Bleiben Sie zuversichtlich | nikolaushueck blog

Bleiben Sie zuversichtlich

Predigt zu Jesaja 6 am Sonntag Trinitatis, 4. Juni 2023

Eintrag vom

"Bleiben Sie zuversichtlich!"
So verabschiedet sich jeden Abend Ingo Zamperoni,
der Moderator der Tagesthemen.
Ein halbe Stunde haben wir von den Schrecken und Grausamkeiten der Welt gehört.
Von Raketenangriffen auf Städte.
Von Diktatoren, die ihre Gegner einsperren, foltern und umbringen.
Von Fluten und Bränden und Seuchen.
Und von der Gefahr, die alles im Hintergrund begleitet:
der Erhitzung der Erde und allen ihren Folgen.
Eine halbe Stunde lang Bilder, die einen nicht loslassen.
Und dann dieser letzte Satz: "Bleiben Sie zuversichtlich".

Ich habe keine Ahnung, ob und was Herr Zamperoni glaubt.
Aber ich ahne, dass das mehr ist als eine Verlegenheitsfloskel.
Er sagt das nicht bloß, weil er mit irgendetwas die Sendung aufhören muss.
Dahinter steckt mehr, stelle ich mir vor.
Und ich frage mich jeden Abend wieder:
Ja, ich möchte zuversichtlich bleiben.
Aber woher soll meine Zuversicht kommen?
Was gibt mir Halt,
wenn ringsum alles ins Rutschen und Wanken gerät?
Wie soll man da Zuversicht aufbringen?
Und: Müssten nicht eigentlich wir Christen die sein, denen die Hoffnung nicht ausgeht?
Müssten nicht wir die sein, die andere mit unserer Zuversicht anstecken?

Unser Predigttext hat erst auf den zweiten Blick mit Zuversicht zu tun.
Es ist eine Vision des Propheten Jesaja.
Voll von Bildern, die wir heute kaum noch verstehen.
Das einzige, was wir wissen:
Auch zur Zeit des Jesaja war die Welt im Rutschen und Wanken.
Das lag vor allem an der Kriegsgefahr, die vom mächtigen Reich der Assyrer ausging.
Die erlebten einen gewaltigen und gewaltsamen Aufstieg
Und sie verschluckten all die kleinen Nachbarn ringsum.

Aber die Könige im kleinen Jerusalem hielten viel von ihrer eigenen Diplomatie.
Sie schlossen Verteidigungspakte.
Sie verbündeten sich mal mit den einen und dann mit den anderen.
Und sie spielten die drohende Gefahr herunter,
beruhigten das Volk.
So hielt man sich für einigermaßen sicher.
Und machte sich nicht allzu viele Sorgen.

Man feierte Gottesdienste.
Aber man hatte wohl nicht so sehr das Gefühl,
Gott wirklich zu brauchen in dieser Gefahr.
Man fühlte sich auch ohne ihn ganz gut geschützt
vor den großen Krisen.

Auch das, was unser Predigttext erzählt,
spielt während eines solchen Gottesdienstes.
Aber es ist viel größer, viel mächtiger, viel gewaltiger als alles, was sich das Volk und seine Könige von Gott vorstellen konnten.

Es ist es ein Text, der dunkel und geheimnisvoll daherkommt.
Und ein bisschen länger als gewöhnlich.
Ich lese ihn trotzdem ganz, weil ich finde, man kann ihn gar nicht kürzen.
Der Text steht bei Jesaja, im 6. Kapitel:

In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel.
Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel:
Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie.
Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!
Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch.
Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe!
Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen;
denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.
Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach:
Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.
Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach:
Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!
Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk:
Höret und verstehet's nicht; sehet und merket's nicht!
Verfette das Herz dieses Volks und ihre Ohren verschließe und ihre Augen verklebe,
dass sie nicht sehen mit ihren Augen
noch hören mit ihren Ohren
noch verstehen mit ihrem Herzen
und sich nicht bekehren und genesen.
Ich aber sprach: Herr, wie lange?
Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt.
Denn der HERR wird die Menschen weit wegführen, sodass das Land sehr verlassen sein wird.
Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals kahl gefressen werden,
doch wie bei einer Terebinthe oder Eiche, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt.
Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.

