Vertrauen ohne zu sehen
Predigt zu Ex 33,18-23 am 2. Sonntag nach Epiphanias
Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen!
Und ER sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir:
Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.
Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.
Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
Solche Texte faszinieren mich.
Sie klingen uralt und fast archaisch.
Aber in diesen paar wenigen Versen steckt unendlich viel Lebenserfahrung, die bis heute gilt.
Lebenserfahrung und Gotteserfahrung.
Es ist nur ein kurzes Gespräch:
Mose bittet Gott: "Lass mich deine Herrlichkeit sehen".
Und Gott weist diese Bitte sanft zurück.
Niemand kann Gott ins Angesicht schauen, nicht einmal Mose.
Das würde kein Mensch aushalten.
Aber weil Mose eben Mose ist,
deshalb gewährt ihm Gott eine ganz besondere Gelegenheit:
Mose muss zwar geschützt werden vor der Herrlichkeit Gottes.
Seine Augen müssen bedeckt sein, wenn Gott an ihm vorübergeht.
Aber Gott hinterher sehen, das darf er.
Gott nachsehen, mehr ist einem Menschen nicht möglich.
Das kann Gott dem Mose erlauben.
Gott sehen können, oder ihn nicht sehen.
Gottes Nähe oder Ferne spüren.
Und Gott in der Rückschau sehen.
Das sind Themen, die nicht nur Mose umtreiben.
Ich habe zu diesem Text drei Gedanken, die ich jetzt versuche, auf den Punkt zu bringen.
Mein erster Gedanke:
Wenn Mose Gott bittet "Lass mich deine Herrlichkeit sehen",
dann geht es ihm nicht um Neugier.
Oder darum, mal wieder eine neue religiöse Erfahrung zu machen.
Mose will Gott sehen, weil er wissen will, ob er sich wirklich auf ihn verlassen kann.
Denn Mose ist in einer ziemlich verzweifelten Situation.
Gott hatte ihn dazu auserwählt, das Volk Israel aus Ägypten und ins Land Kanaan zu führen.
Aber auf das Volk Israel ist kein Verlass.
Eben erst - im Kapitel vor unserem Predigttext -
haben sie sich das Goldene Kalb gemacht,
also eine Art Ersatzgott.
Einen Gott zum Anschauen und zum Anfassen.
Sie sind zwar einigermaßen heil aus Ägypten herausgekommen
und haben die Wüste durchquert.
Aber das vielleicht Schwierigste steht ihnen noch bevor:
Sie müssen das Land erst noch erobern, das Gott ihnen versprochen hat.
Und das bedeutet Konflikte und Kriege.
Viel Unsicherheit.
Und inmitten dieser Unsicherheit will Mose von Gott wissen:
Kann ich dich sehen?
Kann ich mich wirklich auf dich verlassen.
Wirst Du bei mir und bei deinem Volk bleiben,
wenn es brenzlig wird, wenn wir dich brauchen?
Lass mich deine Herrlichkeit sehen!
Das ist nicht nur die verzweifelte Bitte von Mose damals.
Es ist seither die Bitte einer großen Zahl von Menschen.
Menschen, die Angst haben vor dem, was da kommt.
Menschen, die unsicher sind, wie sie das alles schaffen sollen, was vor ihnen liegt.
Menschen, die nachts nicht schlafen können vor Sorgen.
Oder die im Krankenbett liegen und spüren, dass es zuende geht.
Lass mich deine Herrlichkeit sehen, Gott.
Ein Blick auf Dich genügt mir.
Dann bin ich getröstet.
dann weiß ich, dass du da bist,
dass du mich nicht verlassen wirst.
Und Gott?
Der weist diese Bitte nicht einfach so ab.
Er erfüllt sie, aber anders, als Mose es sich wohl erhofft hat.
Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
Das ist das erste, was Gott antwortet.
Und das heißt: Ja, Du kannst Dich auf mich verlassen.
Ich habe dir versprochen, dass ich dich begleite.
Und dabei bleibe ich auch.
Freilich: Du musst mir das glauben.
Einen anderen Weg gibt es nicht.
Du hast mein Wort.
Einen Beweis dafür, dass ich bei dir bin und bei dir bleibe,
einen Beweis dafür kann ich dir nicht geben.
Und damit komme ich zu meinem zweiten Punkt:
Mein Angesicht kannst du nicht sehen, sagt Gott,
denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.
Allzu zudringliche Menschen scheint Gott abzuwehren.
Wer meint, Gott sehen, Gott beweisen zu können,
der irrt sich ganz gefährlich.
Wer sogar meint, ganz genau Gottes Willen zu kennen,
der spielt mit dem Feuer.
Niemand hat Gott je gesehen.
Niemand steht mit Gott auf Augenhöhe.
Niemand kann so einfach Gott für sich und seine Zwecke in Anspruch nehmen.
Gott ist eben nicht im Goldenen Kalb oder in irgendeiner anderen Götzenstatue.
Gott ist auch nicht in einem einzelnen Glaubenssatz.
