Der Tag ist nicht mehr fern | nikolaushueck blog

Der Tag ist nicht mehr fern

Predigt am 1. Advent 2022 zu Römer 13,8-12

Eintrag vom

Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt;
denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt.
Denn was da gesagt ist : »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist,
das wird in diesem Wort zusammengefasst:
»Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«
Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses.
So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Und das tut, weil ihr die Zeit erkannt habt,
dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf,
denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.
Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen.
So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis
und anlegen die Waffen des Lichts.

"Zeitenwende" - wenn Sie dieses Wort hören - was löst das in Ihnen aus?
Nichts Gutes, fürchte ich.
Olaf Scholz hat das Wort gebraucht.
In seiner Regierungserklärung nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine.

"Wir erleben eine Zeitenwende.
Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor." Das stand am Anfang der Rede.

Und allen, die den Bundeskanzler damals gehört haben,
an diesem Sonntagvormittag im Bundestag, allen war klar:
Diese Zeitenwende ist nicht eine Zeitenwende zum Besseren.
Im Gegenteil:
Alle vermeintliche Sicherheit, in der wir uns in Mitteleuropa gewiegt haben,
die steht jetzt plötzlich auf dem Spiel.
Sie ist von Putins Angriffskrieg zertrümmert worden.

Zeitenwende: Das meint die schrecklichen Bilder von Menschen,
die unter der russischen Besatzung leiden,
die dem brutalen russischen Bombenhagel ausgesetzt sind.

Zeitenwende: Hier bei uns in Deutschland heißt das:
Noch mehr Inflation.
Astronomische Preise für Strom und Wärme.
Und dann vor allem die Unsicherheit: Wie geht es weiter?
Werden wir selbst noch in diesen Krieg mit hineingezogen?

Zeitenwende - das macht Angst macht.
Dass sich die Zeit wendet, das ist für uns jedenfalls nichts, worüber man sich freuen könnte.

Völlig anders ist das bei Paulus.
Überhaupt bei den frühen Christen.
Sie haben sich eine Zeitenwende herbeigesehnt.
Sie haben darauf gehofft, dass endlich alles anders wird.

Die Wende der Zeiten: Das hieß für die ersten Christen,
dass nun endlich alles besser werden wird.
Dass die Kriege aufhören, dass die Verfolgung endet.
Dass die Ungerechtigkeit auf der Welt ein Ende hat
und die Gerechtigkeit einzieht.

Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen.
Das, was wir jetzt erleben, das ist die Nacht, sagt Paulus.
Die Welt in der wir leben, das ist nicht die Welt, die Gott gewollt hat.
Die Menschen - WIR Menschen - verdunkeln diese Welt bis zur Unkenntlichkeit.
Es herrschen die Werke der Finsternis.
Soweit könnten wir heute ihm vorbehaltlos zustimmen.

Aber dann kommt es:
Es ist nur eine Frage der Zeit - der kurzen Zeit -
dass diese Dunkelheit vorbei geht.
Noch ist das Licht zwar nur zu erahnen.
Aber es kündigt sich eben doch schon an.
Jesus Christus selbst hat es angekündigt.
Der Tag wird kommen.
Es wird hell werden.
Und dann sorgt Gott selbst für Gerechtigkeit in dieser Welt.
Er wird den Hass stoppen
und dafür sorgen, dass sich die Liebe ausbreitet.
Er wird den Mächtigen in den Arm fallen
und den Rechtlosen zu ihrem Recht verhelfen.

Das ist mal wirklich eine Zeitenwende.
So ganz anders als die Zeitenwende, von der wir sprechen.
Diese Zeitenwende macht keine Angst.
Im Gegenteil: Wir können uns auf sie freuen.

Was uns unser Predigttext zeigt, ist ein völlig anderes Lebensgefühl als unseres:
Die ersten Christen haben in die Zukunft geschaut,
voller Sehnsucht und voller Hoffnung.

Wir heute - wir schauen eher zurück in die Vergangenheit,
voller Wehmut, wie gut wir es hatten,
und voller Angst vor dem, was da kommen wird,
Voller Sorge, was wir alles aufgeben müssen.

Das ist nur allzu verständlich.
Aber es kann uns auch lähmen.
Denn ob man in die Zukunft schaut oder in die Vergangenheit,
ob man eher Hoffnung hat oder eher Wehmut,
das bestimmt, was man tut:
Unsere Hoffnung oder unsere Wehmut bestimmen,
wie wir mit uns und den anderen Menschen umgehen.

Wer wehmütig in die Vergangenheit schaut, der wird versuchen, das Alte festzuhalten.
Der wird versuchen, sich an das Liebgewordene zu klammern.
Die wird in ihrer Angst zuerst an sich denken - und erst dann an andere.

Wer mit Hoffnung in die Welt schaut,
wer keine Angst hat vor der Zukunft,
der oder die wird das Gegenteil tun:
Der wird sich verschenken, weil er weiß:
Das Gute kommt erst noch.
Die hat die Hände frei, anderen zu helfen,
weil sie sich an nichts festklammern muss.