Ich sage ja: Ein dunkler und geheimnisvoller Text.
Jesaja hat eine Vision.
Gott ist so groß und gewaltig,
dass Menschen vergehen, wenn sie ihn sehen.
Allein sein Mantelsaum füllt schon den ganzen Tempel aus.
Um ihn herum fliegen sechsflügelige Wesen, die Serafine,
die unablässig von Gottes Heiligkeit singen.
Das ist nicht der liebe Gott,
der Gott, den man mit ein paar Gebeten auf seine Seite bringen kann.
Das ist nicht der harmlose Gott,
der einem hilft, wenn man ihn braucht.
Und der einen ansonsten in Ruhe lässt.

Wen Jesaja da sieht, das ist der Gott, von dem alles abhängt.
Unsere ganze Existenz. Unser ganzes Leben.
Unsere ganze Welt.

Und von diesem Gott wird Jesaja berufen.
Er macht ihn zu seinem Propheten, zu seinem Boten.
Zuerst muss Jesaja gereinigt werden - das passiert mit einem Stück glühender Kohle an seinen Lippen.
Danach erst sendet ihn Gott zum Volk.
Er soll in Gottes Namen sprechen und er soll Gottes Worte ausrichten.
Es sind nicht die lieben und netten Worte, die wir gerne hören würden.

Es sind Worte, vor denen wir uns am liebsten unsere Ohren zuhalten würden.
Vor denen wir unsere Augen zumachen und unsere Herzen verschließen würden.

Es sind harte Worte.
Vom Untergang der Welt, wie ihr sie kennt.
Und von eurer Verantwortung daran.
Von eurer Weigerung, wirklich auf Gott zu vertrauen.
Ihr vertraut lieber auf euch selbst.
Ihr seht eure Fehler nicht ein.
Wie die Schlafwandler geht ihr auf die Katastrophe zu.
Niemand fühlt sich verantwortlich.
"Ich, ich war das nicht. Ich doch nicht!"
Ihr taktiert immer noch, obwohl es schon längst um eure Existenz geht.

Sag ihnen das alles so, dass sie nicht auskönnen, spricht Gott.
Sag ihnen das alles so, dass sie sich dagegen wehren.
Dass sie zu entsetzt sind, um dir zu glauben.
Erst dann sagst du ihnen die ganze Wahrheit.

Das ist Gottes Auftrag an Jesaja.
Und bis heute erschrecken wir darüber, wie hart dieser Auftrag ist.
Wie hart sein Strafgericht über sein Volk ausfällt.
Wie wenig er in diesem Text der liebe Gott ist, von dem wir so gerne sprechen.
Der Text hört sich so an, als ob Gott mit seinem Volk bricht.
Als ob er es in seinen endgültigen Untergang ziehen lässt.

Aber war das wirklich so gemeint?
Und wie hören wir das heute?
Ist die Welt von Gott verlassen?
Und von allen guten Geistern dazu?

Wenn man Gruppen wie "Letzte Generation" oder "extinction rebellion" glaubt, dann ist das so.
Es hat sich bei vielen von ihnen eine Weltuntergangsstimmung breit gemacht.
Es sind vor allem junge Menschen, die kaum mehr Hoffnung für unsere Erde haben.
Und viele Ältere stehen etwas ratlos davor.
Sie schauen vor allem darauf, mit welchen Mitteln die Jugend protestiert. Und weniger darauf, was sie bewegt, und was sie eigentlich sagen wollen.
Wir schütteln unsere Köpfe, wenn sich wieder jemand auf einer Durchgangsstraße festklebt.
Und wir verstehen dabei gar nicht, wie tief verunsichert und verzweifelt Menschen sein müssen, wenn sie solche Protestformen wählen.