Gott ist lebendig.
Und er ist meist anders, als wir ihn uns vorstellen,
als wir ihn uns wünschen, als wir ihn gerne haben wollen.
Auch diese Erfahrung macht nicht nur Mose.
Diese Erfahrung machen viele Menschen, die sich von Gott etwas erwarten, die Gott in ihrer Not um Hilfe bitten.
Nicht allen von ihnen hilft Gott.
Manchmal ist da nur eine Leere und eine Enttäuschung.
Und wir wissen nicht, warum Gott scheinbar so fern bleibt.
Manchmal hilft Gott aber auch
aber das dann eben oft anders, als wir es erwartet oder erbeten hatten.
Dass Gott doch geholfen hat - das lässt sich dann oft erst aus der Rückschau sagen.
Manchmal spüren Menschen, dass ihnen geholfen wurde.
Auch wenn sie es erst gar nicht bemerkt hatten.
Manchmal war die Not im Rückblick für etwas gut.
Das gibt es immer wieder:
Menschen die sagen:
Mit dieser Krebserkrankung hat Gott mir die Augen geöffnet für das, was wirklich zählt in meinem Leben.
Oder: Seit diesem Unglück, das wir gemeinsam erlebt haben,
seit diesem Unglück haben wir als Paar wieder eine neue Beziehung.
Oder: Dass ich meine Arbeitsstelle verloren habe, hat mich frei gemacht, etwas ganz neues auszuprobieren.
Menschen, die so etwas sagen, spüren, dass ihnen Gott trotz allem geholfen hat.
Dass etwas gut und etwas heil geworden ist - trotz allem Schmerz, und ohne dass sie es am Anfang bemerkt haben.
Aber in der Rückschau, vielleicht erst Jahre später,
spüren sie, wie Gott da war.
Wie gnädig und barmherzig er war.
Sowas, allerdings, lässt sich wirklich immer nur in der Rückschau sagen. Niemand darf das umdrehen:
"Wirst schon sehen, es ist für irgendetwas gut."
Das mag vielleicht als Trost gemeint sein, aber es klingt falsch und zynisch.
"Gott wird dir damit irgendetwas sagen wollen" - so reden die,
die sich mit Gott auf Augenhöhe glauben.
Die meinen, Gottes Pläne zu durchschauen.
Aber genau das wehrt Gott ja ab.
Niemand kann ihm ins Angesicht sehen.
Selbst Mose nicht.
Er darf Gott eben nur nachschauen.
Also Gott nur in der Rückschau sehen.
Und so, aus dem Abstand und in der Rückschau gesehen,
so kann man spüren, dass Gott doch da war, auch wenn man ihn so sehr vermisst hat.
Erst im Rückblick lässt sich sagen, dass Gott treu geblieben ist und gut und barmherzig, auch wenn man das nicht gleich gespürt hat.
Mein dritter Gedanke, und ich versuche ihn ganz kurz zu machen:
Gilt denn das, was im Alten Testament über Mose steht, auch noch für uns Christen?
Haben wir nicht Jesus Christus?
Und ist der Sohn Gottes nicht jemand, in dem Gott uns so nahe kommt, wie er dem Mose niemals nahe gekommen ist?
Gottes Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.
So steht's am Anfang des Johannesevangeliums.
Wir Christen glauben, dass Gott selbst Mensch geworden ist.
Und dass wir in diesem Menschen Gottes ganze Herrlichkeit erkennen können.
In diesem Menschen, der eben doch uns anderen Menschen auf Augenhöhe begegnet.
Und trotzdem:
Auch wir Christen machen doch die Erfahrung, dass Gott manchmal furchtbar fern sein kann.
Auch wir Christen machen doch die Erfahrung, dass Gott sich manchmal scheinbar vor uns versteckt.
Dass wir bitten und flehen, aber keine Antwort hören.
Dass wir vergeblich warten auf Gottes Hilfe.
Und, noch mehr: Jesus selbst hat diese Erfahrung gemacht.
Als er am Kreuz zum Vater schrie:
"Warum hast Du mich verlassen?"
Erst an Ostern, erst aus der Rückschau, hat der Tod Jesu seine Bedeutung bekommen.
Ja, wir sehen Gottes ganze Herrlichkeit in Jesus Christus.
Aber wir sehen dabei auch, dass Gott nicht immer so ist, wie wir ihn uns wünschen.
Ich glaube, das ist es, was wir von Mose wie auch von Jesus lernen können:
Auf Gott vertrauen, Gott nicht loslassen,
auch wenn er uns scheinbar fern ist.
Gott als Fluchtpunkt für unsere Hoffnung zu nehmen,
gerade dann, wenn es scheinbar keine Hoffnung gibt.
Gott lässt sich nicht festhalten.
Er tut nicht immer so einfach das, was wir von ihm wollen, was wir von ihm erwarten.
Aber er verspricht, dass er mit seiner Güte bei uns bleibt:
Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig,
und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
Gott bleibt bei uns alle Tage, bis an der der Welt Ende. Amen.