Es ist kompliziert | nikolaushueck blog

Es ist kompliziert

Predigt zu Jesaja 54,7-10 an Lätare 2023

Eintrag vom

So spricht der Herr:
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen,
aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser.
Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten.
So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.

Ich weiß nicht, ob Sie es gemerkt haben:
Was ich gerade gelesen habe, ist eigentlich Teil einer Liebesgeschichte.
Einer Liebesgeschichte mit vielen Wendungen.
Es geht um Treueschwüre und ums Verlassenwerden.
Es geht um Eifersucht und Zorn.
Aber es geht auch um das Versprechen, ewig zueinander zu halten.
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert.
Aber alles läuft auf ein Happy End hinaus.

Gott: Ein feuriger, eifersüchtiger und manchmal auch sehr zorniger Liebhaber.
Und Israel, die Stadt Jerusalem:
Die umworbene Liebe, die aber durchaus auch zickig sein kann. Und untreu.
Und sich doch so sehr nach Geborgenheit und Verlässlichkeit sehnt.

Das ist das Bild, das der Prophet hier malt.
Die Beziehung zwischen Israel und seinem Gott war nie einfach.
Da gab es die Zeit der glühenden Jugendliebe.
Die Anfänge, an die man sich in jeder Beziehung gerne erinnert:
So haben wir uns kennen gelernt.
Das hat uns damals zusammengeführt.

Da war Gottes Versprechen, nie mehr so grausame Strafen zu verhängen wie damals gegen die Generation Noah.
Da waren Abraham, die Erzväter, Mose - welche wunderbarer Beginn einer langen Beziehung.

Da war aber auch immer wieder die Untreue und der Verrat.
Und das hat Gott geschmerzt.
Wenn die Liebe so großartig anfängt, dann tut es besonders weh, wenn die sie auseinander geht.

Israel hat sich immer mal wieder anderweitig umgesehen.
Hat gezweifelt, ob dieser Gott der Richtige ist.
Das Murren des Volkes in der Wüste.
Das Goldene Kalb.
Zeichen dafür, wie heftig es gekriselt hat in der Beziehung.

Später die Politik der Könige Israels, die sich weniger auf Gott
als auf ihre eigene Stärke und vermeintliche politische Klugheit verließen.
Gott hat immer um seine Liebe gekämpft.
Er hat nicht aufgegeben. Auch wenn es ein paar mal so schien.

Aber dann kam die große Katastrophe.
Der Krieg, den Israel, den Jerusalem nicht überlebt hat.
Die Stadt lag in Trümmern.
Den Tempel gab es nicht mehr.
Alles, was Rang und Namen hatte, wurde verschleppt.
Musste mitkommen, nach Babylon.

Und dort saßen sie nun.
Sie weinten um das, was sie verloren hatten.
Sie weinten um ihre Stadt, um ihre Häuser, um ihr Land.
Und sie weinten um die, die im Krieg getötet worden waren.

Sie trauerten aber auch um die Liebe, die sie verloren hatten.
Diese Zeit muss furchtbar gewesen sein.
Alles weg, und dann auch noch diese Beziehung verspielt.
Ja, sie war immer kompliziert gewesen, diese Beziehung.

Sie hatten sich manchmal einen Gott gewünscht,
der weniger eifersüchtig, der weniger zornig ist.
Aber ohne diesen Gott konnten sie auch nicht sein.
Schon gar nicht hier in der Fremde.

Nun schien es aus zu sein - und zwar endgültig.
Dass Gott auch diesmal wieder zurückkommt,
dass Gott sich auch diesmal wieder an seine große Jugendliebe erinnert,
und dass er auch diesmal zur Versöhnung bereit sein würde,
das schien ihnen unmöglich.

Und dann trat dieser Prophet auf.
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen,
aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen,
aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser.

Vermutlich haben die meisten, die das hörten, ihren Ohren nicht getraut: Das war zu schön, um wahr zu sein.
Konnte man diesem Propheten vertrauen.
War das wirklich Gottes Wort?
Oder war das mehr Wunsch als Wirklichkeit?
Und nur billiger Trost?

Aber dann dieser Satz, der bis heute nachhallt:
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.

Vielleicht haben es da die ersten tatsächlich gespürt und auch geglaubt: Die Liebesgeschichte zwischen Gott und seinem Volk ist nicht zu Ende.
Im Gegenteil, sie geht weiter, vielleicht intensiver als bisher.
Nicht mehr Feuer und Glut und Eifersucht und Zorn,
sondern eher die gereifte Liebe, die weiß, was sie am anderen hat. Die auch mal über Fehler hinwegsehen kann.
Und auf die man sich verlassen kann, auch wenn es mal Streit gibt.

