählt.
Und das gibt uns so viel Kraft und Mut und Hoffnung und Liebe,
dass wir gar nicht anders können, als das Richtige tun.
Wir vertrauen auf Gott - und wir werden ganz von selbst alles das beherzigen, was im Epheserbrief steht.
Weil:
Mein Vertrauen auf Gott - das ist nicht nur etwas für das Abendgebet, das ich alleine vor dem Schlafen spreche.
Mein Vertrauen auf Gott - das ist nicht nur etwas für die eine Stunde Gottesdienst am Sonntagmorgen.
Mein Vertrauen auf Gott: Das bestimmt mein ganzes Leben.
Alles, was ich tue.
Das ist es, wovon der Epheserbrief erzählt.
Er sagt, was es heißt, auf Gott zu vertrauen.
Und wie sich dieses Gottvertrauen auswirkt auf mein Leben.
Und dann bekommen die Sätze in unserem Predigttext doch einen anderen Sinn:
"Kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse", steht da zum Beispiel.
Für mich heißt das: Du hast so viel geschenkt bekommen, so viele Gaben, so viel Liebe - setze das für andere ein. In Ruhe und Besonnenheit.
Nutze die Zeit, die Du hast, für die wichtigen Dinge.
Die Dinge, die bleiben.
Für die Gespräche mit anderen, in denen es um mehr geht als um das Wetter oder um den letzten Urlaub.
Für die Zeit mit Dir selbst, in der Du Dich ohne Druck und Hektik fragst, was Du eigentlich wirklich willst im Leben.
Was Du brauchst. Was Du geben kannst.
Und: Nutze die Zeit dafür, Dich für andere einzusetzen.
Wirklich mal genau auf ihre Bedürfnisse zu hören.
Sehen, was die brauchen, die weniger haben an Zeit oder Liebe oder an Geld als Du.
"Denn die Tage sind böse", steht da in unserem Predigttext:
Wer würde da in diesen Zeiten widersprechen.
Umso mehr kommt es darauf an, das Geschenk zu nutzen, dass Gott uns gemacht hat:
Den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Umso mehr kommt es darauf an,
laut und deutlich zu sagen, was es ist, das unsere Tage böse macht.
Und etwas dagegen zu tun - wenn irgendwie möglich.
Was macht die Tage böse?
Menschen, die nur an sich denken und die Liebe untereinander abtöten.
Menschen, für die ihre eigene Freiheit so wichtig ist, dass alle anderen ihnen egal sind.
Menschen, die nur an jetzt denken, und für die die Folgen ihres Lebenswandels für morgen keine Rolle spielt.
Menschen, die Krieg rechtfertigen. Und dafür noch Gott in den Mund nehmen.
Das ist böse.
Das macht unsere Tage böse.
Und Gottes Geist lässt uns das deutlich sagen.
Manchmal hilft er uns auch, dass wir dagegen etwas unternehmen können.
Er hilft uns, dass wir uns vor den bösen Tagen nicht in eine Scheinwelt flüchten.
Nicht in die Scheinwelt der Verschwörungserzähler.
Nicht in die Scheinwelt der Beschwichtiger und Schönredner.
Und eben auch nicht in die Scheinwelt, die der Alkohol uns für ein paar Stunden schenkt.
Sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen.
So steht es in unserem Predigttext.
Ich glaube nicht, dass Christen grundsätzlich keinen Alkohol trinken sollten.
Dagegen spricht doch schon das Abendmahl.
Aber wenn der Alkohol zum Seelentröster und zum Problemlöser werden soll,
wenn wir uns zu ihm vor den bösen Tagen flüchten wollen -
wenn wir hoffen, im Wein, im Bier oder im Schnaps die Sorgen ertränken zu können,
dann wird es gefährlich.
Dann verschleudern wir das, was wir von Gott geschenkt bekommen haben,
seinen Geist und seine Wahrheit -
und den klaren und nüchternen Verstand, mit dem wir auf seine Welt blicken können.
Ich weiß es selbst:
Auch wenn wir Kinder des Lichts sind:
Wir benehmen uns nicht immer so.
Wir machen nicht immer das, was im Epheserbrief steht.
Dass wir Christen automatisch das Gute und Wahre und Richtige tun - das ist eher Theorie.
Zu bequem sind wir oft.
Zu träge.
Und auch unter uns fehlt oft genug die Kraft und die Liebe und die Besonnenheit.
Nein, wir Christen sind nicht automatisch besser als alle anderen.
Aber wir haben jemanden, der uns besser macht.
Wir bleiben Kinder des Lichts, auch wenn wir so manchen gutgemeinten Satz des Epheserbriefes in den Wind schlagen.
Wir bleiben Kinder Gottes.
Er lässt uns nicht los, auch wenn wir uns manchmal von ihm losreißen wollen.
Es ist, wie wir es vorhin im Evangelium gehört haben.
Seinen entsetzten Jüngern antwortet Jesus:
„Bei den Menschen ist’s unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.“
Gott kann sogar uns zu seinen Kindern machen.
Er kann sogar aus uns Kinder des Lichts machen.
Wir müssen ihn nur lassen.
Auf ihn vertrauen.
Ihm danken für alles, was wir in unserem Leben geschenkt bekommen haben.
Ihm danken, dass er uns liebt, auch wenn wir so sind, wie wir sind.
Vielleicht gerade, weil wir so sind, wie wir sind.
Dafür dankbar sein.
Und dann mit diesem Gefühl der Dankbarkeit unser Leben leben.
Und seine Liebe weitergeben.
Mehr braucht es gar nicht.