Die Angst, die uns lähmt | nikolaushueck blog

Die Angst, die uns lähmt

Predigt zu Jesaja 29,17-24 am 12. Sonntag nach Trinitatis, 27. August 2023

Eintrag vom

Wohlan, es ist noch eine kleine Weile,
so soll der Libanon fruchtbares Land werden,
und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden.
Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches,
und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen;
und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn,
und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.
Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen
und mit den Spöttern aus sein,
und es werden vertilgt werden alle,
die darauf aus sind, Unheil anzurichten,
welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht
und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor,
und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.

Darum spricht der Herr, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob:
Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen,
und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen.
Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen;
sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten.
Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen,
und die, welche murren, werden sich belehren lassen.

"Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen", hat Helmut Schmidt gesagt.
Der frühere Bundeskanzler hat nicht viel von den großen Bildern gehalten.
Seins war eher das Hanseatisch-Nüchterne.
Schritt für Schritt vorgehen und dabei immer die Wirklichkeit im Blick behalten.
Das hat ihn zum Steuermann durch einige der größten Krisen der Bundesrepublik Deutschland gemacht.

Bei Jesaja ist das ganz anders.
Was wir eben gehört haben, war eine einzige große Vision.
Wie es einmal sein wird auf dieser Welt, wenn Gott das Steuer übernimmt.

Die Natur wird aufblühen.
Es wird grün werden, wo man bisher nur Wüste kannte.
Und wo schon etwas wuchs, da wird das Land zum Urwald werden.
Alles ganz anders als jetzt. Alles besser. Viel besser.

Und so wird es auch zwischen den Menschen sein.
Die Tauben, die Blinden, die Elenden -
sie werden nicht wiederzuerkennen sein.
Sie werden hören, sehen, jubeln.
Und die Ärmsten werden viel Grund haben, sich zu freuen.
Auch da alles ganz anders als jetzt. Alles besser. Viel besser.

Und dann kommen die Worte, die uns am allerbesten gefallen.
Jedenfalls mir geht es so:
Die Tyrannen werden fallen.
Die, die lügen und spotten und mit der Wahrheit nur spielen,
die werden stürzen.
Und die, die das Recht verdrehen und immer nur ihren eigenen Vorteil suchen, die werden ihr blaues Wunder erleben.
Gott wird Schluss machen mit dem Unheil, das sie anrichten.

Gott wird eingreifen, das ist die Botschaft.
Es wird nicht bleiben, wie es ist.
Nur noch eine kleine Weile muss Israel diese Welt aushalten.
Diese Welt mit allem Unrecht und aller Ungerechtigkeit.
Mit Schmerz und Leid und Krankheit und Armut. ->
Nur noch eine kleine Weile - und dann wird es anders. Besser. Viel besser.

Diese großartige Vision, diese Rede voller unbändiger Hoffnung
hören wir heute morgen, im August 2023.
Zweieinhalbtausend Jahre später.
Aber ganz ehrlich: Ich weiß nicht so ganz genau, was ich damit anfangen soll.

Schon der Anfang stimmt ja nicht:
"Es ist noch eine kleine Weile".
Ich weiß nicht, wie Gott rechnet.
Aber für mich sind 2500 Jahre keine kleine Weile.
Es hat sich nichts geändert.
Krankheit und Schmerz und Leid gibt es immer noch.
Hier in Augsburg genauso wie dort in Israel und auf der ganzen Welt.

Und Menschen, die lügen, bis sich die Balken biegen,
die gibt es auch noch.
Man hat das Gefühl: Mehr denn je.
Unsere Gesellschaften sind voll von ihnen.
Vom normalen Bürger, der seine sehr eigene Sicht der Dinge in's Internet hinausschreit;
Über gefährliche Populisten wie Donald Trump
oder manchen anderen, die auch hier bei uns die Fakten verdrehen und nichts als Hass säen.
Bis hin zu den Verbrechern und Unterdrückern und Diktatoren:
Den Putins dieser Welt.

Ja, die Sehnsucht von Jesaja, die teile ich sofort:
Gott, greif ein, tu endlich etwas, damit unsere Welt sich ändert!
Damit es in unserer Welt nach Deinen Maßstäben zugeht.
Damit die Verbrecher in's Gefängnis kommen
und die Elendsten der Elenden Grund zum Jubeln haben.

Die Sehnsucht teile ich sofort.
Aber können wir es uns ganz so einfach machen, wie es sich bei Jesaja anhört?
Es ist noch eine kleine Weile - und dann geht das alles in Erfüllung?
Sollen wir Gott mal machen lassen - das wird schon?

Also: Was machen wir mit diesem Text?
Jesaja mit seiner Vision zum Arzt schicken?
Oder: Daran glauben, dass Gott es schon richten wird, was wir Menschen verbockt haben?

