König auf einem Esel | nikolaushueck blog

König auf einem Esel

Predigt zu Joh 12,12-19 an Palmsonntag 2023

Eintrag vom

Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem kommen werde, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrien: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel! Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.« Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte.
Die Menge aber, die bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, bezeugte die Tat.
Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.

Wissen Sie, welche Frage ich mir jedesmal stelle, wenn ich die Geschichte vom Einzug in Jerusalem höre?
Ich frage mich, ob ich mitgemacht hätte.
Mitgemacht beim Jubel der Menge.
Ich frage mich, ob ich auch am Straßenrand gestanden wäre.
Ob ich auch mit Palmzweigen gewedelt hätte.
Und ob ich auch mitgeschrien hätte mit allen anderen.

Ich weiß nicht, ob sie sich diese Frage auch schon mal gestellt haben.
Und zu welcher Antwort sie vielleicht gelangt sind.
Ich jedenfalls bin bei so großen Menschenmengen immer sehr vorsichtig.

Wenn ich an Menschenmengen denke, dann stelle ich mir immer sowas wie die Parteitage in China vor.
Hunderte Menschen, alle gleich angezogen, niemand tanzt aus der Reihe.
Alles ist sorgfältig inszeniert.
Applaudiert wird genau im Takt.
Und natürlich wird applaudiert, etwas anderes ist gar nicht möglich, wenn der große Vorsitzende spricht.
Eigentlich sind alle diese Menschen nur für den einen da.
Die Masse der Parteisoldaten soll zeigen:
Der vorne auf der Bühne in der Mitte - das ist der, auf den es ankommt. ->
Was der sagt, ist entscheidend.
Dieser eine hat die ganze Macht.
Und die anderen sind nur seine Marionetten.

Ich finde das abstoßend.
Und so ein kleines bisschen überträgt sich das für mich auch auf den Palmsonntag.
Auf die Menge am Straßenrand.
Sie tun alle dasselbe, sie rufen alle dasselbe.

Und dann frage ich mich, wie es wohl Jesus gegangen ist.
Ob ihm das gefallen hat, wie sie alle seinen Namen rufen und ihm zujubeln.
Ob er seinen Einzug in Jerusalem genossen hat?

Wir wissen ja, dass er sich manchmal vor allzu großem Ansturm seiner Anhänger versteckt hat.
Da ist er allein auf einen Berg gegangen.
Oder hat sich in ein Boot gesetzt und ist ein Stück vom Ufer weggerudert.

Und jetzt, als er nach Jerusalem kommt?
Braucht er den Zuspruch der Leute, weil er schon ahnt, dass es mit ihm zuende geht?
Oder sieht er in den Gesichtern der Menschen, dass die Begeisterung nicht lange halten wird?

Wir wissen das nicht. Und der Predigttext erzählt es auch nicht.
Was wir aber wissen:
Jesus lässt sich nicht feiern wie ein großer Vorsitzender.
Oder wie ein Herrscher einer aufstrebenden Supermacht.
Er zieht nicht ein wie ein Eroberer - und auf die ganzen Machtdemonstrationen verzichtet er sowieso.

Er reitet auf einem Esel.
Oder: Nicht einmal auf einem ausgewachsenen,
sondern auf einem jungen, noch ganz kleinen Esel.

Das tut man nicht, wenn man Macht demonstrieren will.
Das tut man, wenn man bescheiden ist.
Das tut man, wenn man nicht der Herrscher, sondern eher der Diener sein will.

Wenn beim Parteitag in China alle für den einen da sind.
Dann ist es beim Einzug Jesu genau anders herum:
Dieser eine ist für alle da.
Egal, was sie jetzt schreien - und egal, was sie in ein paar Tagen schreien werden:
Jesus ist da für sie.
Mit aller seiner Bescheidenheit.
Mit aller seiner Liebe.
Er ist da für sie - selbst wenn es ihn das Leben kostet.
Und das wird es - er weiß es schon, oder ahnt es zumindest.