Gottes Liebe, Gottes Erbarmen, stabiler noch als die Berge und die Hügel.
Für die Menschen im Babylonischen Exil muss das ein unendlich großer Trost gewesen sein.
Auch wenn es noch einige Zeit gedauert hat, bis zu zurückkehren konnten in die Heimat.
Bis sie den Tempel wieder aufbauen durften.
Die Hoffnung war da, und mit dieser Hoffnung lässt sich vieles viel besser ertragen.

Und wir? Wo kommen wir in dieser Liebesgeschichte vor?
Es ist und bleibt die Geschichte des Volkes Israel mit seinem Gott.
Aber der Jude Jesus hat uns in diese Geschichte mit heineingenommen.
Durch ihn ist dieser Gott auch unser Gott geworden.
Und seine Liebe gilt auch uns.
Deswegen dürfen auch wir diesen wunderbaren Satz hören:
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.

Wir dürfen diesen Satz hören.
Aber ihn zu glauben, ihn zu spüren - das ist manchmal mehr als schwer.

Denn wir sagen das so einfach: Gott ist immer da für Dich.
Er verlässt dich nicht.
Wir sagen das so einfach, aber für manche und in manchen Situationen hört sich das an wie Hohn.
Wie ein schnell dahingesagter Trost, der letztlich alles und nichts bedeutet.

Wo ist Gott, wenn Menschen in den Schützengräben von Bachmut sterben?
Wo ist Gott, wenn ich Angst habe vor dem Arzttermin, weil da eine lebensbedrohliche Diagnose herauskommen könnte?
Wo ist Gott, wenn ein zwölfjähriges Mädchen von zwei Gleichaltrigen erstochen wird?
Wo ist Gott, wenn mein Lebensmensch stirbt, mit dem ich noch so viel vorhatte?
Und wo ist er, wenn ein Mensch stirbt, einsam und völlig vergessen und ohne Hoffnung?

"Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen", sagt Gott in unserem Predigttext.
Aber, Gott, warum jetzt?
Und warum mich?
Und wie lange dauert dieser kleine Augenblick?
Was ist ein Augenblick für Dich, Gott?
Und wie lange, meinst Du, ertrage ich das?

Auf solche Fragen haben wir keine Antwort.
Und auch der Predigttext gibt uns keine.
Gott ist manchmal eben einfach nicht da.
Das ist unsere Erfahrung - und es ist eine bittere Erfahrung.

Und wir wissen nicht, warum das so ist.
Wer sagt: Das geschieht dir recht, Gott bestraft dich für etwas,
der macht es sich zu einfach.
Es sind eben auch die Guten, die Hoffnungsvollen, die Friedfertigen und die Liebenden, die das erleben müssen.

Selbst Jesus hat das erlebt.
Dass Gott auf einmal ganz weit weg ist.
Damals am Kreuz.
Als er ihn am dringendsten gebraucht hatte.
Ein Augenblick. Und da ist es passiert.

Es gibt das Leid auf der Welt.
Und manchmal haben wir einfach keine Erklärung dafür.
Nicht einmal unsere eigene Bosheit erklärt alles Leid, das es gibt.
Vielleicht ist das die tiefste Erkenntnis, die wir aus der Passionszeit mitnehmen können.

Gott ist so lebendig, dass er sich nicht in fromme Sätze einsperren lässt.
Gott ist nicht der Trostspender, der auf Knopfdruck funktioniert.
Es ist viel schwieriger, als wir es gerne hätten.
Manchmal ist Gott eben einfach nicht da.
Unsichtbar. Unhörbar. Tatenlos.

Und trotzdem - und trotzdem gibt er dieses Versprechen:
Meine Gnade soll nicht von dir weichen
Er wird uns nicht loslassen.
Seine Liebe hört niemals auf.
Er hält an uns fest. An jedem einzelnen Menschen.

Und wir? Auch uns tut es gut, an ihm festzuhalten.
Ihn nicht loszulassen, auch wenn er im Augenblick nicht da ist.
Du hast es versprochen Gott, Du kannst mich nicht einfach im Stich lassen.
Du kannst Dich auch nicht ewig abwenden.
Auch deine Augenblicke können nicht endlos sein.

Ja, Menschen werden geheilt, Tränen trocknen.
Streitende versöhnen sich und mitten in der Einsamkeit taucht jemand auf, der mir zuhört.
Auch das gibt es ja - und auch das haben wir alle schon erlebt.
Manchmal können wir sie spüren, die Gnade.
Und manchmal können wir sie regelrecht fühlen, die Barmherzigkeit.

Und dann können wir wieder glauben, was Gott verspricht:
Am Schluss steht nicht das Ende unserer Beziehung.
Am Schluss steht die Liebe und die Treue.
Am Schluss steht die Barmherzigkeit.
Am Schluss steht das Leben.
Einfach ist es nicht. Aber es tut gut, darauf zu hoffen.
Und mit dieser Hoffnung dürfen wir auch durch die finstersten Täler gehen.
Amen.