Vielleicht hilft es, erst einmal noch etwas genauer auf Jesajas Worte zu schauen:
Ich finde es großartig, wie Jesaja seine Hoffnung für die Welt beschreibt.
Er sagt ja nicht nur, dass alles irgendwie besser wird.
Er sagt sehr genau, was besser wird.
Wenn Jesaja Hoffnung hat, wenn die Bibel Hoffnung hat,
dann ist es Hoffnung für die Ärmsten der Armen.
Für die unheilbar Kranken.
Für die, die unter dem gewaltigen Unrecht dieser Welt leiden.
Hoffnung für die, denen die anderen keine Hoffnung gönnen.
Das ist bei Jesaja so. Und das ist später bei Jesus genauso.
Und das zweite ist:
Diese Hoffnung ist nicht irgendeine Hoffnung.
Es ist keineswegs eine naive Hoffnung.
Gott greift nicht einfach so ein und regelt die Dinge für uns.
Es ist nicht so, dass Gott für uns die Welt ändert.

Was Gott aber tun wird: Er wird uns ändern.
Das ist es, was Jesaja sagt, wenn man genau hinhört.
Und das ist es, was später auch Jesus sagen wird:
Die Tauben werden das Wort Gottes hören
und die Blinden werden sein Licht sehen.
Die Elenden werden sich im Herrn freuen.
Und das ganze Volk wird anfangen, den Namen des Herrn zu heiligen.
Also wirklich nach seinen Gesetzen zu leben.

Es sind zuerst die Menschen, die sich ändern -
und so wird sich dann auch die Welt ändern.
Ich glaube, nur so können wir die Vision des Jesaja heute verstehen:
Jesaja will die Menschen seiner Zeit verändern.
Aus Menschen, die klagen, will er Menschen machen, die hoffen.

Jesajas Vision soll in den Köpfen wirken.
Sie soll Mut machen, selbst etwas zu tun.
Nur über die Welt zu jammern - das hilft niemandem.
Damals nicht - und heute auch nicht.
Jesaja will, dass die Menschen genau hinsehen und hinhören.
Wirklich wahrnehmen, wo die Not ist.
Genau beobachten, wo etwas falsch läuft.
Und dann den Ärmsten helfen.
Die Unterdrückten befreien.
Und den Lügnern das Maul stopfen.
Nur so kann ich diesen Text verstehen.
Und dann sagt er uns vielleicht auch heute etwas.

Vielleicht sehen Sie das ähnlich wie ich:
Ich beobachte in der letzten Zeit so etwas wie eine Zweiteilung unserer Gesellschaft:

Die einen haben große Angst vor der Zukunft.
Vor der Erhitzung unserer Erde.
Davor, dass Macht und Reichtum immer ungleicher verteilt werden auf unserem Globus.
Und sie haben Angst, dass es schon zu spät sein könnte, noch irgendetwas zu ändern.
Es gibt, gerade bei Jugendlichen, so etwas wie eine Weltuntergangsstimmung.
Mich erschreckt das. Und gleichzeitig kann ich sie verstehen.

Die anderen haben auch Angst.
Angst davor, dass sich etwas ändert.
Dass sich zu viel verändert.
Dass das Leben nicht so weitergeht wie gewohnt.
Und so verschließen sie die Augen vor dem, was getan werden müsste.
Wer heute noch extra mit dem dicken Auto fährt,
wer demonstrativ Fleisch isst und mit Fernreisen per Flugzeug angibt.
Wer so tut als ob man auf all das auch noch stolz sein könnte,
der zeigt damit doch eigentlich nur seine Angst vor Veränderungen.
Und gleichzeitig bin ich ja auch selbst zu bequem, um mich wirklich zu ändern.

Die einen haben Angst, dass sich nichts ändert und wir auf die Katastrophe zusteuern.
Die anderen haben Angst, dass sie ihr Leben wirklich tiefgreifend ändern müssen.

Beide Ängste lähmen.
Beide Ängste führen zu Stillstand.
Wir blockieren uns gegenseitig.
So ändert sich gar nichts.
Und alle haben irgendwie das Gefühl,
dass es mit der Welt um uns herum bergab geht.

Unser Predigttext sagt genau das Gegenteil.
Es gibt Hoffnung, sagt Jesaja, große Hoffnung.

Und deshalb höre ich Jesaja so:
Du musst nicht zu denen gehören, die sich vor dem Weltuntergang fürchten.
Du musst aber auch nicht zu denen gehören, die so große Angst vor Veränderung haben.

Schau genau hin, was sich ändern soll.
Mit nüchternem Verstand und viel Liebe und Mitgefühl für die Schwächsten der Schwachen.

Und dann: Lass dich von der Hoffnung leiten.
Denn Gott lässt uns nicht im Stich.
Gott wird diese Welt nicht sich selbst überlassen.
Darauf darfst Du hoffen.

Und diese Hoffnung gibt Dir Kraft.
Die Kraft zur Liebe. Die Kraft zur Besonnenheit.
Die Kraft zur Hilfe.
Die Kraft, die Welt zu verändern.
Im Kleinen. In Deinem Umfeld. Und damit im Großen.

Denn Gott braucht Dich.
Wer soll denn die lähmende Angst überwinden,
wenn nicht Du, der du an den Gott glaubst.
An einen Gott, der uns Kraft geben wird?
Amen.