Die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem -
sie ist die einzige Geschichte, die wir gleich zweimal hören im Laufe des Kirchenjahres.
Wir hören sie am 1. Advent, wenn wir uns auf Weihnachten vorbereiten.
Deswegen haben wir vorhin auch ein Lied gesungen, das wir eher als Adventslied kennen.
Und wir hören sie heute, am Palmsonntag, wenn es auf Karfreitag und Ostern zugeht.
Also an zwei ganz entscheidenden Stellen im Leben Jesu.
Einmal ganz am Beginn, vor seiner Geburt.
Und einmal ganz am Ende, vor seinem Tod und seiner Auferstehung.

Und natürlich ist das kein Zufall.
Wer ist Jesus?
Und was ist es, das wir von ihm erwarten dürfen?
Das sind die entscheidenden Fragen.
Und die Einzugsgeschichte versucht Antworten.

Wir sehen noch einmal auf die Menschenmenge.
Und nein, sie sind nicht wie die Masse auf dem Parteitag.
Es sind ganz unterschiedliche Leute.
Sicher sind ein paar dabei, die einfach nur neugierig sind und sich das Spektakel ansehen wollen.
Aber vor allem sind es Menschen, mit denen es das Leben nicht besonders gut meint.
So stelle ich mir das vor:
Am Straßenrand stehen Arme und Kranke und Aussätzige.
Menschen, in deren Familie jemand stirbt.
Und die nun hoffen, dass Jesus für sie dasselbe tut, wie er es für Lazarus getan hat.
Oder auch Menschen, die unter der Herrschaft der Römer leiden.
Die nicht sagen dürfen, was sie wollen.
Die immer wieder gegen Mauern anrennen und die sich blutige Nasen holen.
Es sind die Geschundenen und die Geschlagenen aus dem ganzen Land.
Die Ängstlichen und die Verzweifelten.

Sie alle versammeln sich an der Straße, an der Jesus kommen soll.
Sie warten. Und sie hoffen.
Sie hoffen auf einen neuen König.
Auf einen König, der die Macht übernimmt und die Römer rausschmeißt.
Auf einen König, der wirklich für sie da ist, der sich ihre Sorgen und ihre Nöte anhört.
Nicht nur anhört - sondern auch wirklich etwas für sie tut.

Und dann sehen sie ihn.
Er biegt um die Ecke, hinter ihm schon eine große Menge, die ihn begleitet.
Jetzt bricht es aus ihnen heraus:
die ganze Sehnsucht nach dem, der endlich alles anders werden lässt.
Der sie endlich befreit von allem, was das Leben schwer macht.

Es bricht aus ihnen heraus:
Hosianna - das ist nicht nur ein Jubelruf.
Hosianna: Das ist auch das Bitten und Flehen: Herr, hilf!

Alle ihre Hoffnung setzen sie auf ihn.
Und es ist viel Hoffnung, die da zusammenkommt.

Umso größer ist dann ihre Enttäuschung.
Nur ein paar Tage später.
Nichts hat sich geändert.
Und statt ihnen zu helfen, statt die Römer rauszuwerfen -
stattdessen wirkt Jesus nun selbst sehr hilflos.
Wie er von Pilatus der Menge vorgeführt wird,
da schlägt die Hoffnung nicht nur in Enttäuschung um.
Da wird aus Enttäuschung Hass.
Sie fühlen sich belogen und betrogen.
Und wieder schreien sie im Chor.
Aber diesmal nicht mehr Hosianna - sondern "Kreuzige ihn".

So schnell kann die Stimmung kippen.
Mengen sind wankelmütig.
Manchmal reicht es, wenn einer nur laut genug losbrüllt - dann schließen sich immer mehr an.
In der Menge schaltet der einzelne gerne mal sein Gehirn aus - und macht das, was der Nachbar macht.

Die Jünger stehen bei alldem etwas ratlos herum.
Sie wissen weder am Palmsonntag noch am Karfreitag, was es bedeuten soll.
Sie verstehen das alles erst im Nachhinein.
Erst nach Ostern können sie sich einen Reim machen.