Weil:
Hoffnung macht frei davon, dass ich mich ständig um mich selbst sorgen muss.
Hoffnung macht fei davon, dass ich den anderen klein machen muss, um mich selbst groß zu fühlen.
Hoffnung ist ein wunderbares Lebensgefühl, weil sie uns dazu fähig macht zu lieben.

Und von dieser Hoffnung und Liebe will Paulus uns überzeugen.

Die Zeitenwende, die kommen wird,
die wird großartig sein, sagt Paulus.
Christus wird wiederkommen auf diese Welt.
Aber diesmal nicht schwach und klein,
sondern mit aller Macht seiner Liebe.
Es wird hell werden auf der Welt.
Und alle dunklen Gestalten, alle dunklen Gedanken werden weg sein.

Auch wenn ihr es jetzt noch kaum glauben könnt.
Auch wenn es jetzt noch dunkel ist.
Auch wenn ihr große Zweifel habt, dass sich diese Welt jemals zum Besseren ändern kann:
Die Zeitenwende wird großartig werden.
Gott wird diese Welt verwandeln - und sie wird endlich so sein, wie er sie schon immer haben wollte.

Und Ihr, sagt Paulus, ihr könnt und sollt euch jetzt schon darauf vorbereiten.
Alles, was ihr jetzt dafür tun müsst, ist in dem einen Gebot enthalten: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«
Liebe - das ist die Vorbereitung auf die neue Welt.
Die einzige Vorbereitung, die es wirklich braucht.
Und wer in der Hoffnung auf die neue Welt lebt,
der wird alles andere von selbst tun.
Das ist das, was Paulus der Gemeinde in Rom sagen will.
Und mit ihr allen Christen zu allen Zeiten.
Und jetzt noch einmal die Frage:
"Zeitenwende" - wenn Sie dieses Wort hören - was löst das in Ihnen aus?

Es ist gar nicht so leicht, die Angst und die Sorgen gegen die Hoffnung einzutauschen.
Auch wenn die Hoffnung in der Bibel steht.
Immerhin hat Paulus diese Sätze schon vor fast 2000 Jahren geschrieben.
Und bisher ist nichts davon eingetreten.
Bisher ist immer noch ziemlich viel Nacht.
Und von einem Tag, der nahe herbeigekommen ist, sehen wir noch herzlich wenig.

Vielleicht war Paulus und mit ihm die ersten Christen einfach sehr naiv.
Vielleicht waren ihre Hoffnungen ja nur ein Selbstbetrug.
Und die Enttäuschungen danach umso größer.
Vielleicht ist es ja wirklich klüger, sich auf das Schlimmste vorzubereiten anstatt auf das Beste.

Nein, ich will mir die Hoffnung nicht ausreden lassen.
Und ich weiß auch nicht, ob ich ohne Hoffnung leben könnte.
Wenn alles sowieso immer nur schlimmer werden würde -
ich weiß nicht, ob ich dann zur Liebe überhaupt fähig wäre.

Ja, es stimmt schon:
Die Zeitenwende, die ist bisher nicht eingetreten.
Aber ich glaube:
Es geht nicht darum, wann genau der Tag anbricht,
oder wann Christus wiederkommt.
Das wusste weder Paulus damals, noch wissen wir es heute.

Es geht eher darum, jeden Tag so zu leben, als ob er morgen zurückkommen könnte.
Jeden Tag zu beginnen mit dieser Hoffnung und mit dieser Liebe und mit diesem Gottvertrauen.
Darum geht es.
Und das ist kein bisschen naiv.
Im Gegenteil: Es ist lebensklug.

Wenn die Hoffnung eines bewirkt,
dann ist es, die Dunkelheit aus unseren Köpfen und unseren Herzen herauszubringen.
Ich glaube, es geht tatsächlich erst einmal um eine Zeitenwende in uns selbst.

Hoffnung und Liebe machen das Leben heller.
Jetzt schon.
Sie machen unser Leben heller.
Das Leben derjenigen, die uns nahe sind.
Mit denen wir in den nächsten Wochen um den Adventskranz sitzen.
Aber dann auch das Leben aller anderen Menschen auf dieser Welt.

Nein, die Hoffnung und die Liebe, sie sind nicht naiv.
In der Liebe, wie sie Gott uns geschenkt hat,
sehen wir das Elend der Welt ganz genau.
Wir lassen uns berühren von der Not.
Wir leiden mit dieser Welt mit.
Wir leiden an der Dunkelheit -

Aber wir müssen eben daran nicht verzweifeln.
Wir müssen trotz des Leids nicht unsere Hoffnung verlieren.

Denn unsere Hoffnung kommt von Gott,
Unsere Hoffnung, dass die Nacht vergeht und der Tag kommt.
Weil Gott kommt. Diesmal endgültig.

Darauf warten wir, nicht nur in diesem Advent.
Darauf warten und hoffen wir in unserem ganzen Leben.
Jeden Tag.


Amen.