Ganz ehrlich: Ich habe viel Verständnis für die Sorgen um unser Klima.
Aber Weltuntergangsstimmung - die habe ich nicht.
Ich glaube auch nicht, dass wir gottverlassen sind.
Und ich glaube, dass genau das auch die Botschaft dieses merkwürdigen Jesaja-Textes an uns ist:

Gott gibt seine Menschen nie auf.
Selbst in der größten Katastrophe nicht.
Er wird uns immer neue Möglichkeiten geben.
Einen neuen Anfang.
Und wenn es nur die Äste sind, die aus einem Baumstumpf wachsen.
Ein heiliger Same wird dieser Stumpf sein -
das ist das letzte Wort, das Jesaja dem Volk ausrichten soll.
Und das heißt: Am Ende steht nicht der Untergang.
Am Ende steht das Leben.

Deshalb hören wir von demselben Jesaja auch die großen Hoffnungsworte:
Vom Volk das ein großes Licht in der Dunkelheit sieht.
Vom Kind, das uns geboren wird und den Frieden bringt.
Von der Zeit, wenn Wolf und Lamm nebeneinander wohnen und Löwe und Kalb gemeinsam grasen.
Nein, Gott gibt seine Welt nicht auf.
Im Gegenteil: Gott wird kommen und den Frieden bringen, auf den wir alle so sehnlich warten.

Aber Gott ist auch nicht einfach lieb.
Er nimmt uns Menschen ernst, mit allem, was wir richtig, aber auch falsch machen.
Er sagt nicht: Komm, macht nichts, das versuchen wir noch mal.
So redet man mit Kindern. Nicht mit Erwachsenen.

Gott will, dass wir Verantwortung übernehmen für das, was falsch läuft.
Dass wir uns sehr genau ansehen, was wir ändern müssen.
Unseren Lebensstil, unseren Egoismus, unsere Trägheit.
Das kann und will er uns nicht ersparen.

Aber er tut das nicht, weil er uns Schlechtes will.
Im Gegenteil.
Wir bleiben die Menschen, die er liebt.
Ich glaube, Gott kann gar nicht anders als lieben.
Er kann gar nicht anders als vergeben.
Er kann gar nicht anders, als uns einen neuen Anfang schenken.

Und das beginnt schon bei Jesaja selbst.
Das Zeichen der glühenden Kohle an den Lippen sagt:
Ja, es wird hart und schmerzhaft.
Aber dann ist es auch wieder gut.

Ich werde euch nicht für immer an euren Fehlern beurteilen.
Vertraut mir, glaubt an mich, hofft auf mich.
Eure Angst vor Euch selbst, Eure Angst vor dem Untergang, dem Krieg, dem Klimakollaps:
Diese Angst lähmt Euch nur noch mehr.

Denn wer auf den eigenen Untergang starrt, kann nichts mehr ändern. Kann sich nicht mehr ändern.
Deshalb sage ich Euch: Die Welt wird nicht untergehen, ich bin bei euch und ich bleibe bei euch.

Ja, woher kommt die Zuversicht?
Genau daher.
Vom Glauben an Gott. Von der Hoffnung auf ihn.
Auf Gott, der eben gerade nicht nur lieb ist.
Der uns nicht immer nur wie kleine Kinder behandelt und uns alles durchgehen lässt.

Sondern auf den Gott,
der uns zwingt, Verantwortung zu übernehmen.
Der uns zwingt, unsere eigene Schuld, unser eigenes Versagen, unsere eigene Trägheit ganz genau zu sehen.
Der uns zwingt, uns zu ändern.
Der uns aber niemals verlassen wird.
Uns nicht und diese Erde nicht.
Daher kommt unsere Zuversicht.

Es ist keine leichtfertige Zuversicht. So: Wird schon gut gehen.
Sondern es ist eine tiefe Zuversicht.
Und sie ist nicht grundlos.
Unsere Zuversicht hat ihren Grund in Gott, dem dreimal Heiligen.
Amen.

Diese Predigt verdankt wesentliche Impulse dem Betrag von Christian Stäblein und Wilhelm Gräb in: Predigtstudien 2023/2023, 2. Halbband: Sonntag Exaudi bis Totensonntag - Perikopenreihe V, Freiburg 2023