Und es ist ja auch schwer zu verstehen:
Jesus ist so anders als alles, was wir gewohnt sind.

Ja, er ist der König.
Er ist der gerechte König - aber so ganz anders, als es sich die Menschen damals erhofft haben.
Und vielleicht auch, als wir uns das heute erhoffen.

Er kommt nicht hoch zu Ross, er kommt auf einem kleinen Esel.
Er kommt nicht in der Staatskarosse - würden wir heute sagen -
sondern vielleicht auf einem alten gebrauchten Fahrrad, das schon leicht scheppert.
Er schreitet nicht durch die absurd großen goldenen Türen der Paläste wie im Kreml.
Er kommt durch das gewöhnliche Stadttor von Jerusalem,
da wo alle hinein- und hinausgehen.

Seine Macht auf dieser Welt - die stützt er nicht auf die große Masse.
Nicht auf Menschen, die ihm lautstark applaudieren.
Oder im Takt Fähnchen schwenken.

Seine Macht hat er durch jeden einzelnen von uns, der auf ihn vertraut.
Der - oder die - versucht, so zu leben, wie er gelebt hat.
Die - oder der - versucht, so zu hoffen und so zu glauben, wie er gehofft und geglaubt hat.
Jeder und jede einzelne - darauf kommt es an.

Ja, natürlich helfen wir uns dabei.
Niemand kann für sich alleine glauben.
Wir sind immer wieder auf die anderen angewiesen, um unseren Glauben zu leben und zu stärken
Deshalb sind wir eine Gemeinde.
Keine Masse, sondern eine Gemeinde,
eine Gemeinschaft, in der es auf jeden und jede ankommt.

Denn niemand kann es auf Dauer den anderen überlassen, für ihn zu glauben.
Auch vertrauen kann man langfristig nur selbst.
Und Hoffnung hilft uns nur dann, wenn wir sie wirklich selbst in uns selbst spüren.

Jesus herrscht nicht mit Gewalt.
Dass sich Liebe verbreitet auf der Welt - das erreicht Jesus nicht durch Befehl und Gehorsam,
das erreicht er durch seine eigene grenzenlose Liebe.
Und dadurch, dass wir auf ihn vertrauen.

Dass sich Hoffnung verbreitet auf dieser Welt,
das erreicht Jesus nicht dadurch, dass er die Welt nach unseren Wünschen ordnet.
Er ist nicht der Herrscher, der nur mit dem Finger schnippen muss, damit alles zu seiner Zufriedenheit geschieht.
Manchmal ist es das Gegenteil.
Manchmal erleben und erleiden wir, wie die Welt uns unsere innersten Wünsche abschlägt.
Und manchmal ist das schwer auszuhalten.

Aber dann sehen wir auf ihn.
Wir sehen, wie er selbst gelitten hat.
Wie er eben nicht vom Kreuz gestiegen ist, sondern den Schmerz bis zum Ende ausgehalten hat.
Wir sehen auf ihn und hören ihn:
"Ich bin bei Dir. Ich bleibe bei dir - und wenn es auch noch so weh tut.
Ich stehle mich nicht davon,
das habe ich damals nicht getan, als ich den Schmerz kaum ausgehalten habe.
Und das tue ich auch heute nicht, wenn Du den Schmerz kaum aushältst".
Das ist die Hoffnung, die Jesus schenkt.

Es ist eine so andere Hoffnung als die Welt sie schenkt.
Und er ist ein so anderer König als die Könige und Herrscher dieser Welt.
Aber er ist König.

Wir müssen ihm nicht den Weg nach Jerusalem ebnen.
Aber, wenn er zu unserem König werden soll,
dann müssen wir ihm den Weg in unser Innerstes öffnen.
Müssen ihn da einziehen lassen, wo wir selbst hoffen und bangen, wo wir am empfindlichsten sind.

Da, wo es uns schmerzt und da, wo wir unsere Freude empfinden.
Da müssen wir ihn hineinlassen,
dann ist er wirklich unser König.
Und dann kann er auch wirklich für uns da sein.
